Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

andre Städte hoch aufmerken würden, wie man hier zum erstenmale ein billiges
Theater erbaute, das im Betriebe kein Defizit ergübe, keine Zuschüsse erheischte?
Sicherlich würde unser Beispiel Nachahmung finden, da es die einzige Weise
ist, in welcher kleinere Städte die Bühnenkunst mit wirklichem Erfolge zu Pflegen
imstande sind."

Wir beschränken uns heute auf diese Andeutungen. Jeder, dessen geistiges
Ohr gewöhnt ist, aus einer Andeutung heraus eine ganze Gedankenfolge zu
vernehmen, wird mit uns darin übereinstimmen, daß sich hier ein neues Etwas
borbereitet, regt, rührt, bei dem alles darauf ankommt, daß es von vornherein
von den rechten Händen gepflegt, in die rechten Bahnen geleitet werde. Wir
gedenken auf beide Schriften oder vielmehr auf die sich aus ihnen ergebenden
Betrachtungen und Fragen nochmals zurückzukommen. Vor der Hand seien
diejenigen unsrer Leser, die den Zweck der Bühne nicht damit erfüllt sehen, daß
alle Morgen Zettel angeschlagen und alle Abende Lichter angezündet werden,
auf die genannten Schriften hingewiesen. Die Frage der Volksbühne, des
Vvlksschauspiels wird offenbar in den nächsten Jahren von großer Bedeutung
werden, und es ist gut, sich ein Urteil über Ausgangspunkte und Ziele zu bilden,
ehe die unausbleibliche Feindseligkeit der Handwerksgewohnheit dies Urteil er¬
schweren hilft.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
Z. Ltwas zur Geschichte des Runstblickes.

le alten hübschen Geschichtchen aus dem griechischen Kunstleben,
wie Maler so täuschend malten, daß Menschen und Tiere sich
wirklich täuschen ließen und das Gemälde für das Wirkliche
nahmen, lernt man gewöhnlich schon als Kind kennen, wenigstens
auf dem Gymnasium; sie bleiben uns aber gewöhnlich auch
Kindergeschichten, wie so vieles Hochwichtige und Gehaltvollste aus dem alten
Leben, das da in knapper Fassung an uns tritt, dessen tiefen Gehalt man aber
dn noch nicht fassen kann. Aber eine feine Ahnung oder Witterung für den
tiefen Gehalt und das Fragliche solcher Geschichten hat gerade die Kinderseele
ganz entschieden, eine Ahnung, welche die Lehrer nicht unbenutzt und ungencihrt
lassen dürften; sie sind ja aber gejagt von dem lieben sogenannten Schulziel,
das wesentlich dem Formaten nachjagt. So war mir, wie gewiß vielen, von
jenen Geschichten in der Seele die einfache Frage sitzen geblieben: Ist das auch


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

andre Städte hoch aufmerken würden, wie man hier zum erstenmale ein billiges
Theater erbaute, das im Betriebe kein Defizit ergübe, keine Zuschüsse erheischte?
Sicherlich würde unser Beispiel Nachahmung finden, da es die einzige Weise
ist, in welcher kleinere Städte die Bühnenkunst mit wirklichem Erfolge zu Pflegen
imstande sind."

Wir beschränken uns heute auf diese Andeutungen. Jeder, dessen geistiges
Ohr gewöhnt ist, aus einer Andeutung heraus eine ganze Gedankenfolge zu
vernehmen, wird mit uns darin übereinstimmen, daß sich hier ein neues Etwas
borbereitet, regt, rührt, bei dem alles darauf ankommt, daß es von vornherein
von den rechten Händen gepflegt, in die rechten Bahnen geleitet werde. Wir
gedenken auf beide Schriften oder vielmehr auf die sich aus ihnen ergebenden
Betrachtungen und Fragen nochmals zurückzukommen. Vor der Hand seien
diejenigen unsrer Leser, die den Zweck der Bühne nicht damit erfüllt sehen, daß
alle Morgen Zettel angeschlagen und alle Abende Lichter angezündet werden,
auf die genannten Schriften hingewiesen. Die Frage der Volksbühne, des
Vvlksschauspiels wird offenbar in den nächsten Jahren von großer Bedeutung
werden, und es ist gut, sich ein Urteil über Ausgangspunkte und Ziele zu bilden,
ehe die unausbleibliche Feindseligkeit der Handwerksgewohnheit dies Urteil er¬
schweren hilft.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
Z. Ltwas zur Geschichte des Runstblickes.

le alten hübschen Geschichtchen aus dem griechischen Kunstleben,
wie Maler so täuschend malten, daß Menschen und Tiere sich
wirklich täuschen ließen und das Gemälde für das Wirkliche
nahmen, lernt man gewöhnlich schon als Kind kennen, wenigstens
auf dem Gymnasium; sie bleiben uns aber gewöhnlich auch
Kindergeschichten, wie so vieles Hochwichtige und Gehaltvollste aus dem alten
Leben, das da in knapper Fassung an uns tritt, dessen tiefen Gehalt man aber
dn noch nicht fassen kann. Aber eine feine Ahnung oder Witterung für den
tiefen Gehalt und das Fragliche solcher Geschichten hat gerade die Kinderseele
ganz entschieden, eine Ahnung, welche die Lehrer nicht unbenutzt und ungencihrt
lassen dürften; sie sind ja aber gejagt von dem lieben sogenannten Schulziel,
das wesentlich dem Formaten nachjagt. So war mir, wie gewiß vielen, von
jenen Geschichten in der Seele die einfache Frage sitzen geblieben: Ist das auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0595" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289048"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1690" prev="#ID_1689"> andre Städte hoch aufmerken würden, wie man hier zum erstenmale ein billiges<lb/>
Theater erbaute, das im Betriebe kein Defizit ergübe, keine Zuschüsse erheischte?<lb/>
Sicherlich würde unser Beispiel Nachahmung finden, da es die einzige Weise<lb/>
ist, in welcher kleinere Städte die Bühnenkunst mit wirklichem Erfolge zu Pflegen<lb/>
imstande sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1691"> Wir beschränken uns heute auf diese Andeutungen. Jeder, dessen geistiges<lb/>
Ohr gewöhnt ist, aus einer Andeutung heraus eine ganze Gedankenfolge zu<lb/>
vernehmen, wird mit uns darin übereinstimmen, daß sich hier ein neues Etwas<lb/>
borbereitet, regt, rührt, bei dem alles darauf ankommt, daß es von vornherein<lb/>
von den rechten Händen gepflegt, in die rechten Bahnen geleitet werde. Wir<lb/>
gedenken auf beide Schriften oder vielmehr auf die sich aus ihnen ergebenden<lb/>
Betrachtungen und Fragen nochmals zurückzukommen. Vor der Hand seien<lb/>
diejenigen unsrer Leser, die den Zweck der Bühne nicht damit erfüllt sehen, daß<lb/>
alle Morgen Zettel angeschlagen und alle Abende Lichter angezündet werden,<lb/>
auf die genannten Schriften hingewiesen. Die Frage der Volksbühne, des<lb/>
Vvlksschauspiels wird offenbar in den nächsten Jahren von großer Bedeutung<lb/>
werden, und es ist gut, sich ein Urteil über Ausgangspunkte und Ziele zu bilden,<lb/>
ehe die unausbleibliche Feindseligkeit der Handwerksgewohnheit dies Urteil er¬<lb/>
schweren hilft.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.<lb/>
Z. Ltwas zur Geschichte des Runstblickes. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> le alten hübschen Geschichtchen aus dem griechischen Kunstleben,<lb/>
wie Maler so täuschend malten, daß Menschen und Tiere sich<lb/>
wirklich täuschen ließen und das Gemälde für das Wirkliche<lb/>
nahmen, lernt man gewöhnlich schon als Kind kennen, wenigstens<lb/>
auf dem Gymnasium; sie bleiben uns aber gewöhnlich auch<lb/>
Kindergeschichten, wie so vieles Hochwichtige und Gehaltvollste aus dem alten<lb/>
Leben, das da in knapper Fassung an uns tritt, dessen tiefen Gehalt man aber<lb/>
dn noch nicht fassen kann. Aber eine feine Ahnung oder Witterung für den<lb/>
tiefen Gehalt und das Fragliche solcher Geschichten hat gerade die Kinderseele<lb/>
ganz entschieden, eine Ahnung, welche die Lehrer nicht unbenutzt und ungencihrt<lb/>
lassen dürften; sie sind ja aber gejagt von dem lieben sogenannten Schulziel,<lb/>
das wesentlich dem Formaten nachjagt. So war mir, wie gewiß vielen, von<lb/>
jenen Geschichten in der Seele die einfache Frage sitzen geblieben: Ist das auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0595] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. andre Städte hoch aufmerken würden, wie man hier zum erstenmale ein billiges Theater erbaute, das im Betriebe kein Defizit ergübe, keine Zuschüsse erheischte? Sicherlich würde unser Beispiel Nachahmung finden, da es die einzige Weise ist, in welcher kleinere Städte die Bühnenkunst mit wirklichem Erfolge zu Pflegen imstande sind." Wir beschränken uns heute auf diese Andeutungen. Jeder, dessen geistiges Ohr gewöhnt ist, aus einer Andeutung heraus eine ganze Gedankenfolge zu vernehmen, wird mit uns darin übereinstimmen, daß sich hier ein neues Etwas borbereitet, regt, rührt, bei dem alles darauf ankommt, daß es von vornherein von den rechten Händen gepflegt, in die rechten Bahnen geleitet werde. Wir gedenken auf beide Schriften oder vielmehr auf die sich aus ihnen ergebenden Betrachtungen und Fragen nochmals zurückzukommen. Vor der Hand seien diejenigen unsrer Leser, die den Zweck der Bühne nicht damit erfüllt sehen, daß alle Morgen Zettel angeschlagen und alle Abende Lichter angezündet werden, auf die genannten Schriften hingewiesen. Die Frage der Volksbühne, des Vvlksschauspiels wird offenbar in den nächsten Jahren von großer Bedeutung werden, und es ist gut, sich ein Urteil über Ausgangspunkte und Ziele zu bilden, ehe die unausbleibliche Feindseligkeit der Handwerksgewohnheit dies Urteil er¬ schweren hilft. Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Z. Ltwas zur Geschichte des Runstblickes. le alten hübschen Geschichtchen aus dem griechischen Kunstleben, wie Maler so täuschend malten, daß Menschen und Tiere sich wirklich täuschen ließen und das Gemälde für das Wirkliche nahmen, lernt man gewöhnlich schon als Kind kennen, wenigstens auf dem Gymnasium; sie bleiben uns aber gewöhnlich auch Kindergeschichten, wie so vieles Hochwichtige und Gehaltvollste aus dem alten Leben, das da in knapper Fassung an uns tritt, dessen tiefen Gehalt man aber dn noch nicht fassen kann. Aber eine feine Ahnung oder Witterung für den tiefen Gehalt und das Fragliche solcher Geschichten hat gerade die Kinderseele ganz entschieden, eine Ahnung, welche die Lehrer nicht unbenutzt und ungencihrt lassen dürften; sie sind ja aber gejagt von dem lieben sogenannten Schulziel, das wesentlich dem Formaten nachjagt. So war mir, wie gewiß vielen, von jenen Geschichten in der Seele die einfache Frage sitzen geblieben: Ist das auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/595
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/595>, abgerufen am 17.09.2024.