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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Flotte Englands ist in wichtigen Beziehungen nicht ganz mehr, was
sie war. Dagegen ist das Heer Englands im wesentlichen geblieben, was es
immer war, ein verhältnismäßig schwaches, der Zahl wie dem innern Werte
nach wenig bedeutendes Söldnerheer mit einem Anhängsel von Milizen
und Freiwilligen, die noch weniger taugen. Die geworbene Armee zählt
250 000 Mann, von denen 210 000 in Europa und in den überseeischen
Ländern unter den Fahnen stehen und 40000 der Reserve ersten und zweiten
Aufgebotes angehören. Die Miliz besteht einschließlich ihrer Reserve aus
140 000 Mann, die berittene Landwehr, Aeomcmry. ist 11000 Pferde stark,
an Freiwilligen verfügt Großbritannien über 220000 Mann, die Seapoy-
armee zählt 150 000, die Miliz Kanadas 45000 Mann. Außerdem giebt
es Milizregimenter auf den Kanalinseln und Freiwilligenkorps i" Gibraltar,
in Westindien, am Kap, in Ceylon, Singapur, Hongkong, Neuseeland, Neu-
südwales, Süd- und Westaustralien, in Tasmanien und Victoria, endlich auf
den Inseln Malta und Se. Helena. Diese Streitkräfte sind der Zahl nach
nicht entfernt mit den Riesenheeren der übrigen Großmächte zu vergleichen, und
der Qualität nach läßt selbst der reguläre Teil derselben sehr viel zu wünschen
und zu tadeln, während die Güte die mangelnde Menge ersetzen sollte. Der eng¬
lische Soldat ist tapfer, aber großenteils zu jung, um starke Strapaze" ohne
Schaden zu ertrage", und nicht durchweg so ausgerüstet und bewaffnet, wie es
die Gegenwart verlangt. In den Schlachten bei Snakin gingen viele von den
Truppen barfuß, weil ihre Stiefeln untauglich geworden waren und mau ihnen
kein zweites Paar mitgegeben hatte. In den Kämpfen mit den Derwischen des
Mahdi kam es häufig vor, daß sich die Bajonette der Infanterie und die Säbel
der Reiter beim Gebrauche verbogen, und die noch jetzt fortdauernde Unter¬
suchung der Vorräte an diesen Waffen fördert ganz erstaunliche Thatsachen
zu Tage. Die Miliz und die Freiwilligen, ins rmxaiä Min^, wie man sie
bezeichnet, sind schon deshalb von sehr geringen! Werte, weil sie zu wenig
Offiziere haben, und weil unter den Offizieren, die sie besitzen, eine einigermaßen
genügende militärische Bildung so gut wie gar nicht zu finden ist. Die Miliz
würde in einem Feldzuge höchstens das leisten, was die Miliz der nord¬
amerikanischen Freistaaten unter ihren Generalen leistete, die ihres Zeichens
meist Advokaten waren, und die bei Bullrun und anderwärts so lange von den
Milizen der Konföderirten mit ihren meist in Westpoint gebildeten Berufs¬
offizieren geschlagen wurden, als sie überhaupt kommandirten. Erst als die
Union mit gewaltigen Massen durch den Krieg zu Kriegern gewordener Leute
zu Felde zog, die ebenfalls Berufsoffiziere zu Oberbefehlshabern hatten, unter¬
lag der Aufstand allmählich. Man wolle uns nicht die Schlacht bei Neu-
orleans entgegenhalten, wo Jackson einem Heere englischer Veteranen mit seinen
Scharfschützen eine an Vernichtung grenzende Niederlage beibrachte. Man
beweist damit nur, daß der General Packenham, der diese Veteranen gegen die


Die Flotte Englands ist in wichtigen Beziehungen nicht ganz mehr, was
sie war. Dagegen ist das Heer Englands im wesentlichen geblieben, was es
immer war, ein verhältnismäßig schwaches, der Zahl wie dem innern Werte
nach wenig bedeutendes Söldnerheer mit einem Anhängsel von Milizen
und Freiwilligen, die noch weniger taugen. Die geworbene Armee zählt
250 000 Mann, von denen 210 000 in Europa und in den überseeischen
Ländern unter den Fahnen stehen und 40000 der Reserve ersten und zweiten
Aufgebotes angehören. Die Miliz besteht einschließlich ihrer Reserve aus
140 000 Mann, die berittene Landwehr, Aeomcmry. ist 11000 Pferde stark,
an Freiwilligen verfügt Großbritannien über 220000 Mann, die Seapoy-
armee zählt 150 000, die Miliz Kanadas 45000 Mann. Außerdem giebt
es Milizregimenter auf den Kanalinseln und Freiwilligenkorps i» Gibraltar,
in Westindien, am Kap, in Ceylon, Singapur, Hongkong, Neuseeland, Neu-
südwales, Süd- und Westaustralien, in Tasmanien und Victoria, endlich auf
den Inseln Malta und Se. Helena. Diese Streitkräfte sind der Zahl nach
nicht entfernt mit den Riesenheeren der übrigen Großmächte zu vergleichen, und
der Qualität nach läßt selbst der reguläre Teil derselben sehr viel zu wünschen
und zu tadeln, während die Güte die mangelnde Menge ersetzen sollte. Der eng¬
lische Soldat ist tapfer, aber großenteils zu jung, um starke Strapaze» ohne
Schaden zu ertrage», und nicht durchweg so ausgerüstet und bewaffnet, wie es
die Gegenwart verlangt. In den Schlachten bei Snakin gingen viele von den
Truppen barfuß, weil ihre Stiefeln untauglich geworden waren und mau ihnen
kein zweites Paar mitgegeben hatte. In den Kämpfen mit den Derwischen des
Mahdi kam es häufig vor, daß sich die Bajonette der Infanterie und die Säbel
der Reiter beim Gebrauche verbogen, und die noch jetzt fortdauernde Unter¬
suchung der Vorräte an diesen Waffen fördert ganz erstaunliche Thatsachen
zu Tage. Die Miliz und die Freiwilligen, ins rmxaiä Min^, wie man sie
bezeichnet, sind schon deshalb von sehr geringen! Werte, weil sie zu wenig
Offiziere haben, und weil unter den Offizieren, die sie besitzen, eine einigermaßen
genügende militärische Bildung so gut wie gar nicht zu finden ist. Die Miliz
würde in einem Feldzuge höchstens das leisten, was die Miliz der nord¬
amerikanischen Freistaaten unter ihren Generalen leistete, die ihres Zeichens
meist Advokaten waren, und die bei Bullrun und anderwärts so lange von den
Milizen der Konföderirten mit ihren meist in Westpoint gebildeten Berufs¬
offizieren geschlagen wurden, als sie überhaupt kommandirten. Erst als die
Union mit gewaltigen Massen durch den Krieg zu Kriegern gewordener Leute
zu Felde zog, die ebenfalls Berufsoffiziere zu Oberbefehlshabern hatten, unter¬
lag der Aufstand allmählich. Man wolle uns nicht die Schlacht bei Neu-
orleans entgegenhalten, wo Jackson einem Heere englischer Veteranen mit seinen
Scharfschützen eine an Vernichtung grenzende Niederlage beibrachte. Man
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/565>, abgerufen am 17.09.2024.