Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Friedrich von Gentz. Gentz war also damals noch in den Irrtümern befangen, in welchen fast das Etwa ein halbes Jahr später dürste es gewesen sein, daß Gentz an die Friedrich von Gentz. Gentz war also damals noch in den Irrtümern befangen, in welchen fast das Etwa ein halbes Jahr später dürste es gewesen sein, daß Gentz an die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288522"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich von Gentz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> Gentz war also damals noch in den Irrtümern befangen, in welchen fast das<lb/> ganze literarisch gebildete Deutschland lebte. Ebenso dachte sein Vetter Ancillon,<lb/> der in Paris gewesen war und zahlreiche verbotene Flugschriften von dorther<lb/> mit nach Berlin gebracht hatte, ebenso Wilhelm von Humboldt, der Gentz so<lb/> bezauberte, daß er an Garve schrieb: in ihm bete er die Menschheit an. ebenso<lb/> auch der Kreis, der sich um Henriette Hertz zusammenfand und in den Gentz<lb/> damals bereits eingeführt war. Als daher gegen Ende des Jahres 1790 in<lb/> der „Deutschen Monatsschrift" über die Erklärung der Menschenrechte in einem<lb/> „gleichgiltig zweifelnden Tone" geschrieben wurde, faßte Gentz voll Entrüstung<lb/> den Plan einer „Deduktion des Naturrechts nach strikten und unleugbaren<lb/> Prinzipien." Wirklich führte er ihn auch aus, doch wagte er nicht, in die<lb/> Öffentlichkeit damit zu treten, bis Ancillon ihn doch dazu bewog. So erschien<lb/> denn im März 1791 — ebenfalls in der Monatsschrift, da sie ihre Objektivität<lb/> an den Tag legen wollte — sein erster Aufsatz „Über den Ursprung und die<lb/> obersten Prinzipien des Rechtes." Er betrachtet darin das Werk der National¬<lb/> versammlung als einen großartigen Versuch, „die alten Grundsteine, die das<lb/> ehrwürdige Gebäude freier Meuschenverbindung tragen müssen, aus allen den<lb/> Steinmassen, die Sorglosigkeit und der Luxus so vieler Jahrhunderte darüber<lb/> türmten, aus so manchen Ruinen, die Barbarei oder Tyrannenmacht darauf<lb/> mälzte, hervorzugrabeu."</p><lb/> <p xml:id="ID_179" next="#ID_180"> Etwa ein halbes Jahr später dürste es gewesen sein, daß Gentz an die<lb/> Übersetzung von Edmund Burkcs Betrachtungen über die französische Revolution<lb/> ging; sie erschien in zwei Bänden im Jahre 1792. Schon dieses Unternehmen<lb/> allein würde beweisen, daß sich in seinen Ansichten über jene Staatsumwälzung<lb/> eine große Wandlung vollzogen hatte, wenn uns dies auch die Noten dazu<lb/> und die der Burteschen Schrift angehängten eignen Aufsätze — über politische<lb/> Freiheit, über Moralität der Staatsrevolutionen, über die Deklaration der<lb/> Rechte u. a. — nicht ausdrücklich bezeugten. Wodurch diese Wandlung bewirkt<lb/> worden ist, sagt er selber nicht. Ein Brief aber, den er 1792 — nach langem<lb/> Stillschweigen, wie es scheint — an die Königsberger Freundin richtete, läßt<lb/> uns annehmen, daß er diese Wendung als einen großen Fortschritt ansah und<lb/> ihm große Bedeutung für seine weitere Entwicklung beilegte. Allen Gerüchten<lb/> zum Trotz, heißt es darin, sei er ihrer Freundschaft immer noch wert. Er<lb/> richte sich mit unbarmherziger Strenge, doch könne er sagen, daß er „mit un-<lb/> aufgehaltenem Schritt zur Vollkommenheit gegangen" sei, sein Wachstum sei<lb/> ununterbrochen gewesen, durch mißliche Lagen, Fehltritte und das Elend ihrer<lb/> Folgen hindurch. „Das war es gerade, was mich bilden mußte." „Die Glück¬<lb/> seligkeit — fährt er dann fort — ist ein süßer, aber ein unnützer Traum und<lb/> daher ein fliehender Schatten, wenn die Brust nicht gestählt, der Gesichtskreis<lb/> der Beurteilung nicht erweitert, die Kraft, die da fühlt und wieder zurückwirkt,<lb/> nicht gesichert, der Einfluß des äußern Wesen nicht, ohne Verlust für die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
Friedrich von Gentz.
