Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russische Skizzen.

Zweifel, wir nähern uns wieder einer Sommerfrische, freilich einfacheren Cha¬
rakters, und wir versagen schließlich unserm braven Rößlein samt der rüttelnden
Tcljega unsre Anerkennung nicht, denn es hat die ganze Strecke -- fast drei
Meilen -- in etwa 2^ Stunden zurückgelegt.

Der Name dieses Ortes hat noch keinerlei Berühmtheit erlangt und wird
sie auch schwerlich jemals erlangen, unähnlich so vielen jetzt dichtbevölkerten
"Luftkurorten" des Südens, von denen oft bis vor fünf oder zehn Jahren kein
Mensch etwas wußte, bis ein scharfblickender Arzt oder Tourist ihre Vorzüge
entdeckte und ein strebsamer Wirt sie zur Geltung brachte. Aber in Petersburg
nett Kronstäbe ist man anspruchsloser, und diese bescheidnen Ansprüche erfüllt
das Dorf, das den annoch unberühmter Namen Lebjaschje, zu deutsch etwa
Schwandorf, führt. Wäre es freilich eben nur ein Dorf, so würde es nie zur
Sommerfrische geworden sein, denn ein finnisches oder russisches Bauernhaus
böte für städtisch gewöhnte Menschen kaum ein Unterkommen. Aber Lebjaschje
ist mehr, eine kaiserliche Lootsenstation, mit zwanzig bis dreißig Lootsen besetzt,
deren Namen -- russische, deutsche, finnische, schwedische nebeneinander -- eine
wahre Musterkarte der ein diesen Gestaden sich begegnenden Volkselemente dar¬
stellen, und diese Leute bewohnen eine vom Dorfe ganz getrennte Kolonie,
fünfzehn ganz gleiche kleine Holzhäuscheu dicht am Strande, eine Reihe ähn¬
licher dahinter im "Park," die sie während des Sommers vermieten, doch er¬
hebt sich daneben schon eine oder die andre schmucke Villa. Ein kleiner Fluß
fließt zwischen beiden Reihen; da es ihm aber auf die Dauer unmöglich ge¬
worden ist, die Sanddünen zu durchdringen, und niemand ihm dabei nach¬
drücklich zu Hilfe gekommen ist, so hat er die vergeblichen Anstrengungen auf¬
gegeben und ist zum Sumpf geworden. Da, wo er münden könnte, hat man
einmal den Anfang gemacht, einen Damm dnrch das ganze flache Strandwasser
zu führen, um die Landung zu ermöglichen, noch steht man die Reihen der
Pfühle und Steinblöcke, aber dann hat ein Sturm den Bau zerrissen und er
ist halbfertig liegen geblieben, wie so vieles in Rußland. Nur ein paar weit
hinaus laufende Landungsstege mit bescheidnen Badehüuscheu ermöglichen jetzt
das Anlegen von Booten; aber selbst der kleine Lootsendampscr, der den Ver¬
kehr mit Kronstäbe und dem Feuerschiff vermittelt, kann nicht soweit heran, ihn
nimmt etwa eine kleine halbe Stunde vom Strande entfernt ein Pfahlwerk auf.
So liegt das Gestade einsam, unbelebt; weit drüben ziehen die Schiffe vorüber;
inmitten der blauen Flut, sich scharf absehend von der hohen, hellen Küste
Finnlands, glänzt der weiße Leuchtturm von Tolbuchin, rechts schwimmt Kron¬
stäbe auf den Wassern, dessen schwere Festungsgeschütze zuweilen dumpf herüber¬
dröhnen und den grauweißen Pulverqualm in sonderbar zackigen Gebilden empor-
senden, nach links verläuft die Küste sich rasch erhebend in flachem Bogen bis zum
waldigen Vorgebirge Krasnaja Gorka (Schonberg), auf dem sich eine Lootsen-
signalstation befindet. So eingeschlossen zwischen dichtem Walde und hafenlosem


Russische Skizzen.

