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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Wärtern. Nach dem Jahrgang 1883 der .Prager Zeitung" besetzte man bereits
alle erledigten Beamten- und Dienerstellen in den durchaus deutscheu Gerichts¬
bezirken Stecken, Pfraumbcrg, Mich. Dux. Brüx, Gablonz. Knaben, Kommotau,
Krummau. Hartmanitz, Prestitz, Stab, Rokitnitz, Postelberg. Eger und Saaz
nur mit Männern, "welche in der Lage sind, ihre Gesuche mit den vorgeschrie¬
benen Erfordernissen, insbesondre also anch mit dem Nachweise der vollkommenen
Kenntnis der beiden Landessprachen zu belegen." Fast selbstverständlich erscheint
es, wenn 1882 die in Leipa und Eger offen gewordnen Posten von Staats-
anwaltssubstituten mit guten Tschechen besetzt wurden, ohne daß eine Bewer¬
bung um dieselben ausgeschrieben worden wäre. Man denke, in Leipa und
Eger, Gerichtssprengcln, die nicht eine tschechische Gemeinde aufweisen und deren
tschechische Bevölkerung noch kein halbes Prozent ihrer Bewohnerschaft aus¬
macht! Man vereinige das mit dem reiudeutschen Charakter der genannten
Kreise im untern Erzgebirge. Man erinnere sich des tschechischen Sprichworts:
Vsuclö Aali, v winotovs nsmoi, überall Menschen, in Komotau nur Deutsche.
Man braucht kein großer Mortalitütsstatistiker zu sein, um ausrechnen zu
können, wie lange es/falls das so fortgeht, dauern wird, bis der letzte deutsche
Beamte in Böhmen ins Grab gestiegen sein und überall der Tscheche Recht sprechen
und verwalten wird. Noch im Januar 1883 durfte sich ein Deutscher in Teplitz
um eine Kanzlistenstelle bewerben, da hierbei nur eventuell die Kenntnis der
böhmischen Sprache nachgewiesen zu werden brauchte; jetzt kann man dort nicht
mehr Bezirksrichter werden, wenn man nicht vollkommen mit dem Tschechischen
vertraut ist. Dieses gilt als die Hauptsprache, das Deutsche wird in der be¬
treffenden Bekanntmachung nur als "anderweitige Sprache" erwähnt. Kein
Tcplitzer von Geburt kann sich um einen Posten an seinem vaterländischen Gerichte
bewerben, und dasselbe gilt von den in Eger. in Kommotau und in Leipa ge-
bornen Deutschen. Was die Sprachenvcrordnung vom 19. April 1880 bezweckte
und herbeiführte, ist nichts andres als der nackte § 9 des Nationalitätengesetzes,
welches der Rumpflandtag, der rein tschechische Landtag von 1871 beschloß --
ein Paragraph,'welcher bestimmte: "Bei landesfürstlichen Behörden im König¬
reich Böhmen darf niemand angestellt werden, der nicht beider Landessprachen
in Wort und Schrift mächtig ist." Ja jene Sprachenverordnung ist mit ihren
Folgen noch mehr: die Praxis, die sie zur Folge hatte, erfüllt buchstäblich die
dreiste Forderung des tschechischen Memorandums, das 1884 im Reichsrat bei
der Debatte über den Antrag des Grafen Wnrmbrcmd in Betreff der Staats¬
sprache eine Rolle spielte, eine Forderung, welche lautete: "Zur Aufnahme in
den öffentlichen Dienst ^Böhmens) ist die Kenntnis beider Landessprachen in
Wort und Schrift unbedingtes Erfordernis." Die Deutschböhmen haben da¬
gegen durch ihre Führer und Vertreter Verwahrung eingelegt und Änderung
verlangt, im Prager Landtage, im Wiener Reichsrat, bald ruhig und mit An¬
führung der besten Gründe, bald leidenschaftlich erregt. Aber die Bedrückung


Deutsch-böhmische Briefe.

