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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

die Erfahrung, nicht die Philosophie die erste Grundlage abgeben. Gleichfalls
aus dieser Zeit stammen die Abhandlungen: "Über den Unterschied der bürger¬
lichen und politischen Freiheit," "Über Freiheit als ein Recht," "Über die
Grundprinzipien der jetzigen Verfassung nach Robespierres und Se. Juftes
Darstellung" u. a. So weit wir es übersehen können, ist er in allen diesen
Schriften nirgends originell: er bringt die Gedanken vor, welche in Frankreich
von Rivarol, Mallet Du Pan, Malonet, Vergaffe, Mounier und Lally-
Tolendal, in Deutschland namentlich von Schlözer, Rehberg und Brandes längst
ausgesprochen worden waren. Von jener organischen Staatsauffassung, die
später durch die rechtsgeschichtliche Schule der rationalistischen Politik des acht¬
zehnten Jahrhunderts gegenüber gestellt wurde, ist er noch ebenso weit entfernt,
wie von den romantisch-reaktionären Phantasien eines De Maistre und Adam
Müller. Überall zeigt er sich ganz als ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts,
läßt die Voraussetzung der Anfklärungsphilosophie gelten und bekämpft nur
die unsinnigen Forderungen, welche die Revolutionsmänner daraus ableitete".
Daneben vergißt er nicht, die alten Regierungen zu warnen, ihren Völkern
keinen Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. "Alle Aufmerksamkeit und alle
Warnungen der Menschenfreunde -- schreibt er 179S --, müssen jetzt dahin
gerichtet sein, daß nicht eine unmäßige Last von oben her die Nationen zu
einem so furchtbaren Ausbruch reize. Jedes absichtliche Bestreben der Re¬
gierungen, den großen Gang der Natur in der immer steigenden Verbesserung
des menschlichen Geschlechtes und seines Bestandes zu hemmen, ist ein frevel¬
haftes und fruchtloses Bestreben." In dem Sendschreiben, das er an Friedrich
Wilhelm III. bei dessen Thronbesteigung richtete, zeigt er sich ganz von den
Ideen des Jahrhunderts erfüllt, er verlangt von dem neuen Herrscher -- ebenso
wie Mirabeau zwölf Jahre früher von dessen Vorgänger -- liberale Reformen.
"Der Geist der Zeit reißt die Menschen über das Ziel ihrer eignen Bestrebungen
hinaus -- heißt es da --; vor Ausschweifungen zu beschützen, ohne die Kräfte
zu lähmen, ist die schönste Aufgabe der modernen Staatskunst." Mit dem
stärksten Pathos wird Preßfreiheit verlangt, denn "von allem, was Fesseln
scheut, vermag nichts sie weniger zu ertragen, als der Gedanke des Menschen."
Nicht nur bei Hofe wurde es übel vermerkt, daß ein Regierungsbeamter so zum
Monarchen zu sprechen sich vermaß, auch in weiteren Kreisen fand das Send¬
schreiben keine Billigung; sehr derb fertigt es u. a. Goethe in einem Briefe an
Schiller ab.

Eine Rolle beginnt Gentz erst von dem Augenblicke an zu spielen, wo er
publizistisch gegen die friedliche, dem revolutionären Frankreich geneigte Politik
Preußens auftrat. Es geschah dies zuerst in dem "Historischen Journal,"
das er von 1799--1800 herausgab. Schon im Prospekt heißt es: "Das, was
gewisse Schriftsteller Unparteilichkeit und Neutralität nennen, ein unwürdiges
Kapituliren mit den heiligsten Grundsätzen des Rechtes," werde man hier ver-


Friedrich von Gentz.

die Erfahrung, nicht die Philosophie die erste Grundlage abgeben. Gleichfalls
aus dieser Zeit stammen die Abhandlungen: „Über den Unterschied der bürger¬
lichen und politischen Freiheit," „Über Freiheit als ein Recht," „Über die
Grundprinzipien der jetzigen Verfassung nach Robespierres und Se. Juftes
Darstellung" u. a. So weit wir es übersehen können, ist er in allen diesen
Schriften nirgends originell: er bringt die Gedanken vor, welche in Frankreich
von Rivarol, Mallet Du Pan, Malonet, Vergaffe, Mounier und Lally-
Tolendal, in Deutschland namentlich von Schlözer, Rehberg und Brandes längst
ausgesprochen worden waren. Von jener organischen Staatsauffassung, die
später durch die rechtsgeschichtliche Schule der rationalistischen Politik des acht¬
zehnten Jahrhunderts gegenüber gestellt wurde, ist er noch ebenso weit entfernt,
wie von den romantisch-reaktionären Phantasien eines De Maistre und Adam
Müller. Überall zeigt er sich ganz als ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts,
läßt die Voraussetzung der Anfklärungsphilosophie gelten und bekämpft nur
die unsinnigen Forderungen, welche die Revolutionsmänner daraus ableitete».
Daneben vergißt er nicht, die alten Regierungen zu warnen, ihren Völkern
keinen Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. „Alle Aufmerksamkeit und alle
Warnungen der Menschenfreunde — schreibt er 179S —, müssen jetzt dahin
gerichtet sein, daß nicht eine unmäßige Last von oben her die Nationen zu
einem so furchtbaren Ausbruch reize. Jedes absichtliche Bestreben der Re¬
gierungen, den großen Gang der Natur in der immer steigenden Verbesserung
des menschlichen Geschlechtes und seines Bestandes zu hemmen, ist ein frevel¬
haftes und fruchtloses Bestreben." In dem Sendschreiben, das er an Friedrich
Wilhelm III. bei dessen Thronbesteigung richtete, zeigt er sich ganz von den
Ideen des Jahrhunderts erfüllt, er verlangt von dem neuen Herrscher — ebenso
wie Mirabeau zwölf Jahre früher von dessen Vorgänger — liberale Reformen.
„Der Geist der Zeit reißt die Menschen über das Ziel ihrer eignen Bestrebungen
hinaus — heißt es da —; vor Ausschweifungen zu beschützen, ohne die Kräfte
zu lähmen, ist die schönste Aufgabe der modernen Staatskunst." Mit dem
stärksten Pathos wird Preßfreiheit verlangt, denn „von allem, was Fesseln
scheut, vermag nichts sie weniger zu ertragen, als der Gedanke des Menschen."
Nicht nur bei Hofe wurde es übel vermerkt, daß ein Regierungsbeamter so zum
Monarchen zu sprechen sich vermaß, auch in weiteren Kreisen fand das Send¬
schreiben keine Billigung; sehr derb fertigt es u. a. Goethe in einem Briefe an
Schiller ab.

