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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

Indien hat, muß es die Etappenstraße, welche durch die ganze Länge jenes
Meeres führt, unversehrt erhalten, koste es, was es wolle. Die erste Etappe
ist Gibraltar, eine von Natur sehr starke, mit 2000 Geschützen versehene
Festung, die eine Garnison von 6000 Mann hat, in deren Bereich sich
aber keine Docks befinden. Die zweite ist Malta, 1772 Kilometer östlich
von da gelegen, gleichfalls sehr stark befestigt und gleichfalls mit 6000 Mann
besetzt. Durch seine Lage zwischen den beiden Becken des Mittelmeeres und
zwischen Abendland und Levante noch wichtiger als Gibraltar, die Wache am
Thore zum ersten Becken, beherrscht es das zweite, die ägeische Inselwelt, das
ionische und das adriatische Meer und die syrischen und ägyptischen Küsten.
So lange hier die britische Flagge weht, kann in diesen Gewässern von einer
Herrschaft Österreichs oder Italiens so wenig die Rede sein wie von einer
Herrschaft Frankreichs, falls dieses sich nicht weiter in Nordafrika ausbreitet
und verstärkt. Das letztere ist aber zu fürchten. Die Franzosen griffen, nach¬
dem sie Algerien erobert hatten, rechts und links weiter, erst nach Tunis, dann
nach einem Stücke von Marokko, dem sie andre Teile dieses sehr entwicklungs¬
fähigen Reiches anzufügen versuchen werden, und zuletzt werden sie ihre
Waffen auf Tripolis und Ägypten richten, auf dem ihre Augen schon seit
Jahrzehnten begehrlich ruhen. Erfüllten sich ihre Hoffnungen in dieser Be¬
ziehung, würde Nordafrika ein zusammenhängendes großes französisches Kolonial¬
reich, so wäre von dem Augenblicke an das Mittelmeer ein französischer See
und Englands nächster Weg noch Indien trotz Gibraltar und Malta schwer
gefährdet. Nächst diesen beiden Punkten kommt noch Cypern in Betracht, mit
welchem der Berliner Kongreß Großbritannien beschenkte und dessen militärische
und politische Bedeutung vorzüglich darauf beruht, daß init ihm ein neuer
Stützpunkt für alle Secunternehmungen in der Levante gewonnen wurde; denn
die Insel flankirt Syrien und die südliche Küste Kleinasiens und bildet einen
Brückenkopf für Alexandrette, den Ausgangspunkt eines Überlandweges durch
Mesopotamien nach dem persischen Meerbusen, der durch eine Eisenbahn zu
schaffen wäre. Andre mit Cypern erreichte Vorteile bestehen in schneller Ver¬
bindung mit wichtigen Häfen und Inseln, mit Rhodus, Kreta, der Besikabucht,
den Dardanellen, Beirut u. dergl., in Bedrohung eines Teiles des langhingestreckten
Kreta, endlich in strategischer Deckung der nördlichen Mündung des Suezkanals
und der ägyptischen Hafenplätze. Von Cypern und Ägypten aus würde die
Macht Englands jedem in den Arm fallen, welcher auf den Kttstenpunkt jener
Euphratbahu die Hand legen wollte. Zu verwundern ist es deshalb, daß die
Engländer noch nicht daran gegangen sind, das sehr günstig gelegene Famagusta
am Ostende der Insel in einen großen befestigten Kriegshafen umzugestalten.
Sicher wird die mesopotamischc Eisenbahn, welche für den Transport von
Truppen und Material nach Indien mehr zu leisten vermöchte als der Suez-
kanal, einmal gebaut werden, wenn Rußland nicht durch einen Vorstoß von


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

Indien hat, muß es die Etappenstraße, welche durch die ganze Länge jenes
Meeres führt, unversehrt erhalten, koste es, was es wolle. Die erste Etappe
ist Gibraltar, eine von Natur sehr starke, mit 2000 Geschützen versehene
Festung, die eine Garnison von 6000 Mann hat, in deren Bereich sich
aber keine Docks befinden. Die zweite ist Malta, 1772 Kilometer östlich
von da gelegen, gleichfalls sehr stark befestigt und gleichfalls mit 6000 Mann
besetzt. Durch seine Lage zwischen den beiden Becken des Mittelmeeres und
zwischen Abendland und Levante noch wichtiger als Gibraltar, die Wache am
Thore zum ersten Becken, beherrscht es das zweite, die ägeische Inselwelt, das
ionische und das adriatische Meer und die syrischen und ägyptischen Küsten.
So lange hier die britische Flagge weht, kann in diesen Gewässern von einer
Herrschaft Österreichs oder Italiens so wenig die Rede sein wie von einer
Herrschaft Frankreichs, falls dieses sich nicht weiter in Nordafrika ausbreitet
und verstärkt. Das letztere ist aber zu fürchten. Die Franzosen griffen, nach¬
dem sie Algerien erobert hatten, rechts und links weiter, erst nach Tunis, dann
nach einem Stücke von Marokko, dem sie andre Teile dieses sehr entwicklungs¬
fähigen Reiches anzufügen versuchen werden, und zuletzt werden sie ihre
Waffen auf Tripolis und Ägypten richten, auf dem ihre Augen schon seit
Jahrzehnten begehrlich ruhen. Erfüllten sich ihre Hoffnungen in dieser Be¬
ziehung, würde Nordafrika ein zusammenhängendes großes französisches Kolonial¬
reich, so wäre von dem Augenblicke an das Mittelmeer ein französischer See
und Englands nächster Weg noch Indien trotz Gibraltar und Malta schwer
gefährdet. Nächst diesen beiden Punkten kommt noch Cypern in Betracht, mit
welchem der Berliner Kongreß Großbritannien beschenkte und dessen militärische
und politische Bedeutung vorzüglich darauf beruht, daß init ihm ein neuer
Stützpunkt für alle Secunternehmungen in der Levante gewonnen wurde; denn
die Insel flankirt Syrien und die südliche Küste Kleinasiens und bildet einen
Brückenkopf für Alexandrette, den Ausgangspunkt eines Überlandweges durch
Mesopotamien nach dem persischen Meerbusen, der durch eine Eisenbahn zu
schaffen wäre. Andre mit Cypern erreichte Vorteile bestehen in schneller Ver¬
bindung mit wichtigen Häfen und Inseln, mit Rhodus, Kreta, der Besikabucht,
den Dardanellen, Beirut u. dergl., in Bedrohung eines Teiles des langhingestreckten
Kreta, endlich in strategischer Deckung der nördlichen Mündung des Suezkanals
und der ägyptischen Hafenplätze. Von Cypern und Ägypten aus würde die
Macht Englands jedem in den Arm fallen, welcher auf den Kttstenpunkt jener
Euphratbahu die Hand legen wollte. Zu verwundern ist es deshalb, daß die
Engländer noch nicht daran gegangen sind, das sehr günstig gelegene Famagusta
am Ostende der Insel in einen großen befestigten Kriegshafen umzugestalten.
Sicher wird die mesopotamischc Eisenbahn, welche für den Transport von
Truppen und Material nach Indien mehr zu leisten vermöchte als der Suez-
kanal, einmal gebaut werden, wenn Rußland nicht durch einen Vorstoß von


