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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

griff zu nehmen, bis neues Gehölz aufgeschossen ist, dann wiederholt sich der
ganze Vorgang. Denn der Wald ist hier fast ohne Verkaufswert, soweit er
nicht bequem genug liegt, um Holz für Dampfschiffe und Lokomotiven zu liefern.

So ging es vierunddreißig Werst, fast fünf deutsche Meilen, weit fort,
mit nur einmaligem Pferdewechsel nach vierzehn Werst; allmählich senkte sich
der Abend über die fremdartige, melancholische Landschaft, dunkler Wald nahm
uns auf. Da scholl von fern durch die stille Nacht dumpfes, gleichmäßiges
Tosen, das war der Jmatra, und plötzlich bei einer Wegbiegung tauchte ein
schönes, in Holz aufgeführtes, ausgedehntes Gasthaus vor uns auf, das "Hotel
Jmatra," eine Kulturoase in der Wildnis. Es war gegen halb zehn Uhr.
Ein vortreffliches Zimmer eröffnete erfreuliche Aussichten für die Nacht, ein
geräumiger hoher Speisesaal bot nach mehr als zwölfstündiger, kaum unter¬
brochener Fahrt auf Eisenbahn, Dampfer und Post durchaus zivilisirte Genüsse,
welche die Speisekarte auch in deutscher Sprache zur Verfügung stellte, wie
denn auch die meisten Kellner des Deutschen mächtig waren. Das Haus war
wenig besetzt; das stattlichste Kontingent zu den Gästen stellten etwa fünfzig
Zöglinge der Petersburger Marineschule, hübsche Jungen drunter, alle in
Matroseutracht. An langer Tafel genossen sie ihr Nationalgetränk, den unüber¬
trefflichen russischen Thee, zum Abendimbiß, dann traten sie auf ein Hornsignal
zum Gebet zusammen, im Chöre respondirend. Draußen aber löste mit gleich¬
förmigem, majestätischem Donnerhall der Jmatra.

Ein wundervoller Morgen zeigte ihn in Hellem Sonnenlicht, denn ein tief¬
blauer Himmel wölbte sich über Wald, Fels und Wasserschwall. Der Jmatra
ist kein Fall, sondern eine riesige Stromschnelle. Kurz oberhalb der Stelle,
wo sich jetzt das Hotel erhebt, breitet sich der Wuoksen, der einzige Abfluß des
Saimasees nach dem Ladogasee, weit aus, eine waldige Insel umschlingend;
dann sich wieder vereinigend, wird er durch vortretende Felsen zusammengepreßt
und schießt nun hinein in die Enge, indem er auf einer Strecke von dreihundert
Metern um zwanzig Meter fällt. Zwischen dunkelroten, schroffen Granitfelsen,
die düstere Tannen und weißstämmige Birken krönen, tost die riesige Wasser¬
masse pfeilschnell herab, ganz aufgelöst in Weißen Schaum, zuweilen wie zornig
hochaufbäumend und den feinen Sprühregen emporsendend über das Ufer. Von
unten gesehen, da, wo ein Vorsprung, halb von den Schaumwcllen überspült,
in deu Strom hineinragt, gleicht er einer einzigen, wildbewegten, weißen Masse.
Nach solcher tollen Jagd strömt er in ein weites, rundes Becken hinein, immer
noch in wilden Wirbeln sich windend und hier jene sonderbar kreis- oder eirund
geformten flachen Steine abschleifend, die als geologische Merkwürdigkeit hier
überall feilgeboten werden, bis endlich der Schwall sich langsam glättet.

Noch voll von dem mächtigen Eindruck des gewaltigen Schauspiels, be¬
stiegen wir um elf Uhr den Wagen, der uns nach dem nächsten Landungsplätze
des Saimasees, Jakosensranta, bringen sollte. Die Fahrt ging bestündig an-


Russische Skizzen.

griff zu nehmen, bis neues Gehölz aufgeschossen ist, dann wiederholt sich der
ganze Vorgang. Denn der Wald ist hier fast ohne Verkaufswert, soweit er
nicht bequem genug liegt, um Holz für Dampfschiffe und Lokomotiven zu liefern.

