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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Teo der Dreizehnte und Italien.

Sentimentalität, die nicht in politische Rechnungen gehöre, so weisen wir auf
Beranger hin, der zwar Poet und Republikaner, aber ein Menschenkenner war,
und der sein Bauernweib den Sturz des niedergeschlagen an ihrem Herdfeuer
sitzenden Napoleon vorzüglich deshalb so tief empfinden läßt, weil er der Mann
ist, "den einst ein Papst gekrönt hat." Die modernen Ideen haben weit um
sich gegriffen, auch in den niedern Sphären der Völker, aber das Papsttum ist
eine Institution, so alt und so mit dem Leben weiter Kreise, besonders unter
den Romanen, verschmolzen, daß man sie auch in der grellen weltlichen Be¬
leuchtung der Gegenwart als großartig und machtvoll anerkennen muß. Nennen
wir es Zauber, wenn die Krone auf König Umbertos Haupt, vom heiligen
Vater segnend berührt, fester zu sitzen scheinen würde -- es ist ohne Zweifel
ein kräftiger und darum begehrenswerter Zauber, für den man etwas zahlen kann.

Die Schwierigkeiten bei der Frage, wie viel dafür zu zahlen sei, sind nun
allerdings bedeutend. Leo der Dreizehnte konnte sich mit dem preußischem
Staate verständigen, obwohl dieser ein protestantischer und aus den Trümmern
des "heiligen" römischen Reiches erwachsener war; er konnte es, weil Preußen
auch keinen Quadratfuß des einstigen weltlichen Gebietes der päpstlichen Krone
einschloß. Der Vatikan liebt es nicht, ausdrücklich zu verzichten. Als Neapel
noch selbständig war, gehörte dazu ein Winkel solchen Gebietes, und der König
schickte dafür als Huldigung alljährlich ein Geschenk nach Rom. Der Papst
nahm es an, knüpfte daran aber stets eine Rechtsverwahrung. Pater Tosti
hat jetzt Vorschläge zu einem me>co8 vivonäi veröffentlicht, durch welchen die
Rechte des heiligen Vaters mit der thatsächlichen Herrschaft des Königs von
Italien versöhnt werden sollen. Der letztere soll den Kirchenstaat als Vasall
des Papstes bis auf einen Landstreifen vom Vatikan bis ans Meer behalten,
der letzteren nicht mehr als Enklave fortbestehen lassen, sondern mit der außer¬
italienischen Welt in direkte Verbindung bringen würde. Dies erscheint fast so
unmöglich, wie eine Zurückgabe der Reichslande an Frankreich. Italien kann
so wenig wie Deutschland anch nnr ein Dorf wieder abtreten. Wohl aber
ließe sich das Garantiegesetz, so viel es dem Papste auch gewährt, erweitern
und verstärken, und in dieser Gestalt könnte es dann von der Kurie anerkannt
werden. Nur dürfte von irgend welchem Vasallentum des Königs dabei so
wenig die Rede sein, wie von einer Bestimmung, welche ausländische Mächte
zu Wächtern und Bürgen dieses Gesetzes machte. Wie es zu erweitern und
zu verstärken ist, soll hier nicht erörtert werden. Wir wiederholen nur, daß
beide Teile ein Interesse haben, sich zu verständigen, und daß hier die Stelle
wäre, wo dies geschehen könnte. Es ist eine grelle Anomalie, daß der Papst
mit protestantischen Mächten auf gutem Fuße steht, mit Preußen Höflichkeiten,
ja herzliche Kundgebungen austauscht, der Königin Viktoria durch einen Kardinal
zu ihrem Regierungsjubiläum feierlich Glück wünschen wollte und anderseits
den König Umberto, den Beherrscher von fünfundzwanzig Millionen Katholiken,


Teo der Dreizehnte und Italien.

Sentimentalität, die nicht in politische Rechnungen gehöre, so weisen wir auf
Beranger hin, der zwar Poet und Republikaner, aber ein Menschenkenner war,
und der sein Bauernweib den Sturz des niedergeschlagen an ihrem Herdfeuer
sitzenden Napoleon vorzüglich deshalb so tief empfinden läßt, weil er der Mann
ist, „den einst ein Papst gekrönt hat." Die modernen Ideen haben weit um
sich gegriffen, auch in den niedern Sphären der Völker, aber das Papsttum ist
eine Institution, so alt und so mit dem Leben weiter Kreise, besonders unter
den Romanen, verschmolzen, daß man sie auch in der grellen weltlichen Be¬
leuchtung der Gegenwart als großartig und machtvoll anerkennen muß. Nennen
wir es Zauber, wenn die Krone auf König Umbertos Haupt, vom heiligen
Vater segnend berührt, fester zu sitzen scheinen würde — es ist ohne Zweifel
ein kräftiger und darum begehrenswerter Zauber, für den man etwas zahlen kann.

Die Schwierigkeiten bei der Frage, wie viel dafür zu zahlen sei, sind nun
allerdings bedeutend. Leo der Dreizehnte konnte sich mit dem preußischem
Staate verständigen, obwohl dieser ein protestantischer und aus den Trümmern
des „heiligen" römischen Reiches erwachsener war; er konnte es, weil Preußen
auch keinen Quadratfuß des einstigen weltlichen Gebietes der päpstlichen Krone
einschloß. Der Vatikan liebt es nicht, ausdrücklich zu verzichten. Als Neapel
noch selbständig war, gehörte dazu ein Winkel solchen Gebietes, und der König
schickte dafür als Huldigung alljährlich ein Geschenk nach Rom. Der Papst
nahm es an, knüpfte daran aber stets eine Rechtsverwahrung. Pater Tosti
hat jetzt Vorschläge zu einem me>co8 vivonäi veröffentlicht, durch welchen die
Rechte des heiligen Vaters mit der thatsächlichen Herrschaft des Königs von
Italien versöhnt werden sollen. Der letztere soll den Kirchenstaat als Vasall
des Papstes bis auf einen Landstreifen vom Vatikan bis ans Meer behalten,
der letzteren nicht mehr als Enklave fortbestehen lassen, sondern mit der außer¬
italienischen Welt in direkte Verbindung bringen würde. Dies erscheint fast so
unmöglich, wie eine Zurückgabe der Reichslande an Frankreich. Italien kann
so wenig wie Deutschland anch nnr ein Dorf wieder abtreten. Wohl aber
ließe sich das Garantiegesetz, so viel es dem Papste auch gewährt, erweitern
und verstärken, und in dieser Gestalt könnte es dann von der Kurie anerkannt
werden. Nur dürfte von irgend welchem Vasallentum des Königs dabei so
wenig die Rede sein, wie von einer Bestimmung, welche ausländische Mächte
zu Wächtern und Bürgen dieses Gesetzes machte. Wie es zu erweitern und
zu verstärken ist, soll hier nicht erörtert werden. Wir wiederholen nur, daß
beide Teile ein Interesse haben, sich zu verständigen, und daß hier die Stelle
wäre, wo dies geschehen könnte. Es ist eine grelle Anomalie, daß der Papst
mit protestantischen Mächten auf gutem Fuße steht, mit Preußen Höflichkeiten,
ja herzliche Kundgebungen austauscht, der Königin Viktoria durch einen Kardinal
zu ihrem Regierungsjubiläum feierlich Glück wünschen wollte und anderseits
den König Umberto, den Beherrscher von fünfundzwanzig Millionen Katholiken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/613>, abgerufen am 17.09.2024.