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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues über den 50. August 5792.

er gewöhnlichen Darstellung nach, wie sie zuletzt auch Tanne ge¬
geben hat, schwankte Ludwig XVI. am 10. August 1792 lange,
ehe er sich in die gesetzgebende Versammlung begab und den
Schutz verließ, den ihm die Besatzung der Tuilerien gewährte. In
M Betreff der unerklärlichen Thatsache, daß man die Schweizer im
Schlosse zurückließ, ohne ihnen bestimmte Befehle zu erteilen, ist früher an¬
genommen worden, sie beruhe auf einem Versehen oder Vergessen. Aus einem
jetzt zum Vorschein gekommenen und in der in London erscheinenden Histon"".!
Lvviczv veröffentlichten Dokumente ergeben sich nun neben zahlreichen andern
wichtigen Berichtigungen der gewöhnlichen Anschauung unter andern zwei That¬
sachen; erstens hegten die Offiziere der Schweizer von vornherein die Überzeugung,
daß der König die Tuilerien verlassen und sich in die gesetzgebende Versammlung
begeben werde, und zweitens erhielten sie den bestimmten Befehl, das Schloß,
es koste, was es wolle, zu verteidigen. Ihr Heroismus ist deshalb nicht weniger
bewnndernswert, aber auch die Handlungsweise des Königs wird erst durch
diese neuen Nachrichten in das rechte Licht gerückt: er wollte einerseits dem
Drängen der Versammlung nachgeben, hoffte dadurch Frieden zu stiften, beab¬
sichtigte aber doch die Zuflucht, welche ihm die Tuilerien gewährten, nicht
aufzugeben, sondern sich sür alle Fälle zu sichern. Wie er sich die Möglichkeit
vorstellte, wieder aus der gesetzgebenden Versammlung herauszukommen, ist eine
andre Frage. Wenn er so in seiner Schwäche die beiden einzigen Auswege,
die ihm offen standen, um sich aus seiner Zwangslage zu befreien, verband
und dadurch nach Art unpraktischer Leute jeden von beiden unmöglich machte,
so befreit ihn doch das betreffende Dokument von der Schuld unbegreiflicher
Kopflosigkeit, wenn er auch freilich besser gethan hätte, dem Rate zu folgen, der
ihm ohne Zweifel von den Offizieren seiner Umgebung gegeben worden ist.
mit der ihm ergebenen Mehrheit der Nationalgarten, den Schweizern und den
andern Soldaten das blutdürstige und feige Gesinde! Santerres, welches
gegen die Tuilerien aufmarschirte. zusammenzuschießen. Es .se bekannt daß
Napoleon, welcher deu ganzen Vorgang mit erlebt hat. von dem gluck ichen
Ausgange eines derartigen Versuches überzeugt war. Wie Recht er dann hatte
geht auch aus der zuerst durch dieses Dokument bekannt werdenden That ach
hervor, daß anch Röderer. der doch die gesetzgebend^^
gegenüber vertrat, die energischste Verteidigung der Tmleneu anbefahl wo aus
dann wieder fol t. daß die ganze Handlungsweise des Komgs ans se n in
Einverständnisse mi der Versammlung zu erklären ist. Dies aber vorausgesetzt.


Neues über den 50. August 5792.