So ging es vierunddreißig Werst, fast fünf deutsche Meilen, weit fort,
mit nur einmaligem Pferdewechsel nach vierzehn Werst; allmählich senkte sich
der Abend über die fremdartige, melancholische Landschaft, dunkler Wald nahm
uns auf. Da scholl von fern durch die stille Nacht dumpfes, gleichmäßiges
Tosen, das war der Jmatra, und plötzlich bei einer Wegbiegung tauchte ein
schönes, in Holz aufgeführtes, ausgedehntes Gasthaus vor uns auf, das „Hotel
Jmatra," eine Kulturoase in der Wildnis. Es war gegen halb zehn Uhr.
Ein vortreffliches Zimmer eröffnete erfreuliche Aussichten für die Nacht, ein
geräumiger hoher Speisesaal bot nach mehr als zwölfstündiger, kaum unter¬
brochener Fahrt auf Eisenbahn, Dampfer und Post durchaus zivilisirte Genüsse,
welche die Speisekarte auch in deutscher Sprache zur Verfügung stellte, wie
denn auch die meisten Kellner des Deutschen mächtig waren. Das Haus war
wenig besetzt; das stattlichste Kontingent zu den Gästen stellten etwa fünfzig
Zöglinge der Petersburger Marineschule, hübsche Jungen drunter, alle in
Matroseutracht. An langer Tafel genossen sie ihr Nationalgetränk, den unüber¬
trefflichen russischen Thee, zum Abendimbiß, dann traten sie auf ein Hornsignal
zum Gebet zusammen, im Chöre respondirend. Draußen aber löste mit gleich¬
förmigem, majestätischem Donnerhall der Jmatra.

Ein wundervoller Morgen zeigte ihn in Hellem Sonnenlicht, denn ein tief¬
blauer Himmel wölbte sich über Wald, Fels und Wasserschwall. Der Jmatra
ist kein Fall, sondern eine riesige Stromschnelle. Kurz oberhalb der Stelle,
wo sich jetzt das Hotel erhebt, breitet sich der Wuoksen, der einzige Abfluß des
Saimasees nach dem Ladogasee, weit aus, eine waldige Insel umschlingend;
dann sich wieder vereinigend, wird er durch vortretende Felsen zusammengepreßt
und schießt nun hinein in die Enge, indem er auf einer Strecke von dreihundert
Metern um zwanzig Meter fällt. Zwischen dunkelroten, schroffen Granitfelsen,
die düstere Tannen und weißstämmige Birken krönen, tost die riesige Wasser¬
masse pfeilschnell herab, ganz aufgelöst in Weißen Schaum, zuweilen wie zornig
hochaufbäumend und den feinen Sprühregen emporsendend über das Ufer. Von
unten gesehen, da, wo ein Vorsprung, halb von den Schaumwcllen überspült,
in deu Strom hineinragt, gleicht er einer einzigen, wildbewegten, weißen Masse.
Nach solcher tollen Jagd strömt er in ein weites, rundes Becken hinein, immer
noch in wilden Wirbeln sich windend und hier jene sonderbar kreis- oder eirund
geformten flachen Steine abschleifend, die als geologische Merkwürdigkeit hier
überall feilgeboten werden, bis endlich der Schwall sich langsam glättet.

Noch voll von dem mächtigen Eindruck des gewaltigen Schauspiels, be¬
stiegen wir um elf Uhr den Wagen, der uns nach dem nächsten Landungsplätze
des Saimasees, Jakosensranta, bringen sollte. Die Fahrt ging bestündig an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/654>, abgerufen am 17.09.2024.