Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin neuer Phantasus.

verdorbens dumme Streiche" und "Das geträ'unde Bild" lassen die jüngsten
Preisnovellen hinter sich, was freilich an sich noch nicht viel bedeuten will.
Scherz beiseite: der Verfasser des "Neuen Phantasus" ist im landläufigen
Sinne kein, wohl aber ein Dilettant in jenem Sinne, den er selbst mit dem
vervehmten Worte verbindet Wenn es Unterhaltungsliteratur geben soll und
muß, so ist diejenige, die so nahe an die Dichtung grenzt, wie die hier gebotene,
die rechte, und wir zweifeln nicht, daß jedem Leser ein Buch wie dieses wahren
Genuß bereiten wird. Wem die dramatisirten Märchen (unter denen "Die
Gänsemagd," das alte Falladamärchen und "König Drosselbart" am hübschesten
behandelt sind) nicht behagen, der kann leicht über sie himvegblnttern, wen nur
die geschlossenen Erzählungen anziehen und wem die Rahmenarabesken gleichgiltig
sind, der wird die erstern leicht herausfinden. Im ganzen aber wird auch hier
der den besten Eindruck empfangen, der das Ganze liest und ruhig auf sich
wirken läßt. Eine Menge von feinern Bezügen und selbst die gesunde An¬
schauung und Bildung, aus der das Ganze hervorgegangen ist, werden dann
erst lebendig und sichtbar.

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der Verfasser des "Neuen Phan¬
tasus" mit dem Schwindel der jüngsten Modernität in entschiednen und ener¬
gischem Widerspruch ist. Er vertritt auf jedem Blatte seines Buches die lebendige,
von einer warmen Innerlichkeit erfüllte und getriebene Natur, den unerläßlichen
Kern einer sittlichen Bildung, welche aus dem noch unverfälschten Familiendasein
ohne großes Geschrei von selbst erwächst, er zeigt ein feines und lebendiges Gefühl
für alle anspruchslose Tüchtigkeit und einen herzlichen Hoß gegen das Streber¬
tum in jeder Form und Gestalt. Ja er läßt sich in seiner Abneigung gegen
die Modernität gelegentlich so weit gehen, daß er die Wirkung seiner Er¬
findungen zerstört. Luzi Tannegger, der Maler, kann sonst was thun, um die
Gräfin Anna zu vergessen, aber die "Nandi" aus dem "Rößl" darf er nicht
heiraten, weil er damit platt und armselig wird. Wenn er sie liebte, stünde
es anders -- doch kommt für die Hauptsache der Novelle nichts darauf an.

Die Dilettanten, welche Utis handeln, dichten und erzählen läßt, verlieren
in ihrem an sich löblichen Eifer, der gesunden Empfindung zu Recht zu verhelfen,
hie und da das Urteil darüber, was nach ihren eignen Voraussetzungen möglich
und würdig ist. Aber es verschlägt nicht viel und wir zweifeln nicht, daß
Arnold und Cornelie eiuen Sohn haben werden, der kein Dilettant, sondern
ein großer, gesund und poetisch zugleich fühlender Künstler sein wird.




Lin neuer Phantasus.

verdorbens dumme Streiche" und „Das geträ'unde Bild" lassen die jüngsten
Preisnovellen hinter sich, was freilich an sich noch nicht viel bedeuten will.
Scherz beiseite: der Verfasser des „Neuen Phantasus" ist im landläufigen
Sinne kein, wohl aber ein Dilettant in jenem Sinne, den er selbst mit dem
vervehmten Worte verbindet Wenn es Unterhaltungsliteratur geben soll und
muß, so ist diejenige, die so nahe an die Dichtung grenzt, wie die hier gebotene,
die rechte, und wir zweifeln nicht, daß jedem Leser ein Buch wie dieses wahren
Genuß bereiten wird. Wem die dramatisirten Märchen (unter denen „Die
Gänsemagd," das alte Falladamärchen und „König Drosselbart" am hübschesten
behandelt sind) nicht behagen, der kann leicht über sie himvegblnttern, wen nur
die geschlossenen Erzählungen anziehen und wem die Rahmenarabesken gleichgiltig
sind, der wird die erstern leicht herausfinden. Im ganzen aber wird auch hier
der den besten Eindruck empfangen, der das Ganze liest und ruhig auf sich
wirken läßt. Eine Menge von feinern Bezügen und selbst die gesunde An¬
schauung und Bildung, aus der das Ganze hervorgegangen ist, werden dann
erst lebendig und sichtbar.