Gentz war also damals noch in den Irrtümern befangen, in welchen fast das
ganze literarisch gebildete Deutschland lebte. Ebenso dachte sein Vetter Ancillon,
der in Paris gewesen war und zahlreiche verbotene Flugschriften von dorther
mit nach Berlin gebracht hatte, ebenso Wilhelm von Humboldt, der Gentz so
bezauberte, daß er an Garve schrieb: in ihm bete er die Menschheit an. ebenso
auch der Kreis, der sich um Henriette Hertz zusammenfand und in den Gentz
damals bereits eingeführt war. Als daher gegen Ende des Jahres 1790 in
der „Deutschen Monatsschrift" über die Erklärung der Menschenrechte in einem
„gleichgiltig zweifelnden Tone" geschrieben wurde, faßte Gentz voll Entrüstung
den Plan einer „Deduktion des Naturrechts nach strikten und unleugbaren
Prinzipien." Wirklich führte er ihn auch aus, doch wagte er nicht, in die
Öffentlichkeit damit zu treten, bis Ancillon ihn doch dazu bewog. So erschien
denn im März 1791 — ebenfalls in der Monatsschrift, da sie ihre Objektivität
an den Tag legen wollte — sein erster Aufsatz „Über den Ursprung und die
obersten Prinzipien des Rechtes." Er betrachtet darin das Werk der National¬
versammlung als einen großartigen Versuch, „die alten Grundsteine, die das
ehrwürdige Gebäude freier Meuschenverbindung tragen müssen, aus allen den
Steinmassen, die Sorglosigkeit und der Luxus so vieler Jahrhunderte darüber
türmten, aus so manchen Ruinen, die Barbarei oder Tyrannenmacht darauf
mälzte, hervorzugrabeu."
Etwa ein halbes Jahr später dürste es gewesen sein, daß Gentz an die
Übersetzung von Edmund Burkcs Betrachtungen über die französische Revolution
ging; sie erschien in zwei Bänden im Jahre 1792. Schon dieses Unternehmen
allein würde beweisen, daß sich in seinen Ansichten über jene Staatsumwälzung
eine große Wandlung vollzogen hatte, wenn uns dies auch die Noten dazu
und die der Burteschen Schrift angehängten eignen Aufsätze — über politische
Freiheit, über Moralität der Staatsrevolutionen, über die Deklaration der
Rechte u. a. — nicht ausdrücklich bezeugten. Wodurch diese Wandlung bewirkt
worden ist, sagt er selber nicht. Ein Brief aber, den er 1792 — nach langem
Stillschweigen, wie es scheint — an die Königsberger Freundin richtete, läßt
uns annehmen, daß er diese Wendung als einen großen Fortschritt ansah und
ihm große Bedeutung für seine weitere Entwicklung beilegte. Allen Gerüchten
zum Trotz, heißt es darin, sei er ihrer Freundschaft immer noch wert. Er
richte sich mit unbarmherziger Strenge, doch könne er sagen, daß er „mit un-
aufgehaltenem Schritt zur Vollkommenheit gegangen" sei, sein Wachstum sei
ununterbrochen gewesen, durch mißliche Lagen, Fehltritte und das Elend ihrer
Folgen hindurch. „Das war es gerade, was mich bilden mußte." „Die Glück¬
seligkeit — fährt er dann fort — ist ein süßer, aber ein unnützer Traum und
daher ein fliehender Schatten, wenn die Brust nicht gestählt, der Gesichtskreis
der Beurteilung nicht erweitert, die Kraft, die da fühlt und wieder zurückwirkt,
nicht gesichert, der Einfluß des äußern Wesen nicht, ohne Verlust für die
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