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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.
von Btto Kaemmel. (Schluß.)

le wenig im Grunde diese russische Kultur imstande ist, auf eine
fremde, ihr gleichstehende oder gar überlegene zu wirken, falls
sie nicht rohe Gewalt anwendet, lehrt ein Blick auf Finnland.

Sobald man auf dem finnischen Bahnhofe in Petersburg an¬
langt, ist man nicht mehr in Rußland. Alles trägt westeuropäische,
vorwiegend schwedische Färbung: Uniformen, Kalender, Post, Münzen, schließlich
die Sprache. Denn neben und über dem Russischen treten sofort Finnisch und
schwedisch auf. Bis zur finnischen Grenze tragen die netten, hölzernen Stations¬
gebäude die Aufschriften auch in russischer Sprache, weiterhin nur noch in abend¬
ländischer Schrift; selbst die "Mamsell," welche das nach schwedischer Art reichlich
ausgestattete Büffet bedient, spricht dort gelegentlich nur finnisch und schwedisch,
aber nicht russisch. Umfassender scheinen die Sprachkenntnisse der Schaffner, die
wohl auch des Deutschen mächtig sind, und die Anschläge vollends, welche die Vor¬
schriften über das Rauchen in den Wagen enthalten, verkünden diese nicht nur
in den drei hier zunächst liegenden Sprachen, sondern auch deutsch, französisch
und englisch, wobei das Deutsche vorangestellt wird, seiner herrschenden Be¬
deutung im Norden und Osten entsprechend.

Die Gegend freilich, durch die zunächst der Zug führt, trägt den allge¬
meinen Charakter der Umgebung Petersburgs. Nachdem die netten Villen¬
vororte Pargalowo und Schuwalowo passirt sind, folgen ununterbrochen Wald
und Heide und Moor. So geht es vier Stunden lang bis Wiborg, erst dort
ändert sich das Bild. Nur der Jswoschtschik erinnert an Rußland, dazu die
dreisprachigen Straßenaufschriften und Firmen wie die Kuppeln einer russischen
Kirche, sonst wenig oder nichts, obwohl dieser Landstrich schon seit 1721 unter




Russische Skizzen.
von Btto Kaemmel. (Schluß.)

le wenig im Grunde diese russische Kultur imstande ist, auf eine
fremde, ihr gleichstehende oder gar überlegene zu wirken, falls
sie nicht rohe Gewalt anwendet, lehrt ein Blick auf Finnland.

Sobald man auf dem finnischen Bahnhofe in Petersburg an¬
langt, ist man nicht mehr in Rußland. Alles trägt westeuropäische,
vorwiegend schwedische Färbung: Uniformen, Kalender, Post, Münzen, schließlich
die Sprache. Denn neben und über dem Russischen treten sofort Finnisch und
schwedisch auf. Bis zur finnischen Grenze tragen die netten, hölzernen Stations¬
gebäude die Aufschriften auch in russischer Sprache, weiterhin nur noch in abend¬
ländischer Schrift; selbst die „Mamsell," welche das nach schwedischer Art reichlich
ausgestattete Büffet bedient, spricht dort gelegentlich nur finnisch und schwedisch,
aber nicht russisch. Umfassender scheinen die Sprachkenntnisse der Schaffner, die
wohl auch des Deutschen mächtig sind, und die Anschläge vollends, welche die Vor¬
schriften über das Rauchen in den Wagen enthalten, verkünden diese nicht nur
in den drei hier zunächst liegenden Sprachen, sondern auch deutsch, französisch
und englisch, wobei das Deutsche vorangestellt wird, seiner herrschenden Be¬
deutung im Norden und Osten entsprechend.

Die Gegend freilich, durch die zunächst der Zug führt, trägt den allge¬
meinen Charakter der Umgebung Petersburgs. Nachdem die netten Villen¬
vororte Pargalowo und Schuwalowo passirt sind, folgen ununterbrochen Wald
und Heide und Moor. So geht es vier Stunden lang bis Wiborg, erst dort
ändert sich das Bild. Nur der Jswoschtschik erinnert an Rußland, dazu die
dreisprachigen Straßenaufschriften und Firmen wie die Kuppeln einer russischen
Kirche, sonst wenig oder nichts, obwohl dieser Landstrich schon seit 1721 unter


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[0651] [Abbildung] Russische Skizzen. von Btto Kaemmel. (Schluß.) le wenig im Grunde diese russische Kultur imstande ist, auf eine fremde, ihr gleichstehende oder gar überlegene zu wirken, falls sie nicht rohe Gewalt anwendet, lehrt ein Blick auf Finnland. Sobald man auf dem finnischen Bahnhofe in Petersburg an¬ langt, ist man nicht mehr in Rußland. Alles trägt westeuropäische, vorwiegend schwedische Färbung: Uniformen, Kalender, Post, Münzen, schließlich die Sprache. Denn neben und über dem Russischen treten sofort Finnisch und schwedisch auf. Bis zur finnischen Grenze tragen die netten, hölzernen Stations¬ gebäude die Aufschriften auch in russischer Sprache, weiterhin nur noch in abend¬ ländischer Schrift; selbst die „Mamsell," welche das nach schwedischer Art reichlich ausgestattete Büffet bedient, spricht dort gelegentlich nur finnisch und schwedisch, aber nicht russisch. Umfassender scheinen die Sprachkenntnisse der Schaffner, die wohl auch des Deutschen mächtig sind, und die Anschläge vollends, welche die Vor¬ schriften über das Rauchen in den Wagen enthalten, verkünden diese nicht nur in den drei hier zunächst liegenden Sprachen, sondern auch deutsch, französisch und englisch, wobei das Deutsche vorangestellt wird, seiner herrschenden Be¬ deutung im Norden und Osten entsprechend. Die Gegend freilich, durch die zunächst der Zug führt, trägt den allge¬ meinen Charakter der Umgebung Petersburgs. Nachdem die netten Villen¬ vororte Pargalowo und Schuwalowo passirt sind, folgen ununterbrochen Wald und Heide und Moor. So geht es vier Stunden lang bis Wiborg, erst dort ändert sich das Bild. Nur der Jswoschtschik erinnert an Rußland, dazu die dreisprachigen Straßenaufschriften und Firmen wie die Kuppeln einer russischen Kirche, sonst wenig oder nichts, obwohl dieser Landstrich schon seit 1721 unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/651>, abgerufen am 17.09.2024.