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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Maharadschah Dlllix Singh.

und dann in England über seine Mittel gelebt habe. Freilich thue das mancher
Grundbesitzer, trage aber die Folgen, ohne vom Staate zu verlangen, ans der
Verlegenheit gerissen zu werden. Sein Anspruch auf den Koh-i-nur sei von
mehreren Ministerien geprüft und verworfen worden.

Der Maharadschah antwortete, daß er als Kind, elf Jahre alt, die Ur¬
kunde unterzeichnet und nicht gewußt habe, was er damit thue, und gab über
seine Einnahmen, Ausgaben und Vermögensobjekte eine Darlegung, deren
Einzelheiten wir übergehen können. Um den Prinzen von Wales empfangen
und die Gastfreiheit seiner Standes genossen erwiedern zu können, was, wie man
ihm zu verstehen gegeben habe, der ihm von der Königin eingeräumte Rang
erfordere, habe er 20 000, nicht, wie die ?lines behauptet, 60 000 Pfund auf
den Ausbau des alten Herrenhauses und 8000 Pfund ans eine entsprechende
Einrichtung verwandt. Für seine Familie habe er durch Lebensversicherungen
im Werte von 70 000 Pfund gesorgt. Er sei solvent und verlange nicht eine
Unterstützung, sondern Gerechtigkeit.

Damit verschwand er einstweilen wieder aus den Zeitungen; der eine Ge¬
rechte, den er gesucht hatte, fand sich nicht. Im Jahre 1886 wurde gemeldet,
er sei zu dem Glauben seiner Väter zurückgekehrt, habe England verlassen und
beabsichtige seinen Wohnsitz in Delhi zu nehmen. Bald darauf kam aus Indien
das Gerücht, im Pendschab würden aufrührerische Proklamationen in seinem
Interesse verbreitet, und er sei in Aden verhaftet worden, was am 25. Mai
1886 von der Ministerbank bestätigt wurde. Nach längerer Haft freigelassen,
aber bedeutet, daß er aus dem britisch-indischen Reiche ausgewiesen sei, ging
er zunächst nach Paris, dann nach Nußland und wurde unterwegs auf dem
Zentralbahnhof in Berlin um eine Tasche mit Papieren und 20 000 Mark
erleichtert, wie Vg.i1^ Onroräolö erfahren haben will, durch einen englischen
Geheimpolizisten. Nach einem Besuch in Petersburg, wo er freundlich auf¬
genommen wurde, begab er sich nach Moskau, geberdet sich jetzt, wie der liruss
geschrieben wird, als Gegner Englands (was ihm kaum zu verdenken ist), ver¬
kehrt und Katkow und telegraphirt an Personen in afghanischen Grenzorten und
zwar, wie der Korrespondent mit komischem Vorwurf hinzusetzt, auf den russischen
Linie". Welcher andern Linien soll er sich denn in Moskau bedienen? Seine ehe¬
maligen Unterthanen, will ein andres Blatt erfahren haben, sind in der Stim¬
mung, daß sie nicht gegen die Russen fechten würden, wenn er mitihnen käme.

Damit hat es nun freilich gute Wege. Wir glauben wenigstens, daß das
Vorgehen der Russen gegen den Hindukusch, ihre Einmischung in die Khanate
Badakschan und Tschitral vorläufig nur eine Diversion ist, die es den Engländern
erleichtern soll, es vor der Welt und vor sich selbst zu rechtfertigen, daß sie
ruhig zusehen, wenn die Russen Herat nehmen. Einer solchen Erleichterung
werden sie bedürfen, wenn sie sich erinnern, daß ihre liberalen wie ihre konserva¬
tiven Ministerien im Parlament erklärt haben, wenn die Russen Merw nähmen,


Maharadschah Dlllix Singh.

und dann in England über seine Mittel gelebt habe. Freilich thue das mancher
Grundbesitzer, trage aber die Folgen, ohne vom Staate zu verlangen, ans der
Verlegenheit gerissen zu werden. Sein Anspruch auf den Koh-i-nur sei von
mehreren Ministerien geprüft und verworfen worden.

Der Maharadschah antwortete, daß er als Kind, elf Jahre alt, die Ur¬
kunde unterzeichnet und nicht gewußt habe, was er damit thue, und gab über
seine Einnahmen, Ausgaben und Vermögensobjekte eine Darlegung, deren
Einzelheiten wir übergehen können. Um den Prinzen von Wales empfangen
und die Gastfreiheit seiner Standes genossen erwiedern zu können, was, wie man
ihm zu verstehen gegeben habe, der ihm von der Königin eingeräumte Rang
erfordere, habe er 20 000, nicht, wie die ?lines behauptet, 60 000 Pfund auf
den Ausbau des alten Herrenhauses und 8000 Pfund ans eine entsprechende
Einrichtung verwandt. Für seine Familie habe er durch Lebensversicherungen
im Werte von 70 000 Pfund gesorgt. Er sei solvent und verlange nicht eine
Unterstützung, sondern Gerechtigkeit.

