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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

und die badische Negierung mit einer Eingabe gewandt und gebeten, daß zur Beseiti¬
gung der Nachteile, die dem Buchhandel aus den Abweichungen der amtlichen ortho¬
graphischen Regelbücher der einzelnen deutscheu Bundesstaaten erwachsen, die betreffen¬
den Regierungen sich doch dem in Preußen eingeführten Rcgelbuche anschließen möchten.
Eine ähnliche Eingabe war schon im Jahre 1830 gemacht worden. Auch diesmal wird
es in dieser lächerlich unbedeutenden Angelegenheit noch zu keiner Einigkeit kommen.
Rückhaltslos zugestimmt hat nur das sächsische Kultusministerium: es hat zugesagt,
daß bei dem bevorstehenden Neudrucke des sächsischen Negelbuches dem Gesuche des
Börsenvereins entsprochen werden wird. Die Entscheidung der badischen Regierung
steht noch aus. Baiern und Württemberg aber haben sich auch diesmal wieder
ablehnend verhalten. Das württembergische Ministerium ist der Ansicht, daß die
Abweichungen der württembergischen Schulorthographie von der preußischen "zu un¬
bedeutend erscheinen, um eine ernstliche Belästigung des Buchhandels begründen zu
können." Das bcnerische Ministerium erklärt sich zwar mit der Ansicht des Börsen¬
vereins einverstanden, meint aber, daß "eine einfache Adoption des Preußischen
Regelbuches vou feiten Baierns nicht der richtige, dem Gang der Sache und dem
Verhältnis der verbündeten Staaten entsprechende Weg sei."

Leider hat das bcnerische Ministerium in einen: Zusätze, den es zu dieser Ent¬
scheidung macht, nur allzurecht. Es bemerkt nämlich, daß "das von dem Einflüsse
der Regierungen unabhängige Schriftstellertum und insbesondre die Tagespresse
bisher noch in so geringem Umfange die neue Orthographie angenommen habe,
daß es vor allem Aufgabe der Buchhändler und Verleger sein dürfte, für die
größere Verbreitung der neuen Rechtschreibung in ihren Kreisen Propaganda zu
machen." In der That sind unsre heutigen orthographischen Zustände geradezu
ein Kinderspott. Was soll man dazu sagen, wenn in einer großen deutschen Stadt
in sämtlichen Schulen nun schon seit zehn Jahren die neue Orthographie ge¬
lehrt, aber fast die gesamte Tagespresse dieser Stadt noch heutigen Tages in der
alten Orthographie gedruckt wird? Daß also auch die sämtlichen Bekanntmachungen
derjenigen Behörde, die in diesen Schulen von Amtswegen über der Durchführung
der neuen Orthographie wacht, in der alten Orthographie gedruckt werden? Aber
die Lächerlichkeit geht noch weiter. Ein Lehrer dieser Stadt erzählte kürzlich, daß,
wenn die Lehrerschaft nicht Anstoß erregen, sondern es allen Leuten recht machen
wolle, sie zwar deu Schulrat mit dem t, aber den Stadtrath mit dem es schreiben
müsse!

Soviel ist sicher, daß noch mehrere Menschenalter vergehen werden, ehe die
neue Orthographie durchgedrungen sein wird. Vorläufig ist ihre Uebung beinahe
nichts als ein Privatvergnügen der Schulen. Sobald der Junge aus der Schule
heraus ist, muß er seine Orthographie nmlernen. In dem Maße, wie die Alten
absterben und die Jungen alt werden, wird natürlich die Menge des Umzulernenden
geringer werden, aber lange geung wirds noch dauern, bis die Alten wirklich so
schreiben, wie die Kinder schreiben lernen.




Kleinere Mitteilungen.

und die badische Negierung mit einer Eingabe gewandt und gebeten, daß zur Beseiti¬
gung der Nachteile, die dem Buchhandel aus den Abweichungen der amtlichen ortho¬
graphischen Regelbücher der einzelnen deutscheu Bundesstaaten erwachsen, die betreffen¬
den Regierungen sich doch dem in Preußen eingeführten Rcgelbuche anschließen möchten.
Eine ähnliche Eingabe war schon im Jahre 1830 gemacht worden. Auch diesmal wird
es in dieser lächerlich unbedeutenden Angelegenheit noch zu keiner Einigkeit kommen.
Rückhaltslos zugestimmt hat nur das sächsische Kultusministerium: es hat zugesagt,
daß bei dem bevorstehenden Neudrucke des sächsischen Negelbuches dem Gesuche des
Börsenvereins entsprochen werden wird. Die Entscheidung der badischen Regierung
steht noch aus. Baiern und Württemberg aber haben sich auch diesmal wieder
ablehnend verhalten. Das württembergische Ministerium ist der Ansicht, daß die
Abweichungen der württembergischen Schulorthographie von der preußischen „zu un¬
bedeutend erscheinen, um eine ernstliche Belästigung des Buchhandels begründen zu
können." Das bcnerische Ministerium erklärt sich zwar mit der Ansicht des Börsen¬
vereins einverstanden, meint aber, daß „eine einfache Adoption des Preußischen
Regelbuches vou feiten Baierns nicht der richtige, dem Gang der Sache und dem
Verhältnis der verbündeten Staaten entsprechende Weg sei."

