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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Böhmen kraft jener Verordnung vom April 1885 bis zum Schluß dieses Jahres,
also in etwa neun Monaten, im Bezirke jener Kammer, der nicht eine einzige
tschechische Gemeinde ausweisen kann. 17, schreibe siebzehn erledigte Postmeister¬
stellen mit Übergehnng notorisch verdienterer, dienstälterer deutscher Bewerber
mit seinen tschechischen Protektionskindern besetzt hat. Wie mag er erst in
Bezirken, wo es wirklich-böhmische Dörfer, stockböhmische, tschechische Orte giebt,
neben deutschen, verfahren sein! Darin liegt unzweifelhaft System. Der Handels¬
minister behauptete zwar, die Verordnung enthielte nichts neues, und niemals
habe die PostVerwaltung den Grundsatz aufgestellt, inmitten einer deutschen Be¬
völkerung dürfe niemand ein Amt erhalten, der nicht beider Landessprachen
mächtig sei, und das ist richtig. Dennoch ist die Verordnung etwas neues;
denn sie setzt den frühern "Amtsunterricht" in der Verordnung vom 2. November
1859 ausdrücklich außer Kraft, und wenn der Minister nicht wissen sollte, was
die neue einschließt, so weiß es der Statthalter umso besser und handelt darnach.
Für ihn ist Böhmen ein staatsrechtlich untrennbares Ganze, für welches das
Tschechische die Staatssprache ist; daraus aber folgt bei ihm die Notwendigkeit
für jeden in Tschechien, in den gemischten und in den reindeutschen Gebieten
anzustellenden, in dieser Sprache wohlbewandert zu sein.

Wahrscheinlich, damit es in ernster Zeit nicht ganz an Scherz und Lustig¬
keit mangle, erschien vor ein paar Jahren ein Zirkularerlaß des Prager
Oberlandesgerichts, welcher das Prager Handelsgericht und die k. k. Kreis¬
gerichte als Handelssenate aufforderte, in Zukunft bei Vorschlägen sür die
Handelsgerichtsbeisttzer stets auf das Vorhandensein der erforderlichen Sprach¬
kenntnisse Rücksicht zu nehmen und bei jedem der vorgeschlagenen Kandidaten
zu bemerken, ob er der beiden Landessprachen mächtig sei oder nicht. Selbst¬
verständlich erging der Erlaß auch an sämtliche Handels- und Gewerbekammern,
denen gesetzlich das Vorschlagsrecht bei der Besetzung jener Beisitzerstellen ge¬
währt ist. Die Handels- und Gewerbekammern in den deutschen Städten Eger,
Brüx. Pilsen. Reichenberg, Leipa und Budweis haben somit künstig, bevor sie
Vorschlüge der gedachten Art machen, die sprachlichen Fähigkeiten ihrer Ertornen
zu prüfen. Wie sie das anstellen sollen, wird ihnen nicht mitgeteilt; sicher ist
bei der Sache nur das eine, was den Urhebern derselben wahrscheinlich vor
allem als Folge vorschwebte: wenn in Eger, Reichenberg u. s. w. die Beisitzer
des Handelsgerichts tschechisch verstehen müssen, so bleiben deren Stellen ent¬
weder einfach unbesetzt oder es müssen zu ihrer Ausfüllung die geeigneten
Personen aus Tschechovien unten auf dem Boden des böhmischen Kessels ver¬
schrieben werden. Da hapert's aber an Sachverständigen. Zwar hat man sichs
seit Menschenaltern viel Mühe kosten lassen, dem Mangel abzuhelfen, und
namentlich der vielverdiente Patriot Bischof Kindermann von Schulstein hat die
Frage zur öffentlichen Erörterung gebracht, z. B. in der köstlichen Abhandlung:
"Wie man in Böhmen die Industrie des deutschen Gebirgsbauers auf den pur-


Deutsch-böhmische Briefe.

Böhmen kraft jener Verordnung vom April 1885 bis zum Schluß dieses Jahres,
also in etwa neun Monaten, im Bezirke jener Kammer, der nicht eine einzige
tschechische Gemeinde ausweisen kann. 17, schreibe siebzehn erledigte Postmeister¬
stellen mit Übergehnng notorisch verdienterer, dienstälterer deutscher Bewerber
mit seinen tschechischen Protektionskindern besetzt hat. Wie mag er erst in
Bezirken, wo es wirklich-böhmische Dörfer, stockböhmische, tschechische Orte giebt,
neben deutschen, verfahren sein! Darin liegt unzweifelhaft System. Der Handels¬
minister behauptete zwar, die Verordnung enthielte nichts neues, und niemals
habe die PostVerwaltung den Grundsatz aufgestellt, inmitten einer deutschen Be¬
völkerung dürfe niemand ein Amt erhalten, der nicht beider Landessprachen
mächtig sei, und das ist richtig. Dennoch ist die Verordnung etwas neues;
denn sie setzt den frühern „Amtsunterricht" in der Verordnung vom 2. November
1859 ausdrücklich außer Kraft, und wenn der Minister nicht wissen sollte, was
die neue einschließt, so weiß es der Statthalter umso besser und handelt darnach.
Für ihn ist Böhmen ein staatsrechtlich untrennbares Ganze, für welches das
Tschechische die Staatssprache ist; daraus aber folgt bei ihm die Notwendigkeit
für jeden in Tschechien, in den gemischten und in den reindeutschen Gebieten
anzustellenden, in dieser Sprache wohlbewandert zu sein.