Eine Rolle beginnt Gentz erst von dem Augenblicke an zu spielen, wo er
publizistisch gegen die friedliche, dem revolutionären Frankreich geneigte Politik
Preußens auftrat. Es geschah dies zuerst in dem „Historischen Journal,"
das er von 1799—1800 herausgab. Schon im Prospekt heißt es: „Das, was
gewisse Schriftsteller Unparteilichkeit und Neutralität nennen, ein unwürdiges
Kapituliren mit den heiligsten Grundsätzen des Rechtes," werde man hier ver-


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[0072] Friedrich von Gentz. die Erfahrung, nicht die Philosophie die erste Grundlage abgeben. Gleichfalls aus dieser Zeit stammen die Abhandlungen: „Über den Unterschied der bürger¬ lichen und politischen Freiheit," „Über Freiheit als ein Recht," „Über die Grundprinzipien der jetzigen Verfassung nach Robespierres und Se. Juftes Darstellung" u. a. So weit wir es übersehen können, ist er in allen diesen Schriften nirgends originell: er bringt die Gedanken vor, welche in Frankreich von Rivarol, Mallet Du Pan, Malonet, Vergaffe, Mounier und Lally- Tolendal, in Deutschland namentlich von Schlözer, Rehberg und Brandes längst ausgesprochen worden waren. Von jener organischen Staatsauffassung, die später durch die rechtsgeschichtliche Schule der rationalistischen Politik des acht¬ zehnten Jahrhunderts gegenüber gestellt wurde, ist er noch ebenso weit entfernt, wie von den romantisch-reaktionären Phantasien eines De Maistre und Adam Müller. Überall zeigt er sich ganz als ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, läßt die Voraussetzung der Anfklärungsphilosophie gelten und bekämpft nur die unsinnigen Forderungen, welche die Revolutionsmänner daraus ableitete». Daneben vergißt er nicht, die alten Regierungen zu warnen, ihren Völkern keinen Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. „Alle Aufmerksamkeit und alle Warnungen der Menschenfreunde — schreibt er 179S —, müssen jetzt dahin gerichtet sein, daß nicht eine unmäßige Last von oben her die Nationen zu einem so furchtbaren Ausbruch reize. Jedes absichtliche Bestreben der Re¬ gierungen, den großen Gang der Natur in der immer steigenden Verbesserung des menschlichen Geschlechtes und seines Bestandes zu hemmen, ist ein frevel¬ haftes und fruchtloses Bestreben." In dem Sendschreiben, das er an Friedrich Wilhelm III. bei dessen Thronbesteigung richtete, zeigt er sich ganz von den Ideen des Jahrhunderts erfüllt, er verlangt von dem neuen Herrscher — ebenso wie Mirabeau zwölf Jahre früher von dessen Vorgänger — liberale Reformen. „Der Geist der Zeit reißt die Menschen über das Ziel ihrer eignen Bestrebungen hinaus — heißt es da —; vor Ausschweifungen zu beschützen, ohne die Kräfte zu lähmen, ist die schönste Aufgabe der modernen Staatskunst." Mit dem stärksten Pathos wird Preßfreiheit verlangt, denn „von allem, was Fesseln scheut, vermag nichts sie weniger zu ertragen, als der Gedanke des Menschen." Nicht nur bei Hofe wurde es übel vermerkt, daß ein Regierungsbeamter so zum Monarchen zu sprechen sich vermaß, auch in weiteren Kreisen fand das Send¬ schreiben keine Billigung; sehr derb fertigt es u. a. Goethe in einem Briefe an Schiller ab. Eine Rolle beginnt Gentz erst von dem Augenblicke an zu spielen, wo er publizistisch gegen die friedliche, dem revolutionären Frankreich geneigte Politik Preußens auftrat. Es geschah dies zuerst in dem „Historischen Journal," das er von 1799—1800 herausgab. Schon im Prospekt heißt es: „Das, was gewisse Schriftsteller Unparteilichkeit und Neutralität nennen, ein unwürdiges Kapituliren mit den heiligsten Grundsätzen des Rechtes," werde man hier ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/72>, abgerufen am 17.09.2024.