Leider hat das bcnerische Ministerium in einen: Zusätze, den es zu dieser Ent¬
scheidung macht, nur allzurecht. Es bemerkt nämlich, daß „das von dem Einflüsse
der Regierungen unabhängige Schriftstellertum und insbesondre die Tagespresse
bisher noch in so geringem Umfange die neue Orthographie angenommen habe,
daß es vor allem Aufgabe der Buchhändler und Verleger sein dürfte, für die
größere Verbreitung der neuen Rechtschreibung in ihren Kreisen Propaganda zu
machen." In der That sind unsre heutigen orthographischen Zustände geradezu
ein Kinderspott. Was soll man dazu sagen, wenn in einer großen deutschen Stadt
in sämtlichen Schulen nun schon seit zehn Jahren die neue Orthographie ge¬
lehrt, aber fast die gesamte Tagespresse dieser Stadt noch heutigen Tages in der
alten Orthographie gedruckt wird? Daß also auch die sämtlichen Bekanntmachungen
derjenigen Behörde, die in diesen Schulen von Amtswegen über der Durchführung
der neuen Orthographie wacht, in der alten Orthographie gedruckt werden? Aber
die Lächerlichkeit geht noch weiter. Ein Lehrer dieser Stadt erzählte kürzlich, daß,
wenn die Lehrerschaft nicht Anstoß erregen, sondern es allen Leuten recht machen
wolle, sie zwar deu Schulrat mit dem t, aber den Stadtrath mit dem es schreiben
müsse!

Soviel ist sicher, daß noch mehrere Menschenalter vergehen werden, ehe die
neue Orthographie durchgedrungen sein wird. Vorläufig ist ihre Uebung beinahe
nichts als ein Privatvergnügen der Schulen. Sobald der Junge aus der Schule
heraus ist, muß er seine Orthographie nmlernen. In dem Maße, wie die Alten
absterben und die Jungen alt werden, wird natürlich die Menge des Umzulernenden
geringer werden, aber lange geung wirds noch dauern, bis die Alten wirklich so
schreiben, wie die Kinder schreiben lernen.




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[0555] Kleinere Mitteilungen. und die badische Negierung mit einer Eingabe gewandt und gebeten, daß zur Beseiti¬ gung der Nachteile, die dem Buchhandel aus den Abweichungen der amtlichen ortho¬ graphischen Regelbücher der einzelnen deutscheu Bundesstaaten erwachsen, die betreffen¬ den Regierungen sich doch dem in Preußen eingeführten Rcgelbuche anschließen möchten. Eine ähnliche Eingabe war schon im Jahre 1830 gemacht worden. Auch diesmal wird es in dieser lächerlich unbedeutenden Angelegenheit noch zu keiner Einigkeit kommen. Rückhaltslos zugestimmt hat nur das sächsische Kultusministerium: es hat zugesagt, daß bei dem bevorstehenden Neudrucke des sächsischen Negelbuches dem Gesuche des Börsenvereins entsprochen werden wird. Die Entscheidung der badischen Regierung steht noch aus. Baiern und Württemberg aber haben sich auch diesmal wieder ablehnend verhalten. Das württembergische Ministerium ist der Ansicht, daß die Abweichungen der württembergischen Schulorthographie von der preußischen „zu un¬ bedeutend erscheinen, um eine ernstliche Belästigung des Buchhandels begründen zu können." Das bcnerische Ministerium erklärt sich zwar mit der Ansicht des Börsen¬ vereins einverstanden, meint aber, daß „eine einfache Adoption des Preußischen Regelbuches vou feiten Baierns nicht der richtige, dem Gang der Sache und dem Verhältnis der verbündeten Staaten entsprechende Weg sei." Leider hat das bcnerische Ministerium in einen: Zusätze, den es zu dieser Ent¬ scheidung macht, nur allzurecht. Es bemerkt nämlich, daß „das von dem Einflüsse der Regierungen unabhängige Schriftstellertum und insbesondre die Tagespresse bisher noch in so geringem Umfange die neue Orthographie angenommen habe, daß es vor allem Aufgabe der Buchhändler und Verleger sein dürfte, für die größere Verbreitung der neuen Rechtschreibung in ihren Kreisen Propaganda zu machen." In der That sind unsre heutigen orthographischen Zustände geradezu ein Kinderspott. Was soll man dazu sagen, wenn in einer großen deutschen Stadt in sämtlichen Schulen nun schon seit zehn Jahren die neue Orthographie ge¬ lehrt, aber fast die gesamte Tagespresse dieser Stadt noch heutigen Tages in der alten Orthographie gedruckt wird? Daß also auch die sämtlichen Bekanntmachungen derjenigen Behörde, die in diesen Schulen von Amtswegen über der Durchführung der neuen Orthographie wacht, in der alten Orthographie gedruckt werden? Aber die Lächerlichkeit geht noch weiter. Ein Lehrer dieser Stadt erzählte kürzlich, daß, wenn die Lehrerschaft nicht Anstoß erregen, sondern es allen Leuten recht machen wolle, sie zwar deu Schulrat mit dem t, aber den Stadtrath mit dem es schreiben müsse! Soviel ist sicher, daß noch mehrere Menschenalter vergehen werden, ehe die neue Orthographie durchgedrungen sein wird. Vorläufig ist ihre Uebung beinahe nichts als ein Privatvergnügen der Schulen. Sobald der Junge aus der Schule heraus ist, muß er seine Orthographie nmlernen. In dem Maße, wie die Alten absterben und die Jungen alt werden, wird natürlich die Menge des Umzulernenden geringer werden, aber lange geung wirds noch dauern, bis die Alten wirklich so schreiben, wie die Kinder schreiben lernen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/555>, abgerufen am 17.09.2024.