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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

möglicher, und somit geziemt es uns, unser Haus in Ordnung zu bringen."
Das kann ernst, aber auch komisch aussehe", je nach der Seite, wo man bei
der Betrachtung sich aufgestellt hat. Zwei nach englische" Begriffen starke, nach
deutschen schwache Armeekorps und ein Dutzend Reiterregimenter sind "ach
britischen Verhältnissen und Vorstellungen allerdings eine Achtung gebietende,
jn eine riesenhafte Armee. Bei uns aber wollen sie wenig bedeuten. Auch
sind die beiden Korps Wolseleys näher besehen mehr Redensart als Thatsache.
Solche Verbände sind nur möglich bei Truppen mit bestimmten Garnisonen;
die englische Armee ist aber eine stets den Ort wechselnde, sie garnisonirt bald
hie und da im Lande, versorgt Irland mit Truppen, versieht Indien mit
europäischen Rekruten und ist ein Depot für die britische MietsoldateSka in aller
Welt, und so ist eine örtliche Organisation eines erheblichen Teiles derselben
innerhalb des vereinigten Königreiches nicht wohl auszuführen.

Englands Kriegsflotte ist der französischen jetzt wahrscheinlich noch gewachsen,
wenn man an Schlachten denkt, die sich Geschwader liefern. Das englische Heer
dagegen genügt durchaus nicht, um das Weltreich mit Erfolg zu verteidigen,
wenn die russische Großmacht einmal die Stunde gekommen erachtet, den besten
Teil dieses Reiches anzugreifen und zu gleicher Zeit Frankreich sich anschickt,
die Hand auf Ägypten zu legen, durch Kreuzer den englischen Handel und mit
diesem die englische Industrie zu lähmen und mit einem Versuche zur Invasion
über das aufgewühlte Irland und zu gleicher Zeit über die Meerenge von Dover
nach der britischen Insel, dem Mittelpunkte des Reiches, zu drohen. I" Amerika
stoßen die Interesse" der Union schon jetzt mit denen Großbritanniens zusammen,
und nach Vollendung der Kanäle, welche die Meere jenes Erdteils in wenigen
Jahren verbinden werden, wird dies in noch Höheren Grade der Fall sein.
Wie man in Kanada vor einer Empörung des französische" Elements nicht
sicher ist, so in der Kapkolonie nicht vor einem Aufstände des holländischen,
das in den benachbarten Boercnrepubliken staatlich organisirt und in Natal
sehr zahlreich vertreten ist. Und wie steht es mit der Bevölkerung Indiens,
besonders mit den dortigen Muhamedanern? Wie mit den Fürsten, die jetzt
treu scheinen, aber bei einer ersten Niederlage der Engländer im Kampfe mit
Rußland als echte Orientalen sich dem Sieger zuwenden können, dem sie mit
ihren nicht unbeträchtlichen Armeen willkommenen Beistand leisten würden? Den
besten Teil des indischen Scapoyhceres endlich bilden die Ghnrkarcgimcnter,
Söldner wie früher die Schweizer und wie diese um Geld für jede Macht zu
haben, für Rußland so gut wie für England, welches auch auf die Afghanen
nur so lange rechnen kann, als es ihnen den Eindrnck der nächsten und stärksten
von den beiden Parteien macht -- und der reichsten und freigebigsten!

Noch eins ist ins Auge gefaßt worden. Jn der ersten Aprilwoche dieses
Jahres wurde im Londoner Auswärtigen Amte eine Konferenz eröffnet, an der
sich Vertreter der Regierung, der Opposition und der Kolonien beteiligten und


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

möglicher, und somit geziemt es uns, unser Haus in Ordnung zu bringen."
Das kann ernst, aber auch komisch aussehe», je nach der Seite, wo man bei
der Betrachtung sich aufgestellt hat. Zwei nach englische» Begriffen starke, nach
deutschen schwache Armeekorps und ein Dutzend Reiterregimenter sind »ach
britischen Verhältnissen und Vorstellungen allerdings eine Achtung gebietende,
jn eine riesenhafte Armee. Bei uns aber wollen sie wenig bedeuten. Auch
sind die beiden Korps Wolseleys näher besehen mehr Redensart als Thatsache.
Solche Verbände sind nur möglich bei Truppen mit bestimmten Garnisonen;
die englische Armee ist aber eine stets den Ort wechselnde, sie garnisonirt bald
hie und da im Lande, versorgt Irland mit Truppen, versieht Indien mit
europäischen Rekruten und ist ein Depot für die britische MietsoldateSka in aller
Welt, und so ist eine örtliche Organisation eines erheblichen Teiles derselben
innerhalb des vereinigten Königreiches nicht wohl auszuführen.

Englands Kriegsflotte ist der französischen jetzt wahrscheinlich noch gewachsen,
wenn man an Schlachten denkt, die sich Geschwader liefern. Das englische Heer
dagegen genügt durchaus nicht, um das Weltreich mit Erfolg zu verteidigen,
wenn die russische Großmacht einmal die Stunde gekommen erachtet, den besten
Teil dieses Reiches anzugreifen und zu gleicher Zeit Frankreich sich anschickt,
die Hand auf Ägypten zu legen, durch Kreuzer den englischen Handel und mit
diesem die englische Industrie zu lähmen und mit einem Versuche zur Invasion
über das aufgewühlte Irland und zu gleicher Zeit über die Meerenge von Dover
nach der britischen Insel, dem Mittelpunkte des Reiches, zu drohen. I» Amerika
stoßen die Interesse» der Union schon jetzt mit denen Großbritanniens zusammen,
und nach Vollendung der Kanäle, welche die Meere jenes Erdteils in wenigen
Jahren verbinden werden, wird dies in noch Höheren Grade der Fall sein.
Wie man in Kanada vor einer Empörung des französische» Elements nicht
sicher ist, so in der Kapkolonie nicht vor einem Aufstände des holländischen,
das in den benachbarten Boercnrepubliken staatlich organisirt und in Natal
sehr zahlreich vertreten ist. Und wie steht es mit der Bevölkerung Indiens,
besonders mit den dortigen Muhamedanern? Wie mit den Fürsten, die jetzt
treu scheinen, aber bei einer ersten Niederlage der Engländer im Kampfe mit
Rußland als echte Orientalen sich dem Sieger zuwenden können, dem sie mit
ihren nicht unbeträchtlichen Armeen willkommenen Beistand leisten würden? Den
besten Teil des indischen Scapoyhceres endlich bilden die Ghnrkarcgimcnter,
Söldner wie früher die Schweizer und wie diese um Geld für jede Macht zu
haben, für Rußland so gut wie für England, welches auch auf die Afghanen
nur so lange rechnen kann, als es ihnen den Eindrnck der nächsten und stärksten
von den beiden Parteien macht — und der reichsten und freigebigsten!

Noch eins ist ins Auge gefaßt worden. Jn der ersten Aprilwoche dieses
Jahres wurde im Londoner Auswärtigen Amte eine Konferenz eröffnet, an der
sich Vertreter der Regierung, der Opposition und der Kolonien beteiligten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/567>, abgerufen am 17.09.2024.