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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

bart sich doch ein großer Unterschied zwischen den strategischen Rücksichten, die
hüben und drüben beim Festungsbau zur Geltung gekommen sind, ein Unter¬
schied, der so tiefgreifend ist, daß das Festuugsnetz in beiden Ländern nach ganz
verschiednen Systemen erbaut zu sein scheint. Auch jetzt wieder scheint das
deutsche System den Sieg davon tragen zu sollen, denn die andern Länder
Europas schließen sich mehr oder weniger eng ihm an, wenn auch hie und da
Annäherungen an den französischen Gedanken der Sperrforts auftauchen.

Der Unterschied zwischen den beiden Systemen, welcher kein fortifikatorischer,
sondern ein strategischer ist, läßt sich mit einem Wort bezeichnen: die deutschen
Festungen sind für einen Angriff, die französischen für eine Verteidigung er¬
richtet. Dieser Umstand wird gleicher Weise die Mobilmachung, den Heercs-
aufmarsch und die ersten strategischen Operationen bei einem etwaigen nächsten
Kriege zwischen Frankreich und Deutschland bestimmen. So haben sich die
Franzosen selber eine Verhaltungslinie vorgezeichnet, welche ihrer ganzen mili¬
tärischen Überlieferung widerspricht. Das ist der Einfluß eines einzigen ge¬
waltigen Krieges, der durch eine Fülle neuer Erfahrungen von der Zeit ge¬
heiligte Grundsätze über den Haufen wirft. In Beziehung auf die Festungsbauten
kommt die Wandlung in dem französischen System zum Ausdruck durch die
übertriebene ängstliche Absperrung der deutschen Grenze, eine Absperrung, welche
wenig Vertrauen zur eignen Stärke im Felde beweist. Es liegt in der Natur
der neuern Befestigungskunst, die detachirten Forts zu vermehren und ihnen
eine Wichtigkeit zu erteilen, hinter der die des Hauptwalles einigermaßen zurück¬
tritt. Die Franzosen übertreiben auch dies. Sie lassen den Hauptwall voll¬
kommen verschwinden und begnügen sich mit einem mehrfachen Gürtel von
Forts. Das setzt wiederum ein Mißtrauen auf die eigue moralische Stärke
voraus, das entspringt der Annahme, eine Besatzung, die ihre Außenwerke ver
loren hat, sei bereits moralisch und Physisch so sehr geschwächt, daß von einer
ferneren Verteidigung nicht mehr die Rede sein könne. Die deutsche Anschauung
verabscheut diesen Satz; sie führt im Gegenteil zu kasemattirten Batterien zur
Bestreichung des innern Wallganges, also zur Verteidigung bis auf die letzte
Sekunde.

Der dichte Gürtel vou Sperrfvrts längs der französisch-deutschen Grenze
trägt den Verteidigungscharakter des Festuugsbaues zum Gipfelpunkt. Es mag
etwas Verlockendes darin liegen, alle Schienenwege dnrch Forts zu beherrschen
und somit den ersten Schritt auf dem Wege des Feindes mit einer Bombeusaat
zu begrüßen. Es ist nur die Frage, ob die Forts bei der rasch fortschreitenden
Geschütztechnik wirklich in der Lage sind, einem großen Heere die Schienenwege
zu verlegen. Man darf wohl billig daran zweifeln. Ist aber an einer einzigen
Stelle der Durchbruch geschehen, dann ist der ganze Gürtel verloren, noch ehe
er überhaupt Gelegenheit erhalten hat, eine Kanone abzuschießen. Wir haben
keinen Grund, mit Besorgnis ans die Sperrforts der Vogesen z>! blicken.


Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

bart sich doch ein großer Unterschied zwischen den strategischen Rücksichten, die
hüben und drüben beim Festungsbau zur Geltung gekommen sind, ein Unter¬
schied, der so tiefgreifend ist, daß das Festuugsnetz in beiden Ländern nach ganz
verschiednen Systemen erbaut zu sein scheint. Auch jetzt wieder scheint das
deutsche System den Sieg davon tragen zu sollen, denn die andern Länder
Europas schließen sich mehr oder weniger eng ihm an, wenn auch hie und da
Annäherungen an den französischen Gedanken der Sperrforts auftauchen.

Der Unterschied zwischen den beiden Systemen, welcher kein fortifikatorischer,
sondern ein strategischer ist, läßt sich mit einem Wort bezeichnen: die deutschen
Festungen sind für einen Angriff, die französischen für eine Verteidigung er¬
richtet. Dieser Umstand wird gleicher Weise die Mobilmachung, den Heercs-
aufmarsch und die ersten strategischen Operationen bei einem etwaigen nächsten
Kriege zwischen Frankreich und Deutschland bestimmen. So haben sich die
Franzosen selber eine Verhaltungslinie vorgezeichnet, welche ihrer ganzen mili¬
tärischen Überlieferung widerspricht. Das ist der Einfluß eines einzigen ge¬
waltigen Krieges, der durch eine Fülle neuer Erfahrungen von der Zeit ge¬
heiligte Grundsätze über den Haufen wirft. In Beziehung auf die Festungsbauten
kommt die Wandlung in dem französischen System zum Ausdruck durch die
übertriebene ängstliche Absperrung der deutschen Grenze, eine Absperrung, welche
wenig Vertrauen zur eignen Stärke im Felde beweist. Es liegt in der Natur
der neuern Befestigungskunst, die detachirten Forts zu vermehren und ihnen
eine Wichtigkeit zu erteilen, hinter der die des Hauptwalles einigermaßen zurück¬
tritt. Die Franzosen übertreiben auch dies. Sie lassen den Hauptwall voll¬
kommen verschwinden und begnügen sich mit einem mehrfachen Gürtel von
Forts. Das setzt wiederum ein Mißtrauen auf die eigue moralische Stärke
voraus, das entspringt der Annahme, eine Besatzung, die ihre Außenwerke ver
loren hat, sei bereits moralisch und Physisch so sehr geschwächt, daß von einer
ferneren Verteidigung nicht mehr die Rede sein könne. Die deutsche Anschauung
verabscheut diesen Satz; sie führt im Gegenteil zu kasemattirten Batterien zur
Bestreichung des innern Wallganges, also zur Verteidigung bis auf die letzte
Sekunde.