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der Verfasser des „Neuen Phan¬
tasus" mit dem Schwindel der jüngsten Modernität in entschiednen und ener¬
gischem Widerspruch ist. Er vertritt auf jedem Blatte seines Buches die lebendige,
von einer warmen Innerlichkeit erfüllte und getriebene Natur, den unerläßlichen
Kern einer sittlichen Bildung, welche aus dem noch unverfälschten Familiendasein
ohne großes Geschrei von selbst erwächst, er zeigt ein feines und lebendiges Gefühl
für alle anspruchslose Tüchtigkeit und einen herzlichen Hoß gegen das Streber¬
tum in jeder Form und Gestalt. Ja er läßt sich in seiner Abneigung gegen
die Modernität gelegentlich so weit gehen, daß er die Wirkung seiner Er¬
findungen zerstört. Luzi Tannegger, der Maler, kann sonst was thun, um die
Gräfin Anna zu vergessen, aber die „Nandi" aus dem „Rößl" darf er nicht
heiraten, weil er damit platt und armselig wird. Wenn er sie liebte, stünde
es anders — doch kommt für die Hauptsache der Novelle nichts darauf an.

Die Dilettanten, welche Utis handeln, dichten und erzählen läßt, verlieren
in ihrem an sich löblichen Eifer, der gesunden Empfindung zu Recht zu verhelfen,
hie und da das Urteil darüber, was nach ihren eignen Voraussetzungen möglich
und würdig ist. Aber es verschlägt nicht viel und wir zweifeln nicht, daß
Arnold und Cornelie eiuen Sohn haben werden, der kein Dilettant, sondern
ein großer, gesund und poetisch zugleich fühlender Künstler sein wird.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288986"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin neuer Phantasus.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1522" prev="#ID_1521"> verdorbens dumme Streiche" und &#x201E;Das geträ'unde Bild" lassen die jüngsten<lb/>
Preisnovellen hinter sich, was freilich an sich noch nicht viel bedeuten will.<lb/>
Scherz beiseite: der Verfasser des &#x201E;Neuen Phantasus" ist im landläufigen<lb/>
Sinne kein, wohl aber ein Dilettant in jenem Sinne, den er selbst mit dem<lb/>
vervehmten Worte verbindet Wenn es Unterhaltungsliteratur geben soll und<lb/>
muß, so ist diejenige, die so nahe an die Dichtung grenzt, wie die hier gebotene,<lb/>
die rechte, und wir zweifeln nicht, daß jedem Leser ein Buch wie dieses wahren<lb/>
Genuß bereiten wird. Wem die dramatisirten Märchen (unter denen &#x201E;Die<lb/>
Gänsemagd," das alte Falladamärchen und &#x201E;König Drosselbart" am hübschesten<lb/>
behandelt sind) nicht behagen, der kann leicht über sie himvegblnttern, wen nur<lb/>
die geschlossenen Erzählungen anziehen und wem die Rahmenarabesken gleichgiltig<lb/>
sind, der wird die erstern leicht herausfinden. Im ganzen aber wird auch hier<lb/>
der den besten Eindruck empfangen, der das Ganze liest und ruhig auf sich<lb/>
wirken läßt. Eine Menge von feinern Bezügen und selbst die gesunde An¬<lb/>
schauung und Bildung, aus der das Ganze hervorgegangen ist, werden dann<lb/>
erst lebendig und sichtbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1523"> Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der Verfasser des &#x201E;Neuen Phan¬<lb/>
tasus" mit dem Schwindel der jüngsten Modernität in entschiednen und ener¬<lb/>
gischem Widerspruch ist. Er vertritt auf jedem Blatte seines Buches die lebendige,<lb/>
von einer warmen Innerlichkeit erfüllte und getriebene Natur, den unerläßlichen<lb/>
Kern einer sittlichen Bildung, welche aus dem noch unverfälschten Familiendasein<lb/>
ohne großes Geschrei von selbst erwächst, er zeigt ein feines und lebendiges Gefühl<lb/>
für alle anspruchslose Tüchtigkeit und einen herzlichen Hoß gegen das Streber¬<lb/>
tum in jeder Form und Gestalt. Ja er läßt sich in seiner Abneigung gegen<lb/>
die Modernität gelegentlich so weit gehen, daß er die Wirkung seiner Er¬<lb/>