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[0508] Das britische Weltreich und seine Aussichten. Indien hat, muß es die Etappenstraße, welche durch die ganze Länge jenes Meeres führt, unversehrt erhalten, koste es, was es wolle. Die erste Etappe ist Gibraltar, eine von Natur sehr starke, mit 2000 Geschützen versehene Festung, die eine Garnison von 6000 Mann hat, in deren Bereich sich aber keine Docks befinden. Die zweite ist Malta, 1772 Kilometer östlich von da gelegen, gleichfalls sehr stark befestigt und gleichfalls mit 6000 Mann besetzt. Durch seine Lage zwischen den beiden Becken des Mittelmeeres und zwischen Abendland und Levante noch wichtiger als Gibraltar, die Wache am Thore zum ersten Becken, beherrscht es das zweite, die ägeische Inselwelt, das ionische und das adriatische Meer und die syrischen und ägyptischen Küsten. So lange hier die britische Flagge weht, kann in diesen Gewässern von einer Herrschaft Österreichs oder Italiens so wenig die Rede sein wie von einer Herrschaft Frankreichs, falls dieses sich nicht weiter in Nordafrika ausbreitet und verstärkt. Das letztere ist aber zu fürchten. Die Franzosen griffen, nach¬ dem sie Algerien erobert hatten, rechts und links weiter, erst nach Tunis, dann nach einem Stücke von Marokko, dem sie andre Teile dieses sehr entwicklungs¬ fähigen Reiches anzufügen versuchen werden, und zuletzt werden sie ihre Waffen auf Tripolis und Ägypten richten, auf dem ihre Augen schon seit Jahrzehnten begehrlich ruhen. Erfüllten sich ihre Hoffnungen in dieser Be¬ ziehung, würde Nordafrika ein zusammenhängendes großes französisches Kolonial¬ reich, so wäre von dem Augenblicke an das Mittelmeer ein französischer See und Englands nächster Weg noch Indien trotz Gibraltar und Malta schwer gefährdet. Nächst diesen beiden Punkten kommt noch Cypern in Betracht, mit welchem der Berliner Kongreß Großbritannien beschenkte und dessen militärische und politische Bedeutung vorzüglich darauf beruht, daß init ihm ein neuer Stützpunkt für alle Secunternehmungen in der Levante gewonnen wurde; denn die Insel flankirt Syrien und die südliche Küste Kleinasiens und bildet einen Brückenkopf für Alexandrette, den Ausgangspunkt eines Überlandweges durch Mesopotamien nach dem persischen Meerbusen, der durch eine Eisenbahn zu schaffen wäre. Andre mit Cypern erreichte Vorteile bestehen in schneller Ver¬ bindung mit wichtigen Häfen und Inseln, mit Rhodus, Kreta, der Besikabucht, den Dardanellen, Beirut u. dergl., in Bedrohung eines Teiles des langhingestreckten Kreta, endlich in strategischer Deckung der nördlichen Mündung des Suezkanals und der ägyptischen Hafenplätze. Von Cypern und Ägypten aus würde die Macht Englands jedem in den Arm fallen, welcher auf den Kttstenpunkt jener Euphratbahu die Hand legen wollte. Zu verwundern ist es deshalb, daß die Engländer noch nicht daran gegangen sind, das sehr günstig gelegene Famagusta am Ostende der Insel in einen großen befestigten Kriegshafen umzugestalten. Sicher wird die mesopotamischc Eisenbahn, welche für den Transport von Truppen und Material nach Indien mehr zu leisten vermöchte als der Suez- kanal, einmal gebaut werden, wenn Rußland nicht durch einen Vorstoß von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/508>, abgerufen am 17.09.2024.