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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht im Teutoburger Walde.

die Grausamkeit ihre Opfer forderte. Darum würde es auch ein Unrecht sein,
wenn unsre Phantasie bei solchen Szenen barbarischer Grausamkeit stehen bleiben
wollte. Will man den Wert des Ereignisses im Teutoburger Walde richtig
verstehen, will man die Bedeutung jener Kämpfe richtig würdigen, so darf die
Ermordung römischer Kriegsgefangenen nicht das letzte sein, an dem unsre
Erinnerung haften bleibt; vielmehr hat über solche Dinge hinweg sich unsre
Vorstellung zu der heldenhaften Gestalt eines Armin, zu den tapferen Strei¬
tern des alten Germaniens zu erheben. Wir haben uns die Lage der Dinge
zu vergegenwärtigen, aus der die That hervorgegangen ist, wir haben uns die
Schwierigkeiten vorzustellen, die dem Unternehmen der Deutschen im Wege ge¬
standen haben, wir haben uns endlich klar zu machen, was der Erfolg jener
Kämpfe gewesen ist.

Gewiß war der Sieg im Teutoburger Walde eine That, die unsre volle
Bewunderung verdient. Wie viele Völker hatten nicht bereits vergeblich versucht
die römische Herrschaft abzuschütteln. Es hatte auch sonst nicht an kühnen
Unternehmungen gefehlt; aber immer war es der römischen Macht und Kunst
gelungen, das aufständische Volk von neuem zu unterwerfen und unter sein
Joch zu beugen. Die That im Teutoburger Walde steht einzig da. Die
Römer hatten bereits das nordwestliche Deutschland mit einem Netz von Be¬
festigungen durchzogen. Ein zahlreiches, sieggewohntes Heer stand im Herzen
des unterworfenen Landes. Andre Truppen lagen am Rhein zur Hilfe bereit.
Es war zu jener Zeit, als das römische Imperium seinen Höhepunkt erreicht
hatte, als Ruhe im Innern herrschte, kein auswärtiger Feind das Land be¬
drohte, ein kluger Kaiser mit sicherer Hand das Staatsschiff leitete. Da wagt
es ein unternehmender Fürst im Verein mit Gleichgesinnten seines Volkes, die
Eroberer aus dem Lande zu vertreiben; er wagt es, obgleich ein Teil seiner
Landsleute es mit den Feinden hält und sich nicht scheut, sein Unternehmen zu
verraten. Und es gelingt ihm, den klug ersonnenen Plan zur Ausführung zu
bringen. Die römischen Legionen samt dem Troß werden in ein gebirgiges
Land gelockt, werden eingeschlossen und zu einem verzweiflungsvollen Kampfe
gezwungen. Das ganze römische Heer findet seinen Untergang. Nun werden
auch die römischen Besatzungen, die noch in den Festungen liegen, überfallen
und zur Übergabe gezwungen. Nur ein einziges Lager, Aliso, kann sich halten.
Aber vorbei ist es von nun an mit der Herrschaft der Römer zwischen der
Elbe und dem Rhein. Denn auch die Kriegszüge, welche einige Jahre später
Germaniens unternahm, um das Verlorene wiederzugewinnen, haben keinen Er¬
folg. Es gelingt auch in diesen Kämpfen, den deutschen Boden zu verteidigen.

Mit Recht wird also die Schlacht im Teutoburger Walde als die That
angesehen, dnrch welche die deutsche Nation vor dem Untergange gerettet worden
ist, mit Recht galt einst in alten Zeiten und gilt noch jetzt Armin der Che¬
ruskerfürst als der Befreier Deutschlands.




Die Schlacht im Teutoburger Walde.

die Grausamkeit ihre Opfer forderte. Darum würde es auch ein Unrecht sein,
wenn unsre Phantasie bei solchen Szenen barbarischer Grausamkeit stehen bleiben
wollte. Will man den Wert des Ereignisses im Teutoburger Walde richtig
verstehen, will man die Bedeutung jener Kämpfe richtig würdigen, so darf die
Ermordung römischer Kriegsgefangenen nicht das letzte sein, an dem unsre
Erinnerung haften bleibt; vielmehr hat über solche Dinge hinweg sich unsre
Vorstellung zu der heldenhaften Gestalt eines Armin, zu den tapferen Strei¬
tern des alten Germaniens zu erheben. Wir haben uns die Lage der Dinge
zu vergegenwärtigen, aus der die That hervorgegangen ist, wir haben uns die
Schwierigkeiten vorzustellen, die dem Unternehmen der Deutschen im Wege ge¬
standen haben, wir haben uns endlich klar zu machen, was der Erfolg jener
Kämpfe gewesen ist.

Gewiß war der Sieg im Teutoburger Walde eine That, die unsre volle
Bewunderung verdient. Wie viele Völker hatten nicht bereits vergeblich versucht
die römische Herrschaft abzuschütteln. Es hatte auch sonst nicht an kühnen
Unternehmungen gefehlt; aber immer war es der römischen Macht und Kunst
gelungen, das aufständische Volk von neuem zu unterwerfen und unter sein
Joch zu beugen. Die That im Teutoburger Walde steht einzig da. Die
Römer hatten bereits das nordwestliche Deutschland mit einem Netz von Be¬
festigungen durchzogen. Ein zahlreiches, sieggewohntes Heer stand im Herzen
des unterworfenen Landes. Andre Truppen lagen am Rhein zur Hilfe bereit.
Es war zu jener Zeit, als das römische Imperium seinen Höhepunkt erreicht
hatte, als Ruhe im Innern herrschte, kein auswärtiger Feind das Land be¬
drohte, ein kluger Kaiser mit sicherer Hand das Staatsschiff leitete. Da wagt
es ein unternehmender Fürst im Verein mit Gleichgesinnten seines Volkes, die
Eroberer aus dem Lande zu vertreiben; er wagt es, obgleich ein Teil seiner
Landsleute es mit den Feinden hält und sich nicht scheut, sein Unternehmen zu
verraten. Und es gelingt ihm, den klug ersonnenen Plan zur Ausführung zu
bringen. Die römischen Legionen samt dem Troß werden in ein gebirgiges
Land gelockt, werden eingeschlossen und zu einem verzweiflungsvollen Kampfe
gezwungen. Das ganze römische Heer findet seinen Untergang. Nun werden
auch die römischen Besatzungen, die noch in den Festungen liegen, überfallen
und zur Übergabe gezwungen. Nur ein einziges Lager, Aliso, kann sich halten.
Aber vorbei ist es von nun an mit der Herrschaft der Römer zwischen der
Elbe und dem Rhein. Denn auch die Kriegszüge, welche einige Jahre später
Germaniens unternahm, um das Verlorene wiederzugewinnen, haben keinen Er¬
folg. Es gelingt auch in diesen Kämpfen, den deutschen Boden zu verteidigen.

Mit Recht wird also die Schlacht im Teutoburger Walde als die That
angesehen, dnrch welche die deutsche Nation vor dem Untergange gerettet worden
ist, mit Recht galt einst in alten Zeiten und gilt noch jetzt Armin der Che¬
ruskerfürst als der Befreier Deutschlands.




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[0631] Die Schlacht im Teutoburger Walde. die Grausamkeit ihre Opfer forderte. Darum würde es auch ein Unrecht sein, wenn unsre Phantasie bei solchen Szenen barbarischer Grausamkeit stehen bleiben wollte. Will man den Wert des Ereignisses im Teutoburger Walde richtig verstehen, will man die Bedeutung jener Kämpfe richtig würdigen, so darf die Ermordung römischer Kriegsgefangenen nicht das letzte sein, an dem unsre Erinnerung haften bleibt; vielmehr hat über solche Dinge hinweg sich unsre Vorstellung zu der heldenhaften Gestalt eines Armin, zu den tapferen Strei¬ tern des alten Germaniens zu erheben. Wir haben uns die Lage der Dinge zu vergegenwärtigen, aus der die That hervorgegangen ist, wir haben uns die Schwierigkeiten vorzustellen, die dem Unternehmen der Deutschen im Wege ge¬ standen haben, wir haben uns endlich klar zu machen, was der Erfolg jener Kämpfe gewesen ist. Gewiß war der Sieg im Teutoburger Walde eine That, die unsre volle Bewunderung verdient. Wie viele Völker hatten nicht bereits vergeblich versucht die römische Herrschaft abzuschütteln. Es hatte auch sonst nicht an kühnen Unternehmungen gefehlt; aber immer war es der römischen Macht und Kunst gelungen, das aufständische Volk von neuem zu unterwerfen und unter sein Joch zu beugen. Die That im Teutoburger Walde steht einzig da. Die Römer hatten bereits das nordwestliche Deutschland mit einem Netz von Be¬ festigungen durchzogen. Ein zahlreiches, sieggewohntes Heer stand im Herzen des unterworfenen Landes. Andre Truppen lagen am Rhein zur Hilfe bereit. Es war zu jener Zeit, als das römische Imperium seinen Höhepunkt erreicht hatte, als Ruhe im Innern herrschte, kein auswärtiger Feind das Land be¬ drohte, ein kluger Kaiser mit sicherer Hand das Staatsschiff leitete. Da wagt es ein unternehmender Fürst im Verein mit Gleichgesinnten seines Volkes, die Eroberer aus dem Lande zu vertreiben; er wagt es, obgleich ein Teil seiner Landsleute es mit den Feinden hält und sich nicht scheut, sein Unternehmen zu verraten. Und es gelingt ihm, den klug ersonnenen Plan zur Ausführung zu bringen. Die römischen Legionen samt dem Troß werden in ein gebirgiges Land gelockt, werden eingeschlossen und zu einem verzweiflungsvollen Kampfe gezwungen. Das ganze römische Heer findet seinen Untergang. Nun werden auch die römischen Besatzungen, die noch in den Festungen liegen, überfallen und zur Übergabe gezwungen. Nur ein einziges Lager, Aliso, kann sich halten. Aber vorbei ist es von nun an mit der Herrschaft der Römer zwischen der Elbe und dem Rhein. Denn auch die Kriegszüge, welche einige Jahre später Germaniens unternahm, um das Verlorene wiederzugewinnen, haben keinen Er¬ folg. Es gelingt auch in diesen Kämpfen, den deutschen Boden zu verteidigen. Mit Recht wird also die Schlacht im Teutoburger Walde als die That angesehen, dnrch welche die deutsche Nation vor dem Untergange gerettet worden ist, mit Recht galt einst in alten Zeiten und gilt noch jetzt Armin der Che¬ ruskerfürst als der Befreier Deutschlands.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/631>, abgerufen am 17.09.2024.