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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich on>n Gentz.

Empfänglichkeit der Seele, in seine gerechten Schranken gewiesen ist, . . Das
ist das Ideal, das ich mir vorgesetzt hatte, das ich mit unverwandtem Auge
verfolgt habe, mit ungleichem, aber nie zurückweichenden Schritt bin ich auf
der Bahn gewandelt, an deren Ziel diese Leuchte der Vortrefflichkeit, dieses
eine, was not ist, stand, habe ich oft unter dem Beifall der Menschen gezittert,
ob ich auch fortschritte, oft von ihrem Tadel wie in einen dicken Nebel ein¬
gehüllt, meinen herrlichsten Progressen selbstlohnenden stillen und sichern Preis
zugeflüstert."

Eine sehr ansprechende Erläuterung zu diesem merkwürdigen Briefe giebt
uns Hciym. "Er durchschaute die Unhaltbarkeit der neuen politischen Bildungen
und den notwendigen Ausgang der so geräuschvoll verkündeten Welteroberuug.
Eine innere Umwandlung begleitete den Wechsel seiner Ansichten über die Revo¬
lution. Er fühlte, daß der sittliche Boden, auf welchem er sich bewegte, der¬
selbe Boden einer überreizten und frivolen Kultur sei, aus welchem jene fran¬
zösischen Ereignisse hervorgewachsen waren. In seinen besten Stunden ward
er inne, daß wahres Glück nicht im Sinnengenuß liege, daß die abstrakte
Geistigkeit und Gefuhlsschwelgerei ohne den Wiederhall des Charakters und ohne
umsichtige Weltbeurteilung nur zum Verderben führen könne. Sein weiches,
bestimmbares Wesen kostete zum erstenmale den Reiz eines ernsten sittlichen
Wollens, eines Sinnes, der sich fest und unerschütterlich dem Strome der Welt
und der Dinge entgegenwirft; er malte sich diese neue Lebensansicht als sein
eignes Ideal aus."

Auf keinen Fall ist jedoch der Wandel in seiner politischen Denkart ganz
oder auch nur in erster Linie auf den Einfluß Burkes zurückzuführen. Die
"Betrachtungen" waren schon im Herbst des Jahres 17V0 erschienen, die fran¬
zösische Übersetzung von Dupont war ihr sehr bald gefolgt und erlebte binnen
kurzem achtzehn Auflagen. Auch bedürfte es in Deutschland garnicht erst des
warnenden Rufes von England, um auch hier einen Rückschlag gegen die all¬
gemeine Anerkennung der Revolution zu erzeugen. Es hat von allem Anfang
an in Deutschland eine literarische Richtung gegeben, welche historisch-politische
Bedenken gegen die Revolution erhob. Bis jetzt hat man dies freilich wenig
beachtet. Sie knüpft zum Teil an Justus Möser, zum Teil an die Göttinger
historische Schule an: Schlözer vertrat sie in dem "Staatsanzeiger," wo sich
u. a. Auszüge aus dem antirevolutionüren.lonrniü xoliticins Rivarols finden;
Rehberg in der Jenaer Literaturzeitung (im Juli 1790, in Berichten über
Schriften, die die Revolution betrafen"), endlich der hnnnöverische Legations-
sekretür E. Brandes in einem Buche, das erst 1790 bei Maule in Jena erschien.
Alle die Gründe, die Burke -- und dann Gentz -- gegen die Revolution vor-



Sie erschienen 1793 gesammelt unter dem Titel "Untersuchungen über die franzö¬
sische Revolution."
Friedrich on>n Gentz.

Empfänglichkeit der Seele, in seine gerechten Schranken gewiesen ist, . . Das
ist das Ideal, das ich mir vorgesetzt hatte, das ich mit unverwandtem Auge
verfolgt habe, mit ungleichem, aber nie zurückweichenden Schritt bin ich auf
der Bahn gewandelt, an deren Ziel diese Leuchte der Vortrefflichkeit, dieses
eine, was not ist, stand, habe ich oft unter dem Beifall der Menschen gezittert,
ob ich auch fortschritte, oft von ihrem Tadel wie in einen dicken Nebel ein¬
gehüllt, meinen herrlichsten Progressen selbstlohnenden stillen und sichern Preis
zugeflüstert."

Eine sehr ansprechende Erläuterung zu diesem merkwürdigen Briefe giebt
uns Hciym. „Er durchschaute die Unhaltbarkeit der neuen politischen Bildungen
und den notwendigen Ausgang der so geräuschvoll verkündeten Welteroberuug.
Eine innere Umwandlung begleitete den Wechsel seiner Ansichten über die Revo¬
lution. Er fühlte, daß der sittliche Boden, auf welchem er sich bewegte, der¬
selbe Boden einer überreizten und frivolen Kultur sei, aus welchem jene fran¬
zösischen Ereignisse hervorgewachsen waren. In seinen besten Stunden ward
er inne, daß wahres Glück nicht im Sinnengenuß liege, daß die abstrakte
Geistigkeit und Gefuhlsschwelgerei ohne den Wiederhall des Charakters und ohne
umsichtige Weltbeurteilung nur zum Verderben führen könne. Sein weiches,
bestimmbares Wesen kostete zum erstenmale den Reiz eines ernsten sittlichen
Wollens, eines Sinnes, der sich fest und unerschütterlich dem Strome der Welt
und der Dinge entgegenwirft; er malte sich diese neue Lebensansicht als sein
eignes Ideal aus."

Auf keinen Fall ist jedoch der Wandel in seiner politischen Denkart ganz
oder auch nur in erster Linie auf den Einfluß Burkes zurückzuführen. Die
„Betrachtungen" waren schon im Herbst des Jahres 17V0 erschienen, die fran¬
zösische Übersetzung von Dupont war ihr sehr bald gefolgt und erlebte binnen
kurzem achtzehn Auflagen. Auch bedürfte es in Deutschland garnicht erst des
warnenden Rufes von England, um auch hier einen Rückschlag gegen die all¬
gemeine Anerkennung der Revolution zu erzeugen. Es hat von allem Anfang
an in Deutschland eine literarische Richtung gegeben, welche historisch-politische
Bedenken gegen die Revolution erhob. Bis jetzt hat man dies freilich wenig
beachtet. Sie knüpft zum Teil an Justus Möser, zum Teil an die Göttinger
historische Schule an: Schlözer vertrat sie in dem „Staatsanzeiger," wo sich
u. a. Auszüge aus dem antirevolutionüren.lonrniü xoliticins Rivarols finden;
Rehberg in der Jenaer Literaturzeitung (im Juli 1790, in Berichten über
Schriften, die die Revolution betrafen"), endlich der hnnnöverische Legations-
sekretür E. Brandes in einem Buche, das erst 1790 bei Maule in Jena erschien.
Alle die Gründe, die Burke — und dann Gentz — gegen die Revolution vor-



Sie erschienen 1793 gesammelt unter dem Titel „Untersuchungen über die franzö¬
sische Revolution."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/70>, abgerufen am 17.09.2024.