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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

weiterhin zum Sumpfe wird. So mag es in Deutschland etwa zu Arnims
Zeiten ausgesehen habe", und unter solchen Verhältnissen hat der deutsche Ritter¬
orden Preußen unterworfen; es begreift sich, daß es ihm schwer fiel. Der Wald
gewährt natürlich nicht den Anblick eines deutschen Forstes, ist fast Urwald und
ohne eigentliche forstliche Pflege (Pläntnerwirtschaft); zwischen den roten Stämmen
der Kiefern und den dichtbewachsenen Fichten leuchten die Birken mit ihrer weißen
Rinde und dem hellen Lanbe hervor. Alles steht und liegt durcheinander, wie
es eben wächst und fällt, dazwischen Wachholder, der hier oft bis über Manns¬
höhe aufschießt, und andres dichtes, oft undurchdringliches Unterholz, über-
sponnen von den üppigen, dichtverschlungenen Ranken der Brombeeren und Him-
beerensträucher, oder graues Moos und Waldbeergestrüpp und dürre Äste
bedecken den Boden. Nur höchst selten taucht einmal eine Art Forsthaus auf,
einsam, weltverlassen, wohl nur zur Verhinderung etwaigen Jagdfrevels, denn
"die Jagd ist verboten" meldet zuweilen warnend eine Tafel, wo ein Wegweiser
erwünschter wäre, und zur Überwachung des Holzschlages für die fürstliche
Besitzerin dieses ganzen ungeheuern Reviers, soweit es nicht in den Händen der
Dorfgemeinden ist. Im Winter kommt zuweilen der Kaiser zur Jagd auf
Bären und Elenn hierher; leider bleiben diese Herren der Wildnis gewöhnlich
unsichtbar.

Meist in bedeutenden Entfernungen von einander, oft wie verloren im
Walde liegen die kleinen Dörfer, in ihrer Nähe zuweilen das Landgut einer
Herrschaft mit geringem Grundbesitz (Mysa, zum Unterschied von Jmjenie, dem
großen Gut). Die Bewohner sind ursprünglich meist finnischer Abkunft, wie
das auch die Namen mancher Orte neben russischen Benennungen verraten
(Kara Waldaj, Lachta neben Krasnaja Gorka, Pulkowa u. a. in.) -- denn dies
Volkstum greift rings um die Osthälfte des finnischen Meerbusens herum und
stößt im Westen mit dem stammverwandten esthnischen zusammen -- aber jetzt
soweit russifizirt, daß mir ältere Leute kein Russisch verstehen, die Mehrzahl
beider Sprachen mächtig ist. Es sind durchweg Leute von mittlerer Größe,
überwiegend blond, die Männer meist stattlicher als die Frauen, die wohl von
früh an hart arbeiten müssen, genügsam und fleißig, alles in allem ein Völkchen,
mit dem leicht auszukommen ist. Ganz klar wird aber doch der ungeheure
Abstand von deutschen Verhältnissen erst, wenn man ein solches Dorf betritt.
An einer breiten Gasse, die nichts ist als der natürliche, von Wagenrädern
durchfurchte Sand- oder Nasenboden, stehen hinter einem fortlaufenden Zaune
die Gehöfte, jedes für sich, das Wohnhaus gewöhnlich mit der Langseite nach
der Straße gesetzt, ein großer Holzkasten auf einer Steinuntcrlage, oft aus so
mächtigen Baumstämmen gefügt, daß fünf solcher übereinander gelegter Bohlen
genügen. Zur Hausthür der bessern Hänser leitet eine kleine hölzerne Vor¬
halle, sehr selten dagegen tritt aus dem Dache noch ein Giebelzimmer mit einem
Altan hervor. Buntbemaltes Schnitzwerk umrahmt die kleinen Fenster. Das


Russische Skizzen.

weiterhin zum Sumpfe wird. So mag es in Deutschland etwa zu Arnims
Zeiten ausgesehen habe», und unter solchen Verhältnissen hat der deutsche Ritter¬
orden Preußen unterworfen; es begreift sich, daß es ihm schwer fiel. Der Wald
gewährt natürlich nicht den Anblick eines deutschen Forstes, ist fast Urwald und
ohne eigentliche forstliche Pflege (Pläntnerwirtschaft); zwischen den roten Stämmen
der Kiefern und den dichtbewachsenen Fichten leuchten die Birken mit ihrer weißen
Rinde und dem hellen Lanbe hervor. Alles steht und liegt durcheinander, wie
es eben wächst und fällt, dazwischen Wachholder, der hier oft bis über Manns¬
höhe aufschießt, und andres dichtes, oft undurchdringliches Unterholz, über-
sponnen von den üppigen, dichtverschlungenen Ranken der Brombeeren und Him-
beerensträucher, oder graues Moos und Waldbeergestrüpp und dürre Äste
bedecken den Boden. Nur höchst selten taucht einmal eine Art Forsthaus auf,
einsam, weltverlassen, wohl nur zur Verhinderung etwaigen Jagdfrevels, denn
„die Jagd ist verboten" meldet zuweilen warnend eine Tafel, wo ein Wegweiser
erwünschter wäre, und zur Überwachung des Holzschlages für die fürstliche
Besitzerin dieses ganzen ungeheuern Reviers, soweit es nicht in den Händen der
Dorfgemeinden ist. Im Winter kommt zuweilen der Kaiser zur Jagd auf
Bären und Elenn hierher; leider bleiben diese Herren der Wildnis gewöhnlich
unsichtbar.