Damit verschwand er einstweilen wieder aus den Zeitungen; der eine Ge¬
rechte, den er gesucht hatte, fand sich nicht. Im Jahre 1886 wurde gemeldet,
er sei zu dem Glauben seiner Väter zurückgekehrt, habe England verlassen und
beabsichtige seinen Wohnsitz in Delhi zu nehmen. Bald darauf kam aus Indien
das Gerücht, im Pendschab würden aufrührerische Proklamationen in seinem
Interesse verbreitet, und er sei in Aden verhaftet worden, was am 25. Mai
1886 von der Ministerbank bestätigt wurde. Nach längerer Haft freigelassen,
aber bedeutet, daß er aus dem britisch-indischen Reiche ausgewiesen sei, ging
er zunächst nach Paris, dann nach Nußland und wurde unterwegs auf dem
Zentralbahnhof in Berlin um eine Tasche mit Papieren und 20 000 Mark
erleichtert, wie Vg.i1^ Onroräolö erfahren haben will, durch einen englischen
Geheimpolizisten. Nach einem Besuch in Petersburg, wo er freundlich auf¬
genommen wurde, begab er sich nach Moskau, geberdet sich jetzt, wie der liruss
geschrieben wird, als Gegner Englands (was ihm kaum zu verdenken ist), ver¬
kehrt und Katkow und telegraphirt an Personen in afghanischen Grenzorten und
zwar, wie der Korrespondent mit komischem Vorwurf hinzusetzt, auf den russischen
Linie». Welcher andern Linien soll er sich denn in Moskau bedienen? Seine ehe¬
maligen Unterthanen, will ein andres Blatt erfahren haben, sind in der Stim¬
mung, daß sie nicht gegen die Russen fechten würden, wenn er mitihnen käme.

Damit hat es nun freilich gute Wege. Wir glauben wenigstens, daß das
Vorgehen der Russen gegen den Hindukusch, ihre Einmischung in die Khanate
Badakschan und Tschitral vorläufig nur eine Diversion ist, die es den Engländern
erleichtern soll, es vor der Welt und vor sich selbst zu rechtfertigen, daß sie
ruhig zusehen, wenn die Russen Herat nehmen. Einer solchen Erleichterung
werden sie bedürfen, wenn sie sich erinnern, daß ihre liberalen wie ihre konserva¬
tiven Ministerien im Parlament erklärt haben, wenn die Russen Merw nähmen,


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[0618] Maharadschah Dlllix Singh. und dann in England über seine Mittel gelebt habe. Freilich thue das mancher Grundbesitzer, trage aber die Folgen, ohne vom Staate zu verlangen, ans der Verlegenheit gerissen zu werden. Sein Anspruch auf den Koh-i-nur sei von mehreren Ministerien geprüft und verworfen worden. Der Maharadschah antwortete, daß er als Kind, elf Jahre alt, die Ur¬ kunde unterzeichnet und nicht gewußt habe, was er damit thue, und gab über seine Einnahmen, Ausgaben und Vermögensobjekte eine Darlegung, deren Einzelheiten wir übergehen können. Um den Prinzen von Wales empfangen und die Gastfreiheit seiner Standes genossen erwiedern zu können, was, wie man ihm zu verstehen gegeben habe, der ihm von der Königin eingeräumte Rang erfordere, habe er 20 000, nicht, wie die ?lines behauptet, 60 000 Pfund auf den Ausbau des alten Herrenhauses und 8000 Pfund ans eine entsprechende Einrichtung verwandt. Für seine Familie habe er durch Lebensversicherungen im Werte von 70 000 Pfund gesorgt. Er sei solvent und verlange nicht eine Unterstützung, sondern Gerechtigkeit. Damit verschwand er einstweilen wieder aus den Zeitungen; der eine Ge¬ rechte, den er gesucht hatte, fand sich nicht. Im Jahre 1886 wurde gemeldet, er sei zu dem Glauben seiner Väter zurückgekehrt, habe England verlassen und beabsichtige seinen Wohnsitz in Delhi zu nehmen. Bald darauf kam aus Indien das Gerücht, im Pendschab würden aufrührerische Proklamationen in seinem Interesse verbreitet, und er sei in Aden verhaftet worden, was am 25. Mai 1886 von der Ministerbank bestätigt wurde. Nach längerer Haft freigelassen, aber bedeutet, daß er aus dem britisch-indischen Reiche ausgewiesen sei, ging er zunächst nach Paris, dann nach Nußland und wurde unterwegs auf dem Zentralbahnhof in Berlin um eine Tasche mit Papieren und 20 000 Mark erleichtert, wie Vg.i1^ Onroräolö erfahren haben will, durch einen englischen Geheimpolizisten. Nach einem Besuch in Petersburg, wo er freundlich auf¬ genommen wurde, begab er sich nach Moskau, geberdet sich jetzt, wie der liruss geschrieben wird, als Gegner Englands (was ihm kaum zu verdenken ist), ver¬ kehrt und Katkow und telegraphirt an Personen in afghanischen Grenzorten und zwar, wie der Korrespondent mit komischem Vorwurf hinzusetzt, auf den russischen Linie». Welcher andern Linien soll er sich denn in Moskau bedienen? Seine ehe¬ maligen Unterthanen, will ein andres Blatt erfahren haben, sind in der Stim¬ mung, daß sie nicht gegen die Russen fechten würden, wenn er mitihnen käme. Damit hat es nun freilich gute Wege. Wir glauben wenigstens, daß das Vorgehen der Russen gegen den Hindukusch, ihre Einmischung in die Khanate Badakschan und Tschitral vorläufig nur eine Diversion ist, die es den Engländern erleichtern soll, es vor der Welt und vor sich selbst zu rechtfertigen, daß sie ruhig zusehen, wenn die Russen Herat nehmen. Einer solchen Erleichterung werden sie bedürfen, wenn sie sich erinnern, daß ihre liberalen wie ihre konserva¬ tiven Ministerien im Parlament erklärt haben, wenn die Russen Merw nähmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/618>, abgerufen am 17.09.2024.