er gewöhnlichen Darstellung nach, wie sie zuletzt auch Tanne ge¬
geben hat, schwankte Ludwig XVI. am 10. August 1792 lange,
ehe er sich in die gesetzgebende Versammlung begab und den
Schutz verließ, den ihm die Besatzung der Tuilerien gewährte. In
M Betreff der unerklärlichen Thatsache, daß man die Schweizer im
Schlosse zurückließ, ohne ihnen bestimmte Befehle zu erteilen, ist früher an¬
genommen worden, sie beruhe auf einem Versehen oder Vergessen. Aus einem
jetzt zum Vorschein gekommenen und in der in London erscheinenden Histon«».!
Lvviczv veröffentlichten Dokumente ergeben sich nun neben zahlreichen andern
wichtigen Berichtigungen der gewöhnlichen Anschauung unter andern zwei That¬
sachen; erstens hegten die Offiziere der Schweizer von vornherein die Überzeugung,
daß der König die Tuilerien verlassen und sich in die gesetzgebende Versammlung
begeben werde, und zweitens erhielten sie den bestimmten Befehl, das Schloß,
es koste, was es wolle, zu verteidigen. Ihr Heroismus ist deshalb nicht weniger
bewnndernswert, aber auch die Handlungsweise des Königs wird erst durch
diese neuen Nachrichten in das rechte Licht gerückt: er wollte einerseits dem
Drängen der Versammlung nachgeben, hoffte dadurch Frieden zu stiften, beab¬
sichtigte aber doch die Zuflucht, welche ihm die Tuilerien gewährten, nicht
aufzugeben, sondern sich sür alle Fälle zu sichern. Wie er sich die Möglichkeit
vorstellte, wieder aus der gesetzgebenden Versammlung herauszukommen, ist eine
andre Frage. Wenn er so in seiner Schwäche die beiden einzigen Auswege,
die ihm offen standen, um sich aus seiner Zwangslage zu befreien, verband
und dadurch nach Art unpraktischer Leute jeden von beiden unmöglich machte,
so befreit ihn doch das betreffende Dokument von der Schuld unbegreiflicher
Kopflosigkeit, wenn er auch freilich besser gethan hätte, dem Rate zu folgen, der
ihm ohne Zweifel von den Offizieren seiner Umgebung gegeben worden ist.
mit der ihm ergebenen Mehrheit der Nationalgarten, den Schweizern und den
andern Soldaten das blutdürstige und feige Gesinde! Santerres, welches
gegen die Tuilerien aufmarschirte. zusammenzuschießen. Es .se bekannt daß
Napoleon, welcher deu ganzen Vorgang mit erlebt hat. von dem gluck ichen
Ausgange eines derartigen Versuches überzeugt war. Wie Recht er dann hatte
geht auch aus der zuerst durch dieses Dokument bekannt werdenden That ach
hervor, daß anch Röderer. der doch die gesetzgebend^^
gegenüber vertrat, die energischste Verteidigung der Tmleneu anbefahl wo aus
dann wieder fol t. daß die ganze Handlungsweise des Komgs ans se n in
Einverständnisse mi der Versammlung zu erklären ist. Dies aber vorausgesetzt.


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[0523] Neues über den 50. August 5792. er gewöhnlichen Darstellung nach, wie sie zuletzt auch Tanne ge¬ geben hat, schwankte Ludwig XVI. am 10. August 1792 lange, ehe er sich in die gesetzgebende Versammlung begab und den Schutz verließ, den ihm die Besatzung der Tuilerien gewährte. In M Betreff der unerklärlichen Thatsache, daß man die Schweizer im Schlosse zurückließ, ohne ihnen bestimmte Befehle zu erteilen, ist früher an¬ genommen worden, sie beruhe auf einem Versehen oder Vergessen. Aus einem jetzt zum Vorschein gekommenen und in der in London erscheinenden Histon«».! Lvviczv veröffentlichten Dokumente ergeben sich nun neben zahlreichen andern wichtigen Berichtigungen der gewöhnlichen Anschauung unter andern zwei That¬ sachen; erstens hegten die Offiziere der Schweizer von vornherein die Überzeugung, daß der König die Tuilerien verlassen und sich in die gesetzgebende Versammlung begeben werde, und zweitens erhielten sie den bestimmten Befehl, das Schloß, es koste, was es wolle, zu verteidigen. Ihr Heroismus ist deshalb nicht weniger bewnndernswert, aber auch die Handlungsweise des Königs wird erst durch diese neuen Nachrichten in das rechte Licht gerückt: er wollte einerseits dem Drängen der Versammlung nachgeben, hoffte dadurch Frieden zu stiften, beab¬ sichtigte aber doch die Zuflucht, welche ihm die Tuilerien gewährten, nicht aufzugeben, sondern sich sür alle Fälle zu sichern. Wie er sich die Möglichkeit vorstellte, wieder aus der gesetzgebenden Versammlung herauszukommen, ist eine andre Frage. Wenn er so in seiner Schwäche die beiden einzigen Auswege, die ihm offen standen, um sich aus seiner Zwangslage zu befreien, verband und dadurch nach Art unpraktischer Leute jeden von beiden unmöglich machte, so befreit ihn doch das betreffende Dokument von der Schuld unbegreiflicher Kopflosigkeit, wenn er auch freilich besser gethan hätte, dem Rate zu folgen, der ihm ohne Zweifel von den Offizieren seiner Umgebung gegeben worden ist. mit der ihm ergebenen Mehrheit der Nationalgarten, den Schweizern und den andern Soldaten das blutdürstige und feige Gesinde! Santerres, welches gegen die Tuilerien aufmarschirte. zusammenzuschießen. Es .se bekannt daß Napoleon, welcher deu ganzen Vorgang mit erlebt hat. von dem gluck ichen Ausgange eines derartigen Versuches überzeugt war. Wie Recht er dann hatte geht auch aus der zuerst durch dieses Dokument bekannt werdenden That ach hervor, daß anch Röderer. der doch die gesetzgebend^^ gegenüber vertrat, die energischste Verteidigung der Tmleneu anbefahl wo aus dann wieder fol t. daß die ganze Handlungsweise des Komgs ans se n in Einverständnisse mi der Versammlung zu erklären ist. Dies aber vorausgesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/523>, abgerufen am 17.09.2024.