Der dichte Gürtel vou Sperrfvrts längs der französisch-deutschen Grenze
trägt den Verteidigungscharakter des Festuugsbaues zum Gipfelpunkt. Es mag
etwas Verlockendes darin liegen, alle Schienenwege dnrch Forts zu beherrschen
und somit den ersten Schritt auf dem Wege des Feindes mit einer Bombeusaat
zu begrüßen. Es ist nur die Frage, ob die Forts bei der rasch fortschreitenden
Geschütztechnik wirklich in der Lage sind, einem großen Heere die Schienenwege
zu verlegen. Man darf wohl billig daran zweifeln. Ist aber an einer einzigen
Stelle der Durchbruch geschehen, dann ist der ganze Gürtel verloren, noch ehe
er überhaupt Gelegenheit erhalten hat, eine Kanone abzuschießen. Wir haben
keinen Grund, mit Besorgnis ans die Sperrforts der Vogesen z>! blicken.


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[0579] Zur Geschichte der beständigen Befestigung. bart sich doch ein großer Unterschied zwischen den strategischen Rücksichten, die hüben und drüben beim Festungsbau zur Geltung gekommen sind, ein Unter¬ schied, der so tiefgreifend ist, daß das Festuugsnetz in beiden Ländern nach ganz verschiednen Systemen erbaut zu sein scheint. Auch jetzt wieder scheint das deutsche System den Sieg davon tragen zu sollen, denn die andern Länder Europas schließen sich mehr oder weniger eng ihm an, wenn auch hie und da Annäherungen an den französischen Gedanken der Sperrforts auftauchen. Der Unterschied zwischen den beiden Systemen, welcher kein fortifikatorischer, sondern ein strategischer ist, läßt sich mit einem Wort bezeichnen: die deutschen Festungen sind für einen Angriff, die französischen für eine Verteidigung er¬ richtet. Dieser Umstand wird gleicher Weise die Mobilmachung, den Heercs- aufmarsch und die ersten strategischen Operationen bei einem etwaigen nächsten Kriege zwischen Frankreich und Deutschland bestimmen. So haben sich die Franzosen selber eine Verhaltungslinie vorgezeichnet, welche ihrer ganzen mili¬ tärischen Überlieferung widerspricht. Das ist der Einfluß eines einzigen ge¬ waltigen Krieges, der durch eine Fülle neuer Erfahrungen von der Zeit ge¬ heiligte Grundsätze über den Haufen wirft. In Beziehung auf die Festungsbauten kommt die Wandlung in dem französischen System zum Ausdruck durch die übertriebene ängstliche Absperrung der deutschen Grenze, eine Absperrung, welche wenig Vertrauen zur eignen Stärke im Felde beweist. Es liegt in der Natur der neuern Befestigungskunst, die detachirten Forts zu vermehren und ihnen eine Wichtigkeit zu erteilen, hinter der die des Hauptwalles einigermaßen zurück¬ tritt. Die Franzosen übertreiben auch dies. Sie lassen den Hauptwall voll¬ kommen verschwinden und begnügen sich mit einem mehrfachen Gürtel von Forts. Das setzt wiederum ein Mißtrauen auf die eigue moralische Stärke voraus, das entspringt der Annahme, eine Besatzung, die ihre Außenwerke ver loren hat, sei bereits moralisch und Physisch so sehr geschwächt, daß von einer ferneren Verteidigung nicht mehr die Rede sein könne. Die deutsche Anschauung verabscheut diesen Satz; sie führt im Gegenteil zu kasemattirten Batterien zur Bestreichung des innern Wallganges, also zur Verteidigung bis auf die letzte Sekunde. Der dichte Gürtel vou Sperrfvrts längs der französisch-deutschen Grenze trägt den Verteidigungscharakter des Festuugsbaues zum Gipfelpunkt. Es mag etwas Verlockendes darin liegen, alle Schienenwege dnrch Forts zu beherrschen und somit den ersten Schritt auf dem Wege des Feindes mit einer Bombeusaat zu begrüßen. Es ist nur die Frage, ob die Forts bei der rasch fortschreitenden Geschütztechnik wirklich in der Lage sind, einem großen Heere die Schienenwege zu verlegen. Man darf wohl billig daran zweifeln. Ist aber an einer einzigen Stelle der Durchbruch geschehen, dann ist der ganze Gürtel verloren, noch ehe er überhaupt Gelegenheit erhalten hat, eine Kanone abzuschießen. Wir haben keinen Grund, mit Besorgnis ans die Sperrforts der Vogesen z>! blicken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/579>, abgerufen am 17.09.2024.