Meist in bedeutenden Entfernungen von einander, oft wie verloren im
Walde liegen die kleinen Dörfer, in ihrer Nähe zuweilen das Landgut einer
Herrschaft mit geringem Grundbesitz (Mysa, zum Unterschied von Jmjenie, dem
großen Gut). Die Bewohner sind ursprünglich meist finnischer Abkunft, wie
das auch die Namen mancher Orte neben russischen Benennungen verraten
(Kara Waldaj, Lachta neben Krasnaja Gorka, Pulkowa u. a. in.) — denn dies
Volkstum greift rings um die Osthälfte des finnischen Meerbusens herum und
stößt im Westen mit dem stammverwandten esthnischen zusammen — aber jetzt
soweit russifizirt, daß mir ältere Leute kein Russisch verstehen, die Mehrzahl
beider Sprachen mächtig ist. Es sind durchweg Leute von mittlerer Größe,
überwiegend blond, die Männer meist stattlicher als die Frauen, die wohl von
früh an hart arbeiten müssen, genügsam und fleißig, alles in allem ein Völkchen,
mit dem leicht auszukommen ist. Ganz klar wird aber doch der ungeheure
Abstand von deutschen Verhältnissen erst, wenn man ein solches Dorf betritt.
An einer breiten Gasse, die nichts ist als der natürliche, von Wagenrädern
durchfurchte Sand- oder Nasenboden, stehen hinter einem fortlaufenden Zaune
die Gehöfte, jedes für sich, das Wohnhaus gewöhnlich mit der Langseite nach
der Straße gesetzt, ein großer Holzkasten auf einer Steinuntcrlage, oft aus so
mächtigen Baumstämmen gefügt, daß fünf solcher übereinander gelegter Bohlen
genügen. Zur Hausthür der bessern Hänser leitet eine kleine hölzerne Vor¬
halle, sehr selten dagegen tritt aus dem Dache noch ein Giebelzimmer mit einem
Altan hervor. Buntbemaltes Schnitzwerk umrahmt die kleinen Fenster. Das


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[0548] Russische Skizzen. weiterhin zum Sumpfe wird. So mag es in Deutschland etwa zu Arnims Zeiten ausgesehen habe», und unter solchen Verhältnissen hat der deutsche Ritter¬ orden Preußen unterworfen; es begreift sich, daß es ihm schwer fiel. Der Wald gewährt natürlich nicht den Anblick eines deutschen Forstes, ist fast Urwald und ohne eigentliche forstliche Pflege (Pläntnerwirtschaft); zwischen den roten Stämmen der Kiefern und den dichtbewachsenen Fichten leuchten die Birken mit ihrer weißen Rinde und dem hellen Lanbe hervor. Alles steht und liegt durcheinander, wie es eben wächst und fällt, dazwischen Wachholder, der hier oft bis über Manns¬ höhe aufschießt, und andres dichtes, oft undurchdringliches Unterholz, über- sponnen von den üppigen, dichtverschlungenen Ranken der Brombeeren und Him- beerensträucher, oder graues Moos und Waldbeergestrüpp und dürre Äste bedecken den Boden. Nur höchst selten taucht einmal eine Art Forsthaus auf, einsam, weltverlassen, wohl nur zur Verhinderung etwaigen Jagdfrevels, denn „die Jagd ist verboten" meldet zuweilen warnend eine Tafel, wo ein Wegweiser erwünschter wäre, und zur Überwachung des Holzschlages für die fürstliche Besitzerin dieses ganzen ungeheuern Reviers, soweit es nicht in den Händen der Dorfgemeinden ist. Im Winter kommt zuweilen der Kaiser zur Jagd auf Bären und Elenn hierher; leider bleiben diese Herren der Wildnis gewöhnlich unsichtbar. Meist in bedeutenden Entfernungen von einander, oft wie verloren im Walde liegen die kleinen Dörfer, in ihrer Nähe zuweilen das Landgut einer Herrschaft mit geringem Grundbesitz (Mysa, zum Unterschied von Jmjenie, dem großen Gut). Die Bewohner sind ursprünglich meist finnischer Abkunft, wie das auch die Namen mancher Orte neben russischen Benennungen verraten (Kara Waldaj, Lachta neben Krasnaja Gorka, Pulkowa u. a. in.) — denn dies Volkstum greift rings um die Osthälfte des finnischen Meerbusens herum und stößt im Westen mit dem stammverwandten esthnischen zusammen — aber jetzt soweit russifizirt, daß mir ältere Leute kein Russisch verstehen, die Mehrzahl beider Sprachen mächtig ist. Es sind durchweg Leute von mittlerer Größe, überwiegend blond, die Männer meist stattlicher als die Frauen, die wohl von früh an hart arbeiten müssen, genügsam und fleißig, alles in allem ein Völkchen, mit dem leicht auszukommen ist. Ganz klar wird aber doch der ungeheure Abstand von deutschen Verhältnissen erst, wenn man ein solches Dorf betritt. An einer breiten Gasse, die nichts ist als der natürliche, von Wagenrädern durchfurchte Sand- oder Nasenboden, stehen hinter einem fortlaufenden Zaune die Gehöfte, jedes für sich, das Wohnhaus gewöhnlich mit der Langseite nach der Straße gesetzt, ein großer Holzkasten auf einer Steinuntcrlage, oft aus so mächtigen Baumstämmen gefügt, daß fünf solcher übereinander gelegter Bohlen genügen. Zur Hausthür der bessern Hänser leitet eine kleine hölzerne Vor¬ halle, sehr selten dagegen tritt aus dem Dache noch ein Giebelzimmer mit einem Altan hervor. Buntbemaltes Schnitzwerk umrahmt die kleinen Fenster. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/548>, abgerufen am 17.09.2024.