Zweifel, wir nähern uns wieder einer Sommerfrische, freilich einfacheren Cha¬
rakters, und wir versagen schließlich unserm braven Rößlein samt der rüttelnden
Tcljega unsre Anerkennung nicht, denn es hat die ganze Strecke — fast drei
Meilen — in etwa 2^ Stunden zurückgelegt.

Der Name dieses Ortes hat noch keinerlei Berühmtheit erlangt und wird
sie auch schwerlich jemals erlangen, unähnlich so vielen jetzt dichtbevölkerten
„Luftkurorten" des Südens, von denen oft bis vor fünf oder zehn Jahren kein
Mensch etwas wußte, bis ein scharfblickender Arzt oder Tourist ihre Vorzüge
entdeckte und ein strebsamer Wirt sie zur Geltung brachte. Aber in Petersburg
nett Kronstäbe ist man anspruchsloser, und diese bescheidnen Ansprüche erfüllt
das Dorf, das den annoch unberühmter Namen Lebjaschje, zu deutsch etwa
Schwandorf, führt. Wäre es freilich eben nur ein Dorf, so würde es nie zur
Sommerfrische geworden sein, denn ein finnisches oder russisches Bauernhaus
böte für städtisch gewöhnte Menschen kaum ein Unterkommen. Aber Lebjaschje
ist mehr, eine kaiserliche Lootsenstation, mit zwanzig bis dreißig Lootsen besetzt,
deren Namen — russische, deutsche, finnische, schwedische nebeneinander — eine
wahre Musterkarte der ein diesen Gestaden sich begegnenden Volkselemente dar¬
stellen, und diese Leute bewohnen eine vom Dorfe ganz getrennte Kolonie,
fünfzehn ganz gleiche kleine Holzhäuscheu dicht am Strande, eine Reihe ähn¬
licher dahinter im „Park," die sie während des Sommers vermieten, doch er¬
hebt sich daneben schon eine oder die andre schmucke Villa. Ein kleiner Fluß
fließt zwischen beiden Reihen; da es ihm aber auf die Dauer unmöglich ge¬
worden ist, die Sanddünen zu durchdringen, und niemand ihm dabei nach¬
drücklich zu Hilfe gekommen ist, so hat er die vergeblichen Anstrengungen auf¬
gegeben und ist zum Sumpf geworden. Da, wo er münden könnte, hat man
einmal den Anfang gemacht, einen Damm dnrch das ganze flache Strandwasser
zu führen, um die Landung zu ermöglichen, noch steht man die Reihen der
Pfühle und Steinblöcke, aber dann hat ein Sturm den Bau zerrissen und er
ist halbfertig liegen geblieben, wie so vieles in Rußland. Nur ein paar weit
hinaus laufende Landungsstege mit bescheidnen Badehüuscheu ermöglichen jetzt
das Anlegen von Booten; aber selbst der kleine Lootsendampscr, der den Ver¬
kehr mit Kronstäbe und dem Feuerschiff vermittelt, kann nicht soweit heran, ihn
nimmt etwa eine kleine halbe Stunde vom Strande entfernt ein Pfahlwerk auf.
