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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

abgesehen von Ziegen und Schweinen, ein Pferd, eine "Schwedka," und ein
paar Rinder kleinen Schlages. Dem kleinen Zugtier entspricht der zweirädrige
Karren dort in der Ecke, eine Art flacher Mulde auf der Achse, den das Pferd
in der Gabel zieht -- denn eine Teljega besitzt keineswegs jeder Hof --, vor
allem aber der Pflug. Das ist wahrhaftig noch der nur etwas vervollkommnete
altslawische Hakenpflug. Am hintern Ende der nach vorn sich etwas verbreiternden
Gabel für das Pferd ist ein breites, nach unten etwas gekrümmtes Stück Holz und
an diesem ein Paar starker, nach vorn gekrümmter eiserner Spitzen befestigt; zur
Nachhilfe dient ein schaufclartiges, darüberliegendes Eisen, dessen beweglichen
Stil der Pflüger führt. Der Kartoffelflng besteht überhaupt mir aus einem
ähnlichen Schcmfeleiseu an der Gabel. Da mit so unvollkommenen Werkzeuge"
sich schwerer Boden nicht bearbeiten läßt, so stehen diese iugcrmannländischen
Bauern noch ungefähr auf derselben Stufe, die in unserm östlichen Deutschland
die Slawen einnahmen, als die Deutschen mit ihrem schweren Näderpfluge ein¬
rückten, der diesen Boden nachhaltiger germanisirt hat als Schwert und Kreuz.
Sich höher zu heben, würde dem Einzelnen, selbst wenn ihm die Mittel und
der Antrieb nicht fehlten, unmöglich sein, denn der Grund und Boden ist durch¬
aus Gemeinbesitz wie in Großrußland. Das Ackerland wird dem einzelnen
Wirt nach der Stärke seines Haushaltes zugemessen und liegt in kleinen,
schmalen, parallelen Streifen, die zu beiden Seiten des Dorfes und des von
ihm auslaufenden Weges rechtwinklig auf diesen stoßen, und wird nach den
Regeln der Dreifelderwirtschaft bestellt mit Gerste, Hafer, seltner mit Roggen
und nur in besonders günstigen Lagen mit Weizen, wozu noch Kartoffeln,
Kraut u. dergl., zuweilen auch Flachs kommen; ein Drittel der Feldflur liegt
als Bräche. In der Nähe der Küste ragen oft mächtige Granitblöcke mitten
aus den Feldern auf, die niemand beseitigt. Vollkommen gemeinschaftlich werden
die oft mitten im Walde gelegnen Wiesen bewirtschaftet; gemeinschaftlich werden
sie am festgesetzten Tage gemäht, der Ertrag verteilt; es soll dabei niemals
ein Streit vorkommen. Auf der Gemeindeweide grasen den ganzen Sommer
durch Pferde und Rinder, aus dem Gcmeindewalde holt sich jeder Wirt seinen
Bedarf; er lacht, wenn man ihn fragt, warum er das massenhaft herumliegende
dürre Holz nicht auflese; wenn er Holz braucht, füllt er eben einen Baum, für
dessen Ersatz die Natur sorgen mag.

Selbst in die einfache Gemeindeverwaltung gestattet schon ein Gang durch
das Dorf einen Blick. Denn an jedem Hause ist auf einem kleinen Holzbretchen
der Name des Besitzers zu lesen, daneben abgebildet das Gerät, mit dein bei
einer Feuersbrunst der Hof die Hilfe zu leisten hat: Eimer, Leiter, Haken,
Spritze u. dergl., alles in der einfachen Weise ursprünglicher Naturalwirtschaft;
eines der stattlicheren Häuser läßt die Aufschrift "Seljeskij Starosta" als
Besitz des Dorfschulzen erkennen. Eine merkwürdige Stabilität der Verhältnisse,
wie sie auf dieser Stufe natürlich ist, verrät die Sitte, dem Namen des Dorfes,


