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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Leo der Dreizehnte und Italien.

Die Wahrheit aber liegt in der Mitte: beide Teile empfinden gleich stark die
Nachteile, welche ihr jetziges Verhältnis zu einander mit sich bringt, und
gleich stark ist bei beiden der Wunsch, wenigstens zu einem nroäus vivsiräi zu
gelangen. Aber die Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung desselben entgegen¬
stellen, sind groß und erscheinen fast unüberwindlich. Es kam allerdings ans
die Deutung an, wenn der heilige Vater in jeuer Ansprache an das Konsistorium
der Kardinäle erklärte, der Zwist zwischen der Kurie und Italien sei nur "unter
Wahrung der Gerechtigkeit und der Würde des apostolischen Stuhles" zu be¬
seitigen, und "die Vorbedingung der Eintracht sei ein Verhältnis, bei welchem
der römische Papst niemandes Gewalt unterworfen sei und, wie es das Recht
verlange, volle und wirkliche Freiheit genieße." Vatikanische Preßstimmen er¬
klärten diese Allgemeinheiten teils mit andern Allgemeinheiten, indem sie sagten,
der Papst müsse thatsächlicher Souverän eines ihm ganz gehörigen Gebietes
und in keiner Weise von den Gesetzen einer Macht abhängig sein, die von heute
auf morgen eine Änderung erfahren könne, teils mit der bestimmte" Behauptung,
er werde seinen Ansprüchen ans Rom nimmermehr entsagen. Es waren aber
eben Preßstimmcn, die wir für Fühler halten dürfen und, wo sie ganz bestimmt
sprachen, für Äußerungen nach dem diplomatischen Grundsatze: Wer etmas
erlangen will, muß viel verlangen. Der Papst dürfte zuletzt mit weniger zufrieden
zu stellen sein, wenn es auch vielleicht ebenfalls nur ein Fühler war, als vor
kurzem aus Rom gemeldet wurde, daß dort ein Herr Daehne, der Vorsitzende
des katholischen Vereins im Haag, eingetroffen sei, um im Namen und Auftrage
hervorragender Kreise Hollands und Belgiens für eine Verständigung zwischen
Italien und dem Vatikan zu wirken, daß Grundlagen zu einer solchen bereits
von mehreren Kardinälen, katholischen Diplomaten und italienischen Staats¬
männern gebilligt worden seien, und daß man Hoffnung habe, auch der Papst
werde sie annehmen. Als solche Grundlagen wurden genannt: 1. Herstellung
einer faktischen päpstlichen Souveränität über alle Bewohner des vatikanischen
Gebietes durch Einsetzung einer päpstlichen Gemeindeverwaltung und einer be¬
sondern Gerichtsbarkeit, gehandhabt durch juristische Beauftragte der Kurie;
2. Ausübung aller Hoheitsrechte innerhalb jenes Gebietes einschließlich der
Prägung von Münzen und der Ausgabe vou Noten durch eine vatikanische
Bank, garantirt durch die Kirchengüter; 3. stillschweigender Verzicht des Papstes
auf den Besitz Roms. Die Bestätigung dieser Nachricht wird abzuwarten sein,
und so einfach liegt die Sache wohl schwerlich. Anderseits ist die von beiden
Seiten unzweifelhaft herbeigesehnte Versöhnung eine Aufgabe, zu deren Lösung
niemand befähigter erscheint als der jetzige Papst. Sein Vorgänger war mehr
Prälat als Staatsmann, mehr Gefühlsmensch als Rechner mit Thatsachen.
Der Theolog überwog in ihm den Politiker, und je geringer an Ausdehnung
sein weltliches Gebiet wurde, desto eifriger war er auf Schöpfungen von Dogmen
bedacht, welche seine geistliche Macht stärken und seinen Einfluß auf die Gewissen


Leo der Dreizehnte und Italien.

Die Wahrheit aber liegt in der Mitte: beide Teile empfinden gleich stark die
Nachteile, welche ihr jetziges Verhältnis zu einander mit sich bringt, und
gleich stark ist bei beiden der Wunsch, wenigstens zu einem nroäus vivsiräi zu
gelangen. Aber die Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung desselben entgegen¬
stellen, sind groß und erscheinen fast unüberwindlich. Es kam allerdings ans
die Deutung an, wenn der heilige Vater in jeuer Ansprache an das Konsistorium
der Kardinäle erklärte, der Zwist zwischen der Kurie und Italien sei nur „unter
Wahrung der Gerechtigkeit und der Würde des apostolischen Stuhles" zu be¬
seitigen, und „die Vorbedingung der Eintracht sei ein Verhältnis, bei welchem
der römische Papst niemandes Gewalt unterworfen sei und, wie es das Recht
verlange, volle und wirkliche Freiheit genieße." Vatikanische Preßstimmen er¬
klärten diese Allgemeinheiten teils mit andern Allgemeinheiten, indem sie sagten,
der Papst müsse thatsächlicher Souverän eines ihm ganz gehörigen Gebietes
und in keiner Weise von den Gesetzen einer Macht abhängig sein, die von heute
auf morgen eine Änderung erfahren könne, teils mit der bestimmte» Behauptung,
er werde seinen Ansprüchen ans Rom nimmermehr entsagen. Es waren aber
eben Preßstimmcn, die wir für Fühler halten dürfen und, wo sie ganz bestimmt
sprachen, für Äußerungen nach dem diplomatischen Grundsatze: Wer etmas
erlangen will, muß viel verlangen. Der Papst dürfte zuletzt mit weniger zufrieden
zu stellen sein, wenn es auch vielleicht ebenfalls nur ein Fühler war, als vor
kurzem aus Rom gemeldet wurde, daß dort ein Herr Daehne, der Vorsitzende
des katholischen Vereins im Haag, eingetroffen sei, um im Namen und Auftrage
hervorragender Kreise Hollands und Belgiens für eine Verständigung zwischen
Italien und dem Vatikan zu wirken, daß Grundlagen zu einer solchen bereits
von mehreren Kardinälen, katholischen Diplomaten und italienischen Staats¬
männern gebilligt worden seien, und daß man Hoffnung habe, auch der Papst
werde sie annehmen. Als solche Grundlagen wurden genannt: 1. Herstellung
einer faktischen päpstlichen Souveränität über alle Bewohner des vatikanischen
Gebietes durch Einsetzung einer päpstlichen Gemeindeverwaltung und einer be¬
sondern Gerichtsbarkeit, gehandhabt durch juristische Beauftragte der Kurie;
2. Ausübung aller Hoheitsrechte innerhalb jenes Gebietes einschließlich der
Prägung von Münzen und der Ausgabe vou Noten durch eine vatikanische
Bank, garantirt durch die Kirchengüter; 3. stillschweigender Verzicht des Papstes
auf den Besitz Roms. Die Bestätigung dieser Nachricht wird abzuwarten sein,
und so einfach liegt die Sache wohl schwerlich. Anderseits ist die von beiden
Seiten unzweifelhaft herbeigesehnte Versöhnung eine Aufgabe, zu deren Lösung
niemand befähigter erscheint als der jetzige Papst. Sein Vorgänger war mehr
Prälat als Staatsmann, mehr Gefühlsmensch als Rechner mit Thatsachen.
Der Theolog überwog in ihm den Politiker, und je geringer an Ausdehnung
sein weltliches Gebiet wurde, desto eifriger war er auf Schöpfungen von Dogmen
bedacht, welche seine geistliche Macht stärken und seinen Einfluß auf die Gewissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/610>, abgerufen am 17.09.2024.