So liegt das Gestade einsam, unbelebt; weit drüben ziehen die Schiffe vorüber;
inmitten der blauen Flut, sich scharf absehend von der hohen, hellen Küste
Finnlands, glänzt der weiße Leuchtturm von Tolbuchin, rechts schwimmt Kron¬
stäbe auf den Wassern, dessen schwere Festungsgeschütze zuweilen dumpf herüber¬
dröhnen und den grauweißen Pulverqualm in sonderbar zackigen Gebilden empor-
senden, nach links verläuft die Küste sich rasch erhebend in flachem Bogen bis zum
waldigen Vorgebirge Krasnaja Gorka (Schonberg), auf dem sich eine Lootsen-
signalstation befindet. So eingeschlossen zwischen dichtem Walde und hafenlosem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288999"/>
          <fw type="header" place="top"> Russische Skizzen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1549" prev="#ID_1548"> Zweifel, wir nähern uns wieder einer Sommerfrische, freilich einfacheren Cha¬<lb/>
rakters, und wir versagen schließlich unserm braven Rößlein samt der rüttelnden<lb/>
Tcljega unsre Anerkennung nicht, denn es hat die ganze Strecke &#x2014; fast drei<lb/>
Meilen &#x2014; in etwa 2^ Stunden zurückgelegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Der Name dieses Ortes hat noch keinerlei Berühmtheit erlangt und wird<lb/>
sie auch schwerlich jemals erlangen, unähnlich so vielen jetzt dichtbevölkerten<lb/>
&#x201E;Luftkurorten" des Südens, von denen oft bis vor fünf oder zehn Jahren kein<lb/>
Mensch etwas wußte, bis ein scharfblickender Arzt oder Tourist ihre Vorzüge<lb/>
entdeckte und ein strebsamer Wirt sie zur Geltung brachte. Aber in Petersburg<lb/>
nett Kronstäbe ist man anspruchsloser, und diese bescheidnen Ansprüche erfüllt<lb/>
das Dorf, das den annoch unberühmter Namen Lebjaschje, zu deutsch etwa<lb/>
Schwandorf, führt. Wäre es freilich eben nur ein Dorf, so würde es nie zur<lb/>
Sommerfrische geworden sein, denn ein finnisches oder russisches Bauernhaus<lb/>
böte für städtisch gewöhnte Menschen kaum ein Unterkommen. Aber Lebjaschje<lb/>
ist mehr, eine kaiserliche Lootsenstation, mit zwanzig bis dreißig Lootsen besetzt,<lb/>
deren Namen &#x2014; russische, deutsche, finnische, schwedische nebeneinander &#x2014; eine<lb/>
wahre Musterkarte der ein diesen Gestaden sich begegnenden Volkselemente dar¬<lb/>
stellen, und diese Leute bewohnen eine vom Dorfe ganz getrennte Kolonie,<lb/>
fünfzehn ganz gleiche kleine Holzhäuscheu dicht am Strande, eine Reihe ähn¬<lb/>
licher dahinter im &#x201E;Park," die sie während des Sommers vermieten, doch er¬<lb/>
hebt sich daneben schon eine oder die andre schmucke Villa. Ein kleiner Fluß<lb/>
fließt zwischen beiden Reihen; da es ihm aber auf die Dauer unmöglich ge¬<lb/>
worden ist, die Sanddünen zu durchdringen, und niemand ihm dabei nach¬<lb/>
drücklich zu Hilfe gekommen ist, so hat er die vergeblichen Anstrengungen auf¬<lb/>
gegeben und ist zum Sumpf geworden. Da, wo er münden könnte, hat man<lb/>
einmal den Anfang gemacht, einen Damm dnrch das ganze flache Strandwasser<lb/>
zu führen, um die Landung zu ermöglichen, noch steht man die Reihen der<lb/>
Pfühle und Steinblöcke, aber dann hat ein Sturm den Bau zerrissen und er<lb/>
ist halbfertig liegen geblieben, wie so vieles in Rußland. Nur ein paar weit<lb/>
hinaus laufende Landungsstege mit bescheidnen Badehüuscheu ermöglichen jetzt<lb/>
das Anlegen von Booten; aber selbst der kleine Lootsendampscr, der den Ver¬<lb/>
kehr mit Kronstäbe und dem Feuerschiff vermittelt, kann nicht soweit heran, ihn<lb/>
nimmt etwa eine kleine halbe Stunde vom Strande entfernt ein Pfahlwerk auf.<lb/>
So liegt das Gestade einsam, unbelebt; weit drüben ziehen die Schiffe vorüber;<lb/>
inmitten der blauen Flut, sich scharf absehend von der hohen, hellen Küste<lb/>
Finnlands, glänzt der weiße Leuchtturm von Tolbuchin, rechts schwimmt Kron¬<lb/>