Wärtern. Nach dem Jahrgang 1883 der .Prager Zeitung" besetzte man bereits
alle erledigten Beamten- und Dienerstellen in den durchaus deutscheu Gerichts¬
bezirken Stecken, Pfraumbcrg, Mich. Dux. Brüx, Gablonz. Knaben, Kommotau,
Krummau. Hartmanitz, Prestitz, Stab, Rokitnitz, Postelberg. Eger und Saaz
nur mit Männern, „welche in der Lage sind, ihre Gesuche mit den vorgeschrie¬
benen Erfordernissen, insbesondre also anch mit dem Nachweise der vollkommenen
Kenntnis der beiden Landessprachen zu belegen." Fast selbstverständlich erscheint
es, wenn 1882 die in Leipa und Eger offen gewordnen Posten von Staats-
anwaltssubstituten mit guten Tschechen besetzt wurden, ohne daß eine Bewer¬
bung um dieselben ausgeschrieben worden wäre. Man denke, in Leipa und
Eger, Gerichtssprengcln, die nicht eine tschechische Gemeinde aufweisen und deren
tschechische Bevölkerung noch kein halbes Prozent ihrer Bewohnerschaft aus¬
macht! Man vereinige das mit dem reiudeutschen Charakter der genannten
Kreise im untern Erzgebirge. Man erinnere sich des tschechischen Sprichworts:
Vsuclö Aali, v winotovs nsmoi, überall Menschen, in Komotau nur Deutsche.
Man braucht kein großer Mortalitütsstatistiker zu sein, um ausrechnen zu
können, wie lange es/falls das so fortgeht, dauern wird, bis der letzte deutsche
Beamte in Böhmen ins Grab gestiegen sein und überall der Tscheche Recht sprechen
und verwalten wird. Noch im Januar 1883 durfte sich ein Deutscher in Teplitz
um eine Kanzlistenstelle bewerben, da hierbei nur eventuell die Kenntnis der
böhmischen Sprache nachgewiesen zu werden brauchte; jetzt kann man dort nicht
mehr Bezirksrichter werden, wenn man nicht vollkommen mit dem Tschechischen
vertraut ist. Dieses gilt als die Hauptsprache, das Deutsche wird in der be¬
treffenden Bekanntmachung nur als „anderweitige Sprache" erwähnt. Kein
Tcplitzer von Geburt kann sich um einen Posten an seinem vaterländischen Gerichte
bewerben, und dasselbe gilt von den in Eger. in Kommotau und in Leipa ge-
bornen Deutschen. Was die Sprachenvcrordnung vom 19. April 1880 bezweckte
und herbeiführte, ist nichts andres als der nackte § 9 des Nationalitätengesetzes,
welches der Rumpflandtag, der rein tschechische Landtag von 1871 beschloß —
ein Paragraph,'welcher bestimmte: „Bei landesfürstlichen Behörden im König¬
reich Böhmen darf niemand angestellt werden, der nicht beider Landessprachen
in Wort und Schrift mächtig ist." Ja jene Sprachenverordnung ist mit ihren
Folgen noch mehr: die Praxis, die sie zur Folge hatte, erfüllt buchstäblich die
dreiste Forderung des tschechischen Memorandums, das 1884 im Reichsrat bei
der Debatte über den Antrag des Grafen Wnrmbrcmd in Betreff der Staats¬
sprache eine Rolle spielte, eine Forderung, welche lautete: „Zur Aufnahme in
den öffentlichen Dienst ^Böhmens) ist die Kenntnis beider Landessprachen in
Wort und Schrift unbedingtes Erfordernis." Die Deutschböhmen haben da¬
gegen durch ihre Führer und Vertreter Verwahrung eingelegt und Änderung
verlangt, im Prager Landtage, im Wiener Reichsrat, bald ruhig und mit An¬
führung der besten Gründe, bald leidenschaftlich erregt. Aber die Bedrückung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/61>, abgerufen am 17.09.2024.