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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische^ Skizzen.

stolzen Front des Palais mit seinen gelben Wandflächen zwischen weißen Halb¬
pfeilern unter hohen, grünen Dächern wieder die Erinnerung an die Prachtliebe
Katharinas II. auf, die diesem Bau als einer Nachahmung von Versailles
wesentlich seine Gestalt gegeben hat. Es ist gegen Abend; vom lichten Himmel
heben sich düster die hohen Tannen ab, welche in nordischem Ernst zu beiden
Seiten den breiten Ausblick begrenzen, der hier von der hohen Terrasse vor dem
Palais seewärts sich öffnet. Da finden von oben auf doppelter, vergoldeter Stufen¬
reihe zwischen einem Volke antiker Statuen weißschäumende Kaskaden hernieder,
um sich dann unten in der Mitte zu vereinigen; auf allen Absätzen steigen
Fontänen hoch in die Luft, und gerade vor der Mitte, aus dem Rachen des
Löwen, den Simson aufreißt, schießt armstark der Wasserstrahl 25 Meter hoch
empor. Dichte, verschnittene Hecken und Blumenparterres drängen sich da¬
zwischen. Und so geht es fort durch den ganzen untern Park; bei jeder Wen¬
dung des Weges hat die Kunst des Technikers verstanden, das glänzende,
flüssige Element in immer neuen Formen hervorzulocken. In sein Plätschern
und Rauschen mischen sich die Klänge der Militärmusik, und bei ihren Tönen
fahren langsam in eleganten Equipagen mit ihren prächtigen, großen, schwarzen
Orlvws, deren lange Schweife fast den Boden berühren, die Peterhoser Sommer¬
frischler einher, um zu sehen und gesehen zu werden und der Musik zu lauschen.
Zuweilen erscheint auch die kaiserliche Familie. Eigentümlich freilich berührt
den Fremden das starke Aufgebot von Polizeikrüften. Gorodowojs und Gens-
darmen stehen an jeder Ecke, und durch die Straßen des Villenvrtes