stäbe auf den Wassern, dessen schwere Festungsgeschütze zuweilen dumpf herüber¬<lb/>
dröhnen und den grauweißen Pulverqualm in sonderbar zackigen Gebilden empor-<lb/>
senden, nach links verläuft die Küste sich rasch erhebend in flachem Bogen bis zum<lb/>
waldigen Vorgebirge Krasnaja Gorka (Schonberg), auf dem sich eine Lootsen-<lb/>
signalstation befindet. So eingeschlossen zwischen dichtem Walde und hafenlosem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0546] Russische Skizzen. Zweifel, wir nähern uns wieder einer Sommerfrische, freilich einfacheren Cha¬ rakters, und wir versagen schließlich unserm braven Rößlein samt der rüttelnden Tcljega unsre Anerkennung nicht, denn es hat die ganze Strecke — fast drei Meilen — in etwa 2^ Stunden zurückgelegt. Der Name dieses Ortes hat noch keinerlei Berühmtheit erlangt und wird sie auch schwerlich jemals erlangen, unähnlich so vielen jetzt dichtbevölkerten „Luftkurorten" des Südens, von denen oft bis vor fünf oder zehn Jahren kein Mensch etwas wußte, bis ein scharfblickender Arzt oder Tourist ihre Vorzüge entdeckte und ein strebsamer Wirt sie zur Geltung brachte. Aber in Petersburg nett Kronstäbe ist man anspruchsloser, und diese bescheidnen Ansprüche erfüllt das Dorf, das den annoch unberühmter Namen Lebjaschje, zu deutsch etwa Schwandorf, führt. Wäre es freilich eben nur ein Dorf, so würde es nie zur Sommerfrische geworden sein, denn ein finnisches oder russisches Bauernhaus böte für städtisch gewöhnte Menschen kaum ein Unterkommen. Aber Lebjaschje ist mehr, eine kaiserliche Lootsenstation, mit zwanzig bis dreißig Lootsen besetzt, deren Namen — russische, deutsche, finnische, schwedische nebeneinander — eine wahre Musterkarte der ein diesen Gestaden sich begegnenden Volkselemente dar¬ stellen, und diese Leute bewohnen eine vom Dorfe ganz getrennte Kolonie, fünfzehn ganz gleiche kleine Holzhäuscheu dicht am Strande, eine Reihe ähn¬ licher dahinter im „Park," die sie während des Sommers vermieten, doch er¬ hebt sich daneben schon eine oder die andre schmucke Villa. Ein kleiner Fluß fließt zwischen beiden Reihen; da es ihm aber auf die Dauer unmöglich ge¬ worden ist, die Sanddünen zu durchdringen, und niemand ihm dabei nach¬ drücklich zu Hilfe gekommen ist, so hat er die vergeblichen Anstrengungen auf¬ gegeben und ist zum Sumpf geworden. Da, wo er münden könnte, hat man einmal den Anfang gemacht, einen Damm dnrch das ganze flache Strandwasser zu führen, um die Landung zu ermöglichen, noch steht man die Reihen der Pfühle und Steinblöcke, aber dann hat ein Sturm den Bau zerrissen und er ist halbfertig liegen geblieben, wie so vieles in Rußland. Nur ein paar weit hinaus laufende Landungsstege mit bescheidnen Badehüuscheu ermöglichen jetzt das Anlegen von Booten; aber selbst der kleine Lootsendampscr, der den Ver¬ kehr mit Kronstäbe und dem Feuerschiff vermittelt, kann nicht soweit heran, ihn nimmt etwa eine kleine halbe Stunde vom Strande entfernt ein Pfahlwerk auf. So liegt das Gestade einsam, unbelebt; weit drüben ziehen die Schiffe vorüber; inmitten der blauen Flut, sich scharf absehend von der hohen, hellen Küste Finnlands, glänzt der weiße Leuchtturm von Tolbuchin, rechts schwimmt Kron¬ stäbe auf den Wassern, dessen schwere Festungsgeschütze zuweilen dumpf herüber¬ dröhnen und den grauweißen Pulverqualm in sonderbar zackigen Gebilden empor- senden, nach links verläuft die Küste sich rasch erhebend in flachem Bogen bis zum waldigen Vorgebirge Krasnaja Gorka (Schonberg), auf dem sich eine Lootsen- signalstation befindet. So eingeschlossen zwischen dichtem Walde und hafenlosem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/546
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/546>, abgerufen am 17.09.2024.