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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

die ich Ihnen vorpredige, und das weiß Gott mit innerem Gefühl ihrer
Wahrheit vorpredige, immer so getreu bin, als ich es Ihnen wünsche. Tugend¬
haft, weise, streng sogar in der Stunde der Betrachtung, schwach, thöricht, leicht¬
sinnig in dem Rausche des Lebens, überspringe ich oft genug die Linie, die ich
doch so gut kenne, die furchtbare feine Linie, die das Gute vom Bösen trennt."

Die Stelle bei der Seehandlung vertauschte Gentz 1786 mit dem Refe¬
rendaramt im Generaldirektorium; es war dies eine Zentralstelle für politische
Verwaltung, in der man das "Provinziell"- mit dem "Real"-System zu ver¬
einigen suchte, deren Wirksamkeit aber durch die zahlreichen Jmmediatbehörden,
welche von dem Generaldirektorium vollständig unabhängig waren: von dem
Zoll- und Acciseamt, dem Departement für Münzwesen, der Bank und See-
Handlung, dem Ministerium für Schlesien, vielfach durchkreuzt wurde. Jeden¬
falls bot sich hier dem angehenden Beamten Gelegenheit, mannichfache Zweige
der Staatsverwaltung, namentlich das Finanzwesen, gründlich kennen zu lernen.
Wir hören, daß Gentz zuerst in der Abteilung des Grafen Voß, welcher sich
vorzüglich mit den die Mark, Pommern und Südpreußen betreffenden Dingen
zu beschäftigen hatte, arbeitete und dessen Vertrauen genoß. Doch ist über die
Art seiner Thätigkeit, den Gang seiner praktisch-politischen Ausbildung sowohl
wie seiner theoretischen Studien in jenen Jahren nichts bekannt. Erst die
Briefe an Garve, den er auf einer mit den Eltern im September 1789 unter¬
nommenen Reise nach Breslau kennen lernte, verraten einiges: wir erfahren
da nur, daß er sich immer noch mit sittlichen Problemen beschäftigt und
daß er keineswegs mit sich zufrieden ist. "Ich bin einsamer und verwaister,
als Sie glauben mögen -- schreibt er am 6. Oktober 1789 --, für mich ist
es ein trauriges Bedürfnis der Schwachheit, mit vortrefflichen Menschen um¬
zugehen. Ich bin jung und habe viele Fehler." Aus Garves Umgang, ver¬
sichert er, sei ihm die tröstliche Gewißheit geflossen, daß die ehrwürdigen und
herrlichen Grundsätze der Moral nicht bloß kalt bewundert, sondern auch aus¬
geführt werden könnten, und daß man mit dem größten und hellsten Kopfe der
Tugend und der Pflicht ebenso streng und gewissenhaft anhängen könne, als
man ihr zuweilen aus frommer Eingeschränktheit und abergläubischer Schwärmers
anhänge. Die Leute aber, mit denen er verkehre, seien in der Theorie größtenteils
sehr schwach, und die schlechten Gründe schadeten bei ihm der guten Sache so, daß
er die Lust verliere, noch auf gute zu hören. Neben der Moral ist es aber jetzt auch
die Politik, die ihn beschäftigt. Die französische Revolution wird von ihm ganz
unter dem Kantischen Gesichtspunkte einer Verwirklichung des Naturrechts aufge¬
faßt und als solche begeistert gepriesen; noch im Dezember 1790 findet er, daß
die "Nationalversammlung immer noch zweckmäßig und weise handle, daß die Un¬
ruhen und Exzesse lange nicht so groß sind, als die Feinde sie schildern, und
daß, wenn keine unvorhergesehenen Hindernisse eintreten, wahrscheinlich ein glück¬
liches Ende das größte Werk, das die Geschichte aufweisen kaun, krönen wird."


Friedrich von Gentz.

die ich Ihnen vorpredige, und das weiß Gott mit innerem Gefühl ihrer
Wahrheit vorpredige, immer so getreu bin, als ich es Ihnen wünsche. Tugend¬
haft, weise, streng sogar in der Stunde der Betrachtung, schwach, thöricht, leicht¬
sinnig in dem Rausche des Lebens, überspringe ich oft genug die Linie, die ich
doch so gut kenne, die furchtbare feine Linie, die das Gute vom Bösen trennt."

Die Stelle bei der Seehandlung vertauschte Gentz 1786 mit dem Refe¬
rendaramt im Generaldirektorium; es war dies eine Zentralstelle für politische
Verwaltung, in der man das „Provinziell"- mit dem „Real"-System zu ver¬
einigen suchte, deren Wirksamkeit aber durch die zahlreichen Jmmediatbehörden,
welche von dem Generaldirektorium vollständig unabhängig waren: von dem
Zoll- und Acciseamt, dem Departement für Münzwesen, der Bank und See-
Handlung, dem Ministerium für Schlesien, vielfach durchkreuzt wurde. Jeden¬
falls bot sich hier dem angehenden Beamten Gelegenheit, mannichfache Zweige
der Staatsverwaltung, namentlich das Finanzwesen, gründlich kennen zu lernen.
Wir hören, daß Gentz zuerst in der Abteilung des Grafen Voß, welcher sich
vorzüglich mit den die Mark, Pommern und Südpreußen betreffenden Dingen
zu beschäftigen hatte, arbeitete und dessen Vertrauen genoß. Doch ist über die
Art seiner Thätigkeit, den Gang seiner praktisch-politischen Ausbildung sowohl
wie seiner theoretischen Studien in jenen Jahren nichts bekannt. Erst die
Briefe an Garve, den er auf einer mit den Eltern im September 1789 unter¬
nommenen Reise nach Breslau kennen lernte, verraten einiges: wir erfahren
da nur, daß er sich immer noch mit sittlichen Problemen beschäftigt und
daß er keineswegs mit sich zufrieden ist. „Ich bin einsamer und verwaister,
als Sie glauben mögen — schreibt er am 6. Oktober 1789 —, für mich ist
es ein trauriges Bedürfnis der Schwachheit, mit vortrefflichen Menschen um¬
zugehen. Ich bin jung und habe viele Fehler." Aus Garves Umgang, ver¬
sichert er, sei ihm die tröstliche Gewißheit geflossen, daß die ehrwürdigen und
herrlichen Grundsätze der Moral nicht bloß kalt bewundert, sondern auch aus¬
geführt werden könnten, und daß man mit dem größten und hellsten Kopfe der
Tugend und der Pflicht ebenso streng und gewissenhaft anhängen könne, als
man ihr zuweilen aus frommer Eingeschränktheit und abergläubischer Schwärmers
anhänge. Die Leute aber, mit denen er verkehre, seien in der Theorie größtenteils
sehr schwach, und die schlechten Gründe schadeten bei ihm der guten Sache so, daß
er die Lust verliere, noch auf gute zu hören. Neben der Moral ist es aber jetzt auch
die Politik, die ihn beschäftigt. Die französische Revolution wird von ihm ganz
unter dem Kantischen Gesichtspunkte einer Verwirklichung des Naturrechts aufge¬
faßt und als solche begeistert gepriesen; noch im Dezember 1790 findet er, daß
die „Nationalversammlung immer noch zweckmäßig und weise handle, daß die Un¬
ruhen und Exzesse lange nicht so groß sind, als die Feinde sie schildern, und
daß, wenn keine unvorhergesehenen Hindernisse eintreten, wahrscheinlich ein glück¬
liches Ende das größte Werk, das die Geschichte aufweisen kaun, krönen wird."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/68>, abgerufen am 17.09.2024.