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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Schriften zur Bühnenfrage.

Umfange nach herbeizaubert und darstellt. Weil dies Geschäft unerquicklich ist,
weil eine große Zahl von Gebildeten von demselben übermüdet und verekelt
sind, wenden sich nur allzuviele von der Theatcrfrage überhaupt ab. Für diese
sich abwendenden gilt auch heute noch, was Immermann 1835 schrieb: "Es
ist Mode geworden, die Bühne aufs äußerste herabzusetzen; ich mache diese
Mode nicht mit. Ich finde nicht, daß alle Keime so erstorben sind, daß keine
Wiederbelebung möglich wäre; ich würde es für ein großes Unglück halten,
wenn dem so wäre. Seitdem sich eine üble Laune über die Sache verbreitet
hat, ist eine große Lücke in unserm geistig-sittlichen sozialen Leben bemerkbar
geworden, welche kein Surrogat ausfüllen will." Fortschrittspolitiker, modernste
Streber, Gründer und andre Gesellschaftsklassen mögen vielleicht von dieser Lücke
nichts verspüren; in den Lebenskreisen, um die es uns hauptsächlich zu thun ist,
klafft sie doch in empfindlicher Weise. Es ist am Ende natürlich, daß Menschen,
die zur Zeit entweder gar nicht mehr oder doch höchst selten ins Theater
gehen, die lebendige und tiefere Teilnahme daran verlieren. Und doch wenden
sich die Schriften, deren wir heute zu gedenken haben, hauptsächlich an diese
Lebenskreise, sie wären zweck- und sinnlos, wenn sie nur von den ständigen
Theaterbesuchern, den Theaterpraktikern und den "aktuellen" Referenten gelesen
werden sollten.

Die erste dieser Schriften, Das Herzoglich Meiningische Hoftheater,
seine Entwicklung, seine Bestrebungen und die Bedeutung seiner Gastspiele von
Robert Prölß (Leipzig, Friedrich Conrad) behandelt einen scheinbar schon all¬
zuviel erörterten Gegenstand. Aber erstens traf die Schrift mit dem jüngsten er¬
folgreichen und entscheidenden Gastspiel der Meininger in Berlin zusammen, und
sodann hat sie das Verdienst, daß sie den Hauptpunkt, auf den es bei der Be¬
urteilung der Meininger, bei der Schätzung ihres Einflusses auf die deutschen
Biihnenverhältnisse vor allem ankommt, mit gründlicher Einsicht und der ent¬
sprechenden Energie hervorhebt. Denn bei der Eigenart der Meininger ist
nichts leichter, als selbst bei Klarblickenden und Einsichtigen die Anschauung
immer wieder zu verwirren. Braucht es doch nur der Behauptung, daß das
Prinzip der Meininger auf lauter Dekorations- und Kostümäußerlichkeit hinaus¬
laufe, und der falsch betonten Wahrheit, daß die Meininger nur wenige schau¬
spielerische Kräfte ersten Ranges besäßen (als ob anderswo die ersten Kräfte
wie Brombeeren wüchsen), um die Bedeutung dieser Musterbtthne immer wieder
herabzusetzen. Dem allen gegenüber sagt Prölß mit ruhiger Bestimmtheit:
"Das Verdienst des Herzogs von Meiningen liegt in der That nicht darin,
sein Prinzip zum erstenmale aufgestellt, sondern es in der ihm eigentümliche!,
Weise ergriffen und zu Gunsten des darniederliegenden Dramas höhern Stils
zu erfolgreicher Ausführung gebracht zu haben. Der Herzog von Meiningen
hat weder der Zeit die Richtung auf das naturwahre, noch ans das Malerische
gegeben, er hat weder das historische Kostüm, noch den Zwischenvorhang, weder


Schriften zur Bühnenfrage.

Umfange nach herbeizaubert und darstellt. Weil dies Geschäft unerquicklich ist,
weil eine große Zahl von Gebildeten von demselben übermüdet und verekelt
sind, wenden sich nur allzuviele von der Theatcrfrage überhaupt ab. Für diese
sich abwendenden gilt auch heute noch, was Immermann 1835 schrieb: „Es
ist Mode geworden, die Bühne aufs äußerste herabzusetzen; ich mache diese
Mode nicht mit. Ich finde nicht, daß alle Keime so erstorben sind, daß keine
Wiederbelebung möglich wäre; ich würde es für ein großes Unglück halten,
wenn dem so wäre. Seitdem sich eine üble Laune über die Sache verbreitet
hat, ist eine große Lücke in unserm geistig-sittlichen sozialen Leben bemerkbar
geworden, welche kein Surrogat ausfüllen will." Fortschrittspolitiker, modernste
Streber, Gründer und andre Gesellschaftsklassen mögen vielleicht von dieser Lücke
nichts verspüren; in den Lebenskreisen, um die es uns hauptsächlich zu thun ist,
klafft sie doch in empfindlicher Weise. Es ist am Ende natürlich, daß Menschen,
die zur Zeit entweder gar nicht mehr oder doch höchst selten ins Theater
gehen, die lebendige und tiefere Teilnahme daran verlieren. Und doch wenden
sich die Schriften, deren wir heute zu gedenken haben, hauptsächlich an diese
Lebenskreise, sie wären zweck- und sinnlos, wenn sie nur von den ständigen
Theaterbesuchern, den Theaterpraktikern und den „aktuellen" Referenten gelesen
werden sollten.

Die erste dieser Schriften, Das Herzoglich Meiningische Hoftheater,
seine Entwicklung, seine Bestrebungen und die Bedeutung seiner Gastspiele von
Robert Prölß (Leipzig, Friedrich Conrad) behandelt einen scheinbar schon all¬
zuviel erörterten Gegenstand. Aber erstens traf die Schrift mit dem jüngsten er¬
folgreichen und entscheidenden Gastspiel der Meininger in Berlin zusammen, und
sodann hat sie das Verdienst, daß sie den Hauptpunkt, auf den es bei der Be¬
urteilung der Meininger, bei der Schätzung ihres Einflusses auf die deutschen
Biihnenverhältnisse vor allem ankommt, mit gründlicher Einsicht und der ent¬
sprechenden Energie hervorhebt. Denn bei der Eigenart der Meininger ist
nichts leichter, als selbst bei Klarblickenden und Einsichtigen die Anschauung
immer wieder zu verwirren. Braucht es doch nur der Behauptung, daß das
Prinzip der Meininger auf lauter Dekorations- und Kostümäußerlichkeit hinaus¬
laufe, und der falsch betonten Wahrheit, daß die Meininger nur wenige schau¬
spielerische Kräfte ersten Ranges besäßen (als ob anderswo die ersten Kräfte
wie Brombeeren wüchsen), um die Bedeutung dieser Musterbtthne immer wieder
herabzusetzen. Dem allen gegenüber sagt Prölß mit ruhiger Bestimmtheit:
„Das Verdienst des Herzogs von Meiningen liegt in der That nicht darin,
sein Prinzip zum erstenmale aufgestellt, sondern es in der ihm eigentümliche!,
Weise ergriffen und zu Gunsten des darniederliegenden Dramas höhern Stils
zu erfolgreicher Ausführung gebracht zu haben. Der Herzog von Meiningen
hat weder der Zeit die Richtung auf das naturwahre, noch ans das Malerische
gegeben, er hat weder das historische Kostüm, noch den Zwischenvorhang, weder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/592>, abgerufen am 17.09.2024.