Russische Skizzen.

abgesehen von Ziegen und Schweinen, ein Pferd, eine „Schwedka," und ein
paar Rinder kleinen Schlages. Dem kleinen Zugtier entspricht der zweirädrige
Karren dort in der Ecke, eine Art flacher Mulde auf der Achse, den das Pferd
in der Gabel zieht — denn eine Teljega besitzt keineswegs jeder Hof —, vor
allem aber der Pflug. Das ist wahrhaftig noch der nur etwas vervollkommnete
altslawische Hakenpflug. Am hintern Ende der nach vorn sich etwas verbreiternden
Gabel für das Pferd ist ein breites, nach unten etwas gekrümmtes Stück Holz und
an diesem ein Paar starker, nach vorn gekrümmter eiserner Spitzen befestigt; zur
Nachhilfe dient ein schaufclartiges, darüberliegendes Eisen, dessen beweglichen
Stil der Pflüger führt. Der Kartoffelflng besteht überhaupt mir aus einem
ähnlichen Schcmfeleiseu an der Gabel. Da mit so unvollkommenen Werkzeuge»
sich schwerer Boden nicht bearbeiten läßt, so stehen diese iugcrmannländischen
Bauern noch ungefähr auf derselben Stufe, die in unserm östlichen Deutschland
die Slawen einnahmen, als die Deutschen mit ihrem schweren Näderpfluge ein¬
rückten, der diesen Boden nachhaltiger germanisirt hat als Schwert und Kreuz.
Sich höher zu heben, würde dem Einzelnen, selbst wenn ihm die Mittel und
der Antrieb nicht fehlten, unmöglich sein, denn der Grund und Boden ist durch¬
aus Gemeinbesitz wie in Großrußland. Das Ackerland wird dem einzelnen
Wirt nach der Stärke seines Haushaltes zugemessen und liegt in kleinen,
schmalen, parallelen Streifen, die zu beiden Seiten des Dorfes und des von
ihm auslaufenden Weges rechtwinklig auf diesen stoßen, und wird nach den
Regeln der Dreifelderwirtschaft bestellt mit Gerste, Hafer, seltner mit Roggen
und nur in besonders günstigen Lagen mit Weizen, wozu noch Kartoffeln,
Kraut u. dergl., zuweilen auch Flachs kommen; ein Drittel der Feldflur liegt
als Bräche. In der Nähe der Küste ragen oft mächtige Granitblöcke mitten
aus den Feldern auf, die niemand beseitigt. Vollkommen gemeinschaftlich werden
die oft mitten im Walde gelegnen Wiesen bewirtschaftet; gemeinschaftlich werden
sie am festgesetzten Tage gemäht, der Ertrag verteilt; es soll dabei niemals
ein Streit vorkommen. Auf der Gemeindeweide grasen den ganzen Sommer
durch Pferde und Rinder, aus dem Gcmeindewalde holt sich jeder Wirt seinen
Bedarf; er lacht, wenn man ihn fragt, warum er das massenhaft herumliegende
dürre Holz nicht auflese; wenn er Holz braucht, füllt er eben einen Baum, für
dessen Ersatz die Natur sorgen mag.

Selbst in die einfache Gemeindeverwaltung gestattet schon ein Gang durch
das Dorf einen Blick. Denn an jedem Hause ist auf einem kleinen Holzbretchen
der Name des Besitzers zu lesen, daneben abgebildet das Gerät, mit dein bei
einer Feuersbrunst der Hof die Hilfe zu leisten hat: Eimer, Leiter, Haken,
Spritze u. dergl., alles in der einfachen Weise ursprünglicher Naturalwirtschaft;
eines der stattlicheren Häuser läßt die Aufschrift „Seljeskij Starosta" als
Besitz des Dorfschulzen erkennen. Eine merkwürdige Stabilität der Verhältnisse,
wie sie auf dieser Stufe natürlich ist, verrät die Sitte, dem Namen des Dorfes,