findungen zerstört. Luzi Tannegger, der Maler, kann sonst was thun, um die<lb/>
Gräfin Anna zu vergessen, aber die &#x201E;Nandi" aus dem &#x201E;Rößl" darf er nicht<lb/>
heiraten, weil er damit platt und armselig wird. Wenn er sie liebte, stünde<lb/>
es anders &#x2014; doch kommt für die Hauptsache der Novelle nichts darauf an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524"> Die Dilettanten, welche Utis handeln, dichten und erzählen läßt, verlieren<lb/>
in ihrem an sich löblichen Eifer, der gesunden Empfindung zu Recht zu verhelfen,<lb/>
hie und da das Urteil darüber, was nach ihren eignen Voraussetzungen möglich<lb/>
und würdig ist. Aber es verschlägt nicht viel und wir zweifeln nicht, daß<lb/>
Arnold und Cornelie eiuen Sohn haben werden, der kein Dilettant, sondern<lb/>
ein großer, gesund und poetisch zugleich fühlender Künstler sein wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0533] Lin neuer Phantasus. verdorbens dumme Streiche" und „Das geträ'unde Bild" lassen die jüngsten Preisnovellen hinter sich, was freilich an sich noch nicht viel bedeuten will. Scherz beiseite: der Verfasser des „Neuen Phantasus" ist im landläufigen Sinne kein, wohl aber ein Dilettant in jenem Sinne, den er selbst mit dem vervehmten Worte verbindet Wenn es Unterhaltungsliteratur geben soll und muß, so ist diejenige, die so nahe an die Dichtung grenzt, wie die hier gebotene, die rechte, und wir zweifeln nicht, daß jedem Leser ein Buch wie dieses wahren Genuß bereiten wird. Wem die dramatisirten Märchen (unter denen „Die Gänsemagd," das alte Falladamärchen und „König Drosselbart" am hübschesten behandelt sind) nicht behagen, der kann leicht über sie himvegblnttern, wen nur die geschlossenen Erzählungen anziehen und wem die Rahmenarabesken gleichgiltig sind, der wird die erstern leicht herausfinden. Im ganzen aber wird auch hier der den besten Eindruck empfangen, der das Ganze liest und ruhig auf sich wirken läßt. Eine Menge von feinern Bezügen und selbst die gesunde An¬ schauung und Bildung, aus der das Ganze hervorgegangen ist, werden dann erst lebendig und sichtbar. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der Verfasser des „Neuen Phan¬ tasus" mit dem Schwindel der jüngsten Modernität in entschiednen und ener¬ gischem Widerspruch ist. Er vertritt auf jedem Blatte seines Buches die lebendige, von einer warmen Innerlichkeit erfüllte und getriebene Natur, den unerläßlichen Kern einer sittlichen Bildung, welche aus dem noch unverfälschten Familiendasein ohne großes Geschrei von selbst erwächst, er zeigt ein feines und lebendiges Gefühl für alle anspruchslose Tüchtigkeit und einen herzlichen Hoß gegen das Streber¬ tum in jeder Form und Gestalt. Ja er läßt sich in seiner Abneigung gegen die Modernität gelegentlich so weit gehen, daß er die Wirkung seiner Er¬ findungen zerstört. Luzi Tannegger, der Maler, kann sonst was thun, um die Gräfin Anna zu vergessen, aber die „Nandi" aus dem „Rößl" darf er nicht heiraten, weil er damit platt und armselig wird. Wenn er sie liebte, stünde es anders — doch kommt für die Hauptsache der Novelle nichts darauf an. Die Dilettanten, welche Utis handeln, dichten und erzählen läßt, verlieren in ihrem an sich löblichen Eifer, der gesunden Empfindung zu Recht zu verhelfen, hie und da das Urteil darüber, was nach ihren eignen Voraussetzungen möglich und würdig ist. Aber es verschlägt nicht viel und wir zweifeln nicht, daß Arnold und Cornelie eiuen Sohn haben werden, der kein Dilettant, sondern ein großer, gesund und poetisch zugleich fühlender Künstler sein wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/533
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/533>, abgerufen am 17.09.2024.