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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz,

ein dringendes Bedürfnis ist. Unterbliebe diese von der tschechischen Majorität
im Präger Parlament bisher immer zurückgewiesene Maßregel noch lange, so
würde bei politischen Prozessen, die gegen Deutsche zu verhandeln sind, das
sonst ausnahmsweise angewendete Mittel der Delegation eines andern Schwur¬
gerichts zur Regel werden müssen.

"Summa Summarum, meine Herren -- sagte Hallwich seinen Kollegen
im Abgeordnetenhause des Reichsrath --, nicht mehr Richter, nicht mehr Ge¬
richtsdiener, nicht mehr Gerichtsbeisitzer, nicht mehr Geschworner soll der Deutsche
in Böhmen werden. Welche Rolle gebührt ihm noch vor Gericht? Ihm bleibt
uur noch die Rolle des Delinquenten!"

Mein nächster Bries wird zeigen, wie man in Böhmen mit andern Mitteln,
namentlich mit der Gründung tschechischer Schulen, welche die deutschen Ge¬
meinden dann zu erhalten gezwungen werden, das Werk der Tschechisirung
Deutschböhmens betreibt.




Friedrich von Gentz"
i.

le Biographie Friedrichs von Gentz ist noch nicht geschrieben. Das
wohlgemeinte Buch von Schmidt-Weißenfels ist heute ganz ver¬
altet und höchstens wegen eines Jugendbildes von Gentz, das sich
im ersten Bande findet, noch nachzuschlagen. Bleibenden Wert
hat die Charakteristik, die R. Haym in der Encyklopädie von Ersch
und Gruber veröffentlicht hat, für die Erkenntnis der ersten Periode seines viel¬
bewegten Lebens, für die spätern lag damals noch zu wenig Material vor.
Die letzten zwei Jahrzehnte haben dieses Material ungemein vermehrt. Zu den
Briefen von und an Gentz, welche früher von Varnhagen, Dorow, Schlesier,
Weil und Schönborn herausgegeben worden waren, fügte der leider so früh
verstorbene Historiker Mendelssohn-Bartholdy die Ausgabe seines Briefwechsels
mit Pilat, dem offiziellen Journalisten Metternichs, der 1365 zu Wien starb,
dann der ältere Graf Prokesch-Osten zwei Bände von Denkschriften und Briefen
an verschiedne Persönlichkeiten; von Klinkowström brachte 1370 aus der alten
Registratur der Wiener Staatskanzlei einiges neue hinzu, Fournier beleuchtete
in seiner Schrift "Gentz und Cobenzl" auf Grund noch unbekannter Akten und
Briefe die Verhältnisse, welche den Berliner Kriegsrat in österreichische Dienste
führten, und seiue Thätigkeit in Wien bis zum Frieden von Preßburg, indem
er zugleich im Anhang eine wertvolle Arbeit der Gentzschen Feder, die Denb-


Grenzbotcn II. 1887. 3
Friedrich von Gentz,

ein dringendes Bedürfnis ist. Unterbliebe diese von der tschechischen Majorität
im Präger Parlament bisher immer zurückgewiesene Maßregel noch lange, so
würde bei politischen Prozessen, die gegen Deutsche zu verhandeln sind, das
sonst ausnahmsweise angewendete Mittel der Delegation eines andern Schwur¬
gerichts zur Regel werden müssen.

„Summa Summarum, meine Herren — sagte Hallwich seinen Kollegen
im Abgeordnetenhause des Reichsrath —, nicht mehr Richter, nicht mehr Ge¬
richtsdiener, nicht mehr Gerichtsbeisitzer, nicht mehr Geschworner soll der Deutsche
in Böhmen werden. Welche Rolle gebührt ihm noch vor Gericht? Ihm bleibt
uur noch die Rolle des Delinquenten!"

Mein nächster Bries wird zeigen, wie man in Böhmen mit andern Mitteln,
namentlich mit der Gründung tschechischer Schulen, welche die deutschen Ge¬
meinden dann zu erhalten gezwungen werden, das Werk der Tschechisirung
Deutschböhmens betreibt.




Friedrich von Gentz»
i.

le Biographie Friedrichs von Gentz ist noch nicht geschrieben. Das
wohlgemeinte Buch von Schmidt-Weißenfels ist heute ganz ver¬
altet und höchstens wegen eines Jugendbildes von Gentz, das sich
im ersten Bande findet, noch nachzuschlagen. Bleibenden Wert
hat die Charakteristik, die R. Haym in der Encyklopädie von Ersch
und Gruber veröffentlicht hat, für die Erkenntnis der ersten Periode seines viel¬
bewegten Lebens, für die spätern lag damals noch zu wenig Material vor.
Die letzten zwei Jahrzehnte haben dieses Material ungemein vermehrt. Zu den
Briefen von und an Gentz, welche früher von Varnhagen, Dorow, Schlesier,
Weil und Schönborn herausgegeben worden waren, fügte der leider so früh
verstorbene Historiker Mendelssohn-Bartholdy die Ausgabe seines Briefwechsels
mit Pilat, dem offiziellen Journalisten Metternichs, der 1365 zu Wien starb,
dann der ältere Graf Prokesch-Osten zwei Bände von Denkschriften und Briefen
an verschiedne Persönlichkeiten; von Klinkowström brachte 1370 aus der alten
Registratur der Wiener Staatskanzlei einiges neue hinzu, Fournier beleuchtete
in seiner Schrift „Gentz und Cobenzl" auf Grund noch unbekannter Akten und
Briefe die Verhältnisse, welche den Berliner Kriegsrat in österreichische Dienste
führten, und seiue Thätigkeit in Wien bis zum Frieden von Preßburg, indem
er zugleich im Anhang eine wertvolle Arbeit der Gentzschen Feder, die Denb-


Grenzbotcn II. 1887. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/65>, abgerufen am 17.09.2024.