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[0602] Russische Skizzen. abgesehen von Ziegen und Schweinen, ein Pferd, eine „Schwedka," und ein paar Rinder kleinen Schlages. Dem kleinen Zugtier entspricht der zweirädrige Karren dort in der Ecke, eine Art flacher Mulde auf der Achse, den das Pferd in der Gabel zieht — denn eine Teljega besitzt keineswegs jeder Hof —, vor allem aber der Pflug. Das ist wahrhaftig noch der nur etwas vervollkommnete altslawische Hakenpflug. Am hintern Ende der nach vorn sich etwas verbreiternden Gabel für das Pferd ist ein breites, nach unten etwas gekrümmtes Stück Holz und an diesem ein Paar starker, nach vorn gekrümmter eiserner Spitzen befestigt; zur Nachhilfe dient ein schaufclartiges, darüberliegendes Eisen, dessen beweglichen Stil der Pflüger führt. Der Kartoffelflng besteht überhaupt mir aus einem ähnlichen Schcmfeleiseu an der Gabel. Da mit so unvollkommenen Werkzeuge» sich schwerer Boden nicht bearbeiten läßt, so stehen diese iugcrmannländischen Bauern noch ungefähr auf derselben Stufe, die in unserm östlichen Deutschland die Slawen einnahmen, als die Deutschen mit ihrem schweren Näderpfluge ein¬ rückten, der diesen Boden nachhaltiger germanisirt hat als Schwert und Kreuz. Sich höher zu heben, würde dem Einzelnen, selbst wenn ihm die Mittel und der Antrieb nicht fehlten, unmöglich sein, denn der Grund und Boden ist durch¬ aus Gemeinbesitz wie in Großrußland. Das Ackerland wird dem einzelnen Wirt nach der Stärke seines Haushaltes zugemessen und liegt in kleinen, schmalen, parallelen Streifen, die zu beiden Seiten des Dorfes und des von ihm auslaufenden Weges rechtwinklig auf diesen stoßen, und wird nach den Regeln der Dreifelderwirtschaft bestellt mit Gerste, Hafer, seltner mit Roggen und nur in besonders günstigen Lagen mit Weizen, wozu noch Kartoffeln, Kraut u. dergl., zuweilen auch Flachs kommen; ein Drittel der Feldflur liegt als Bräche. In der Nähe der Küste ragen oft mächtige Granitblöcke mitten aus den Feldern auf, die niemand beseitigt. Vollkommen gemeinschaftlich werden die oft mitten im Walde gelegnen Wiesen bewirtschaftet; gemeinschaftlich werden sie am festgesetzten Tage gemäht, der Ertrag verteilt; es soll dabei niemals ein Streit vorkommen. Auf der Gemeindeweide grasen den ganzen Sommer durch Pferde und Rinder, aus dem Gcmeindewalde holt sich jeder Wirt seinen Bedarf; er lacht, wenn man ihn fragt, warum er das massenhaft herumliegende dürre Holz nicht auflese; wenn er Holz braucht, füllt er eben einen Baum, für dessen Ersatz die Natur sorgen mag. Selbst in die einfache Gemeindeverwaltung gestattet schon ein Gang durch das Dorf einen Blick. Denn an jedem Hause ist auf einem kleinen Holzbretchen der Name des Besitzers zu lesen, daneben abgebildet das Gerät, mit dein bei einer Feuersbrunst der Hof die Hilfe zu leisten hat: Eimer, Leiter, Haken, Spritze u. dergl., alles in der einfachen Weise ursprünglicher Naturalwirtschaft; eines der stattlicheren Häuser läßt die Aufschrift „Seljeskij Starosta" als Besitz des Dorfschulzen erkennen. Eine merkwürdige Stabilität der Verhältnisse, wie sie auf dieser Stufe natürlich ist, verrät die Sitte, dem Namen des Dorfes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/602>, abgerufen am 17.09.2024.