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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

Wiborgs. Von jetzt ab ändert sich das einigermaßen, wenn wir, den Saima-
kanal verlassend, die Reise zu Lande fortsetzen. Ein halboffener Omnibus,
international Diligence benannt, nahm die kleine, buntgemischte Reisegesellschaft
auf, die übrigens, einen Franzosen und eine russische Dame mit eingeschlossen,
durchaus in deutscher Sprache verkehrte. Zunächst geht es auf schnurgerader
Straße, auch einer Schöpfung der Jmatragesellschaft, durch dichten Wald, erst
an der Poststraße wird das Land offener, die Gestalt des Geländes tritt deut¬
licher hervor. Es ist ein welliges Felsplateau, zuweilen unterbrochen von
einem langgestreckten, höheren und steileren Rücken, der von ferne den Eindruck
eines Gebirgszuges macht; an den tiefern Stellen blitzt Wohl der Spiegel eines
stillen Sees auf. Beständig führt die Straße bergauf, bergab über hölzerne
Brücken; erreicht der Wagen die Höhe, dann treibt unser Rosselenker sein Drei¬
gespann zum schärfsten Trabe hinunter und an der andern Seite des Thales
wieder hinauf, bis er die stärkste Steigung überwunden hat; von Schleifzeug
und Hemmschuh ist keine Rede. An Stellen, wo er langsamer fahren muß,
lagern mit schlauer Berechnung Nudel von Kindern am Wege, hellblond und
rotbäckig, dürftig, aber reinlich gekleidet; unermüdlich bieten sie Körbchen und
Schuhe aus Birkenbast an, oder knotige "Jmatrastöcke." laufen unverdrossen
dem rollenden Wagen im Staube nach, bis endlich die Kraft nachläßt oder
irgend ein Reisender sich erweichen läßt. Die kleine Gesellschaft gehört den
zahlreichen Dörfern an, an denen die Straße vorüberführt. Ohne sichtbare
Ordnung liegen die Höfe durcheinander, die Gebäude durchweg von Holz genau
in der Art wie in Ingermannland gebaut, nur etwas umfänglicher, obwohl
selten mit einem Anfluge von Wohlstand, mit Ausnahme der wenigen guts¬
herrlichen Höfe. Charakteristisch ist ihnen nur die Getreidedarre. Ziemlich
ausgedehnte Wiesen und Felder liegen in der unmittelbaren Nachbarschaft der
Orte, die letzteren in ziemlich breiten Streifen, die oft durch Gräben getrennt
sind, mit Gerste, Hafer und Roggen bebaut und damals -- Anfang August --
z. T. schon abgeerntet, wobei man das Getreide in Puppen setzt, welche genau
dieselbe Form haben wie in Mitteldeutschland. Dazwischen starren oft mächtige
Blöcke roten Granits. Alles ist mit leichten Holzstaketen eingefriedigt, wie in
unsern Alpen, denn das Vieh läuft den ganzen Sommer auf der Weide und
bringt auch die Nacht in einem Pferch am Dorfe zu. Höchst fremdartig aber
wirken neugebrochene Ackerflnren in größern Entfernungen von den Dörfern,
denn sie führen einen Zustand vor Augen, der bei uns am Anfange aller Ge¬
schichte liegt, die Brennwirtschaft. Auf einem mäßig großen Stücke wird der
Wald, meist Birken, geschlagen, dann alles, Stämme, Laub, Gestrüpp und
Unterholz angezündet, in den durch die Asche gedüngten Boden Korn gesät, das
vortrefflich gedeiht. Die gefällten, nur augekohlten Stämme liefern das Material
zur Einzäunung, die verkohlten Baumstümpfe bleiben stehen. Nach der Ernte
läßt man das Stück etwa zwanzig Jahre lang liegen, um ein andres in An-


Russische Skizzen.

Wiborgs. Von jetzt ab ändert sich das einigermaßen, wenn wir, den Saima-
kanal verlassend, die Reise zu Lande fortsetzen. Ein halboffener Omnibus,
international Diligence benannt, nahm die kleine, buntgemischte Reisegesellschaft
auf, die übrigens, einen Franzosen und eine russische Dame mit eingeschlossen,
durchaus in deutscher Sprache verkehrte. Zunächst geht es auf schnurgerader
Straße, auch einer Schöpfung der Jmatragesellschaft, durch dichten Wald, erst
an der Poststraße wird das Land offener, die Gestalt des Geländes tritt deut¬
licher hervor. Es ist ein welliges Felsplateau, zuweilen unterbrochen von
einem langgestreckten, höheren und steileren Rücken, der von ferne den Eindruck
eines Gebirgszuges macht; an den tiefern Stellen blitzt Wohl der Spiegel eines
stillen Sees auf. Beständig führt die Straße bergauf, bergab über hölzerne
Brücken; erreicht der Wagen die Höhe, dann treibt unser Rosselenker sein Drei¬
gespann zum schärfsten Trabe hinunter und an der andern Seite des Thales
wieder hinauf, bis er die stärkste Steigung überwunden hat; von Schleifzeug
und Hemmschuh ist keine Rede. An Stellen, wo er langsamer fahren muß,
lagern mit schlauer Berechnung Nudel von Kindern am Wege, hellblond und
rotbäckig, dürftig, aber reinlich gekleidet; unermüdlich bieten sie Körbchen und
Schuhe aus Birkenbast an, oder knotige „Jmatrastöcke." laufen unverdrossen
dem rollenden Wagen im Staube nach, bis endlich die Kraft nachläßt oder
irgend ein Reisender sich erweichen läßt. Die kleine Gesellschaft gehört den
zahlreichen Dörfern an, an denen die Straße vorüberführt. Ohne sichtbare
Ordnung liegen die Höfe durcheinander, die Gebäude durchweg von Holz genau
in der Art wie in Ingermannland gebaut, nur etwas umfänglicher, obwohl
selten mit einem Anfluge von Wohlstand, mit Ausnahme der wenigen guts¬
herrlichen Höfe. Charakteristisch ist ihnen nur die Getreidedarre. Ziemlich
ausgedehnte Wiesen und Felder liegen in der unmittelbaren Nachbarschaft der
Orte, die letzteren in ziemlich breiten Streifen, die oft durch Gräben getrennt
sind, mit Gerste, Hafer und Roggen bebaut und damals — Anfang August —
z. T. schon abgeerntet, wobei man das Getreide in Puppen setzt, welche genau
dieselbe Form haben wie in Mitteldeutschland. Dazwischen starren oft mächtige
Blöcke roten Granits. Alles ist mit leichten Holzstaketen eingefriedigt, wie in
unsern Alpen, denn das Vieh läuft den ganzen Sommer auf der Weide und
bringt auch die Nacht in einem Pferch am Dorfe zu. Höchst fremdartig aber
wirken neugebrochene Ackerflnren in größern Entfernungen von den Dörfern,
denn sie führen einen Zustand vor Augen, der bei uns am Anfange aller Ge¬
schichte liegt, die Brennwirtschaft. Auf einem mäßig großen Stücke wird der
Wald, meist Birken, geschlagen, dann alles, Stämme, Laub, Gestrüpp und
Unterholz angezündet, in den durch die Asche gedüngten Boden Korn gesät, das
vortrefflich gedeiht. Die gefällten, nur augekohlten Stämme liefern das Material
zur Einzäunung, die verkohlten Baumstümpfe bleiben stehen. Nach der Ernte
läßt man das Stück etwa zwanzig Jahre lang liegen, um ein andres in An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/653>, abgerufen am 17.09.2024.