Wahrscheinlich, damit es in ernster Zeit nicht ganz an Scherz und Lustig¬
keit mangle, erschien vor ein paar Jahren ein Zirkularerlaß des Prager
Oberlandesgerichts, welcher das Prager Handelsgericht und die k. k. Kreis¬
gerichte als Handelssenate aufforderte, in Zukunft bei Vorschlägen sür die
Handelsgerichtsbeisttzer stets auf das Vorhandensein der erforderlichen Sprach¬
kenntnisse Rücksicht zu nehmen und bei jedem der vorgeschlagenen Kandidaten
zu bemerken, ob er der beiden Landessprachen mächtig sei oder nicht. Selbst¬
verständlich erging der Erlaß auch an sämtliche Handels- und Gewerbekammern,
denen gesetzlich das Vorschlagsrecht bei der Besetzung jener Beisitzerstellen ge¬
währt ist. Die Handels- und Gewerbekammern in den deutschen Städten Eger,
Brüx. Pilsen. Reichenberg, Leipa und Budweis haben somit künstig, bevor sie
Vorschlüge der gedachten Art machen, die sprachlichen Fähigkeiten ihrer Ertornen
zu prüfen. Wie sie das anstellen sollen, wird ihnen nicht mitgeteilt; sicher ist
bei der Sache nur das eine, was den Urhebern derselben wahrscheinlich vor
allem als Folge vorschwebte: wenn in Eger, Reichenberg u. s. w. die Beisitzer
des Handelsgerichts tschechisch verstehen müssen, so bleiben deren Stellen ent¬
weder einfach unbesetzt oder es müssen zu ihrer Ausfüllung die geeigneten
Personen aus Tschechovien unten auf dem Boden des böhmischen Kessels ver¬
schrieben werden. Da hapert's aber an Sachverständigen. Zwar hat man sichs
seit Menschenaltern viel Mühe kosten lassen, dem Mangel abzuhelfen, und
namentlich der vielverdiente Patriot Bischof Kindermann von Schulstein hat die
Frage zur öffentlichen Erörterung gebracht, z. B. in der köstlichen Abhandlung:
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[0063] Deutsch-böhmische Briefe. Böhmen kraft jener Verordnung vom April 1885 bis zum Schluß dieses Jahres, also in etwa neun Monaten, im Bezirke jener Kammer, der nicht eine einzige tschechische Gemeinde ausweisen kann. 17, schreibe siebzehn erledigte Postmeister¬ stellen mit Übergehnng notorisch verdienterer, dienstälterer deutscher Bewerber mit seinen tschechischen Protektionskindern besetzt hat. Wie mag er erst in Bezirken, wo es wirklich-böhmische Dörfer, stockböhmische, tschechische Orte giebt, neben deutschen, verfahren sein! Darin liegt unzweifelhaft System. Der Handels¬ minister behauptete zwar, die Verordnung enthielte nichts neues, und niemals habe die PostVerwaltung den Grundsatz aufgestellt, inmitten einer deutschen Be¬ völkerung dürfe niemand ein Amt erhalten, der nicht beider Landessprachen mächtig sei, und das ist richtig. Dennoch ist die Verordnung etwas neues; denn sie setzt den frühern „Amtsunterricht" in der Verordnung vom 2. November 1859 ausdrücklich außer Kraft, und wenn der Minister nicht wissen sollte, was die neue einschließt, so weiß es der Statthalter umso besser und handelt darnach. Für ihn ist Böhmen ein staatsrechtlich untrennbares Ganze, für welches das Tschechische die Staatssprache ist; daraus aber folgt bei ihm die Notwendigkeit für jeden in Tschechien, in den gemischten und in den reindeutschen Gebieten anzustellenden, in dieser Sprache wohlbewandert zu sein. Wahrscheinlich, damit es in ernster Zeit nicht ganz an Scherz und Lustig¬ keit mangle, erschien vor ein paar Jahren ein Zirkularerlaß des Prager Oberlandesgerichts, welcher das Prager Handelsgericht und die k. k. Kreis¬ gerichte als Handelssenate aufforderte, in Zukunft bei Vorschlägen sür die Handelsgerichtsbeisttzer stets auf das Vorhandensein der erforderlichen Sprach¬ kenntnisse Rücksicht zu nehmen und bei jedem der vorgeschlagenen Kandidaten zu bemerken, ob er der beiden Landessprachen mächtig sei oder nicht. Selbst¬ verständlich erging der Erlaß auch an sämtliche Handels- und Gewerbekammern, denen gesetzlich das Vorschlagsrecht bei der Besetzung jener Beisitzerstellen ge¬ währt ist. Die Handels- und Gewerbekammern in den deutschen Städten Eger, Brüx. Pilsen. Reichenberg, Leipa und Budweis haben somit künstig, bevor sie Vorschlüge der gedachten Art machen, die sprachlichen Fähigkeiten ihrer Ertornen zu prüfen. Wie sie das anstellen sollen, wird ihnen nicht mitgeteilt; sicher ist bei der Sache nur das eine, was den Urhebern derselben wahrscheinlich vor allem als Folge vorschwebte: wenn in Eger, Reichenberg u. s. w. die Beisitzer des Handelsgerichts tschechisch verstehen müssen, so bleiben deren Stellen ent¬ weder einfach unbesetzt oder es müssen zu ihrer Ausfüllung die geeigneten Personen aus Tschechovien unten auf dem Boden des böhmischen Kessels ver¬ schrieben werden. Da hapert's aber an Sachverständigen. Zwar hat man sichs seit Menschenaltern viel Mühe kosten lassen, dem Mangel abzuhelfen, und namentlich der vielverdiente Patriot Bischof Kindermann von Schulstein hat die Frage zur öffentlichen Erörterung gebracht, z. B. in der köstlichen Abhandlung: „Wie man in Böhmen die Industrie des deutschen Gebirgsbauers auf den pur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/63>, abgerufen am 17.09.2024.