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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Schriften zur Bühnenfrage.

die geschlossene Zimmerdekoration, noch die gebrochenen landschaftlichen Hinter¬
gründe erfunden. Dies alles lag bereits ihm, zugleich aber auch allen andern
Bühnenleitern vor. Es kam nur darauf an, es in seinem Geiste zu ergreifen
und gleiche Wirkungen hervorzubringen." Und "es mag zunächst scheinen, daß
der Herzog die auf das Auge berechnete Seite begünstige. Dies ist aber nur
scheinbar, da erstere bei ihm ja durchaus auf den in den Worten niedergelegten
Geist und Inhalt der Dichtung bezogen wird." Und endlich in Bezug auf die
inzwischen erwachte Nachahmung der Meininger: "Mit der bloßen malerischen
und dabei natur- und geschichtswahren Dekoration und szenischen Ausstattung,
mit der bloßen treuen und malerischen Schönheit der Kostüme war es freilich
ebensowenig gethan, wie mit der bloßen größern Lebhaftigkeit des Spiels oder
mit glänzender und wohl auch tumultuarischer Massenentfaltung. Hiermit war
wohl vorübergehend eine Anziehungskraft auszuüben, aber weder eine dauernde,
noch auch die rechte. Man würde dadurch nichts erreicht haben, als einzelne
unsrer klassischen Dramen in Ausstattungsstücke zu verwandeln. Es kommt
vielmehr darauf an, den Geist jedes darzustellenden dichterischen Werkes, den
Geist jeder Szene, jeder Rolle und Situation in seiner Eigentümlichkeit, sowie
die schauspielerischen und szenischen Mittel in diesem Geiste zu erfassen und bis
ins Einzelnste mit demselben zu durchdringen." Niemand, der sich über diese
Bedeutung der Meininger noch nicht klar geworden ist, sollte die vortreffliche
kleine Schrift ungelesen lassen.

Während die Prölßsche Schrift ein Gegebenes, in sich Vollendetes bespricht
und zur richtigen und fruchtbaren Würdigung dieses Vorhandnen beizutragen
sucht, wenden sich zwei andre in einem gewissen leicht erkennbaren Zusammen¬
hang stehende Schriften Luxusthcater und Volksbühne von Hans Herrig
(Berlin, Friedrich Luckhardt) und Ein städtisches Volkstheater und Fest¬
haus in Worms von Friedrich Schön (Worms, Julius Stern) einem
Theater zu, das erst erschaffe" werden soll, oder besser, zu dem sich erst einige
Anfänge und Ansätze gezeigt haben. Wir haben im vorigen Jahrgang über
die Lutherspiele in Jena und Erfurt berichtet. An diese, das heißt an das
Herrigsche, zuerst in Worms, sodann in Erfurt, Wittenberg, Eisleben darge¬
stellte Lutherspiel schließt sich der Gedanke an eine vom stehenden Theater
unabhängige, nur für bestimmte, aber auch nur für höhere Zwecke zusammen¬
tretende Spielgenossenschaft, welche, namentlich in kleinern Städten, den kläg¬
lichen Liebhaberbühnen den Garaus macht und Ziele erreicht, die sich Wander¬
truppen und kleine Bühnenunternehmungen gar nicht setzen können. Wir lassen
ganz unerörtert, wie weit Herrigs Vorschläge in der That eine neue Aussicht
eröffnen, wie weit sie sich allzusehr an sein glücklich gelungenes, an dieser Stelle
bereits nach Verdienst gewürdigtes Lutherspiel binden. Jedenfalls sollte jeder
ernster Kunstfreund die Schrift "Luxustheater und Volksbühne" und ihre
Einzelvorschlägc sorgfältig prüfen. Der Verfasser ist einsichtig genug, um von


Grenzboten II. 1S37. 74
Schriften zur Bühnenfrage.

die geschlossene Zimmerdekoration, noch die gebrochenen landschaftlichen Hinter¬
gründe erfunden. Dies alles lag bereits ihm, zugleich aber auch allen andern
Bühnenleitern vor. Es kam nur darauf an, es in seinem Geiste zu ergreifen
und gleiche Wirkungen hervorzubringen." Und „es mag zunächst scheinen, daß
der Herzog die auf das Auge berechnete Seite begünstige. Dies ist aber nur
scheinbar, da erstere bei ihm ja durchaus auf den in den Worten niedergelegten
Geist und Inhalt der Dichtung bezogen wird." Und endlich in Bezug auf die
inzwischen erwachte Nachahmung der Meininger: „Mit der bloßen malerischen
und dabei natur- und geschichtswahren Dekoration und szenischen Ausstattung,
mit der bloßen treuen und malerischen Schönheit der Kostüme war es freilich
ebensowenig gethan, wie mit der bloßen größern Lebhaftigkeit des Spiels oder
mit glänzender und wohl auch tumultuarischer Massenentfaltung. Hiermit war
wohl vorübergehend eine Anziehungskraft auszuüben, aber weder eine dauernde,
noch auch die rechte. Man würde dadurch nichts erreicht haben, als einzelne
unsrer klassischen Dramen in Ausstattungsstücke zu verwandeln. Es kommt
vielmehr darauf an, den Geist jedes darzustellenden dichterischen Werkes, den
Geist jeder Szene, jeder Rolle und Situation in seiner Eigentümlichkeit, sowie
die schauspielerischen und szenischen Mittel in diesem Geiste zu erfassen und bis
ins Einzelnste mit demselben zu durchdringen." Niemand, der sich über diese
Bedeutung der Meininger noch nicht klar geworden ist, sollte die vortreffliche
kleine Schrift ungelesen lassen.

Während die Prölßsche Schrift ein Gegebenes, in sich Vollendetes bespricht
und zur richtigen und fruchtbaren Würdigung dieses Vorhandnen beizutragen
sucht, wenden sich zwei andre in einem gewissen leicht erkennbaren Zusammen¬
hang stehende Schriften Luxusthcater und Volksbühne von Hans Herrig
(Berlin, Friedrich Luckhardt) und Ein städtisches Volkstheater und Fest¬
haus in Worms von Friedrich Schön (Worms, Julius Stern) einem
Theater zu, das erst erschaffe» werden soll, oder besser, zu dem sich erst einige
Anfänge und Ansätze gezeigt haben. Wir haben im vorigen Jahrgang über
die Lutherspiele in Jena und Erfurt berichtet. An diese, das heißt an das
Herrigsche, zuerst in Worms, sodann in Erfurt, Wittenberg, Eisleben darge¬
stellte Lutherspiel schließt sich der Gedanke an eine vom stehenden Theater
unabhängige, nur für bestimmte, aber auch nur für höhere Zwecke zusammen¬
tretende Spielgenossenschaft, welche, namentlich in kleinern Städten, den kläg¬
lichen Liebhaberbühnen den Garaus macht und Ziele erreicht, die sich Wander¬
truppen und kleine Bühnenunternehmungen gar nicht setzen können. Wir lassen
ganz unerörtert, wie weit Herrigs Vorschläge in der That eine neue Aussicht
eröffnen, wie weit sie sich allzusehr an sein glücklich gelungenes, an dieser Stelle
bereits nach Verdienst gewürdigtes Lutherspiel binden. Jedenfalls sollte jeder
ernster Kunstfreund die Schrift „Luxustheater und Volksbühne" und ihre
Einzelvorschlägc sorgfältig prüfen. Der Verfasser ist einsichtig genug, um von


Grenzboten II. 1S37. 74
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[0593] Schriften zur Bühnenfrage. die geschlossene Zimmerdekoration, noch die gebrochenen landschaftlichen Hinter¬ gründe erfunden. Dies alles lag bereits ihm, zugleich aber auch allen andern Bühnenleitern vor. Es kam nur darauf an, es in seinem Geiste zu ergreifen und gleiche Wirkungen hervorzubringen." Und „es mag zunächst scheinen, daß der Herzog die auf das Auge berechnete Seite begünstige. Dies ist aber nur scheinbar, da erstere bei ihm ja durchaus auf den in den Worten niedergelegten Geist und Inhalt der Dichtung bezogen wird." Und endlich in Bezug auf die inzwischen erwachte Nachahmung der Meininger: „Mit der bloßen malerischen und dabei natur- und geschichtswahren Dekoration und szenischen Ausstattung, mit der bloßen treuen und malerischen Schönheit der Kostüme war es freilich ebensowenig gethan, wie mit der bloßen größern Lebhaftigkeit des Spiels oder mit glänzender und wohl auch tumultuarischer Massenentfaltung. Hiermit war wohl vorübergehend eine Anziehungskraft auszuüben, aber weder eine dauernde, noch auch die rechte. Man würde dadurch nichts erreicht haben, als einzelne unsrer klassischen Dramen in Ausstattungsstücke zu verwandeln. Es kommt vielmehr darauf an, den Geist jedes darzustellenden dichterischen Werkes, den Geist jeder Szene, jeder Rolle und Situation in seiner Eigentümlichkeit, sowie die schauspielerischen und szenischen Mittel in diesem Geiste zu erfassen und bis ins Einzelnste mit demselben zu durchdringen." Niemand, der sich über diese Bedeutung der Meininger noch nicht klar geworden ist, sollte die vortreffliche kleine Schrift ungelesen lassen. Während die Prölßsche Schrift ein Gegebenes, in sich Vollendetes bespricht und zur richtigen und fruchtbaren Würdigung dieses Vorhandnen beizutragen sucht, wenden sich zwei andre in einem gewissen leicht erkennbaren Zusammen¬ hang stehende Schriften Luxusthcater und Volksbühne von Hans Herrig (Berlin, Friedrich Luckhardt) und Ein städtisches Volkstheater und Fest¬ haus in Worms von Friedrich Schön (Worms, Julius Stern) einem Theater zu, das erst erschaffe» werden soll, oder besser, zu dem sich erst einige Anfänge und Ansätze gezeigt haben. Wir haben im vorigen Jahrgang über die Lutherspiele in Jena und Erfurt berichtet. An diese, das heißt an das Herrigsche, zuerst in Worms, sodann in Erfurt, Wittenberg, Eisleben darge¬ stellte Lutherspiel schließt sich der Gedanke an eine vom stehenden Theater unabhängige, nur für bestimmte, aber auch nur für höhere Zwecke zusammen¬ tretende Spielgenossenschaft, welche, namentlich in kleinern Städten, den kläg¬ lichen Liebhaberbühnen den Garaus macht und Ziele erreicht, die sich Wander¬ truppen und kleine Bühnenunternehmungen gar nicht setzen können. Wir lassen ganz unerörtert, wie weit Herrigs Vorschläge in der That eine neue Aussicht eröffnen, wie weit sie sich allzusehr an sein glücklich gelungenes, an dieser Stelle bereits nach Verdienst gewürdigtes Lutherspiel binden. Jedenfalls sollte jeder ernster Kunstfreund die Schrift „Luxustheater und Volksbühne" und ihre Einzelvorschlägc sorgfältig prüfen. Der Verfasser ist einsichtig genug, um von Grenzboten II. 1S37. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/593>, abgerufen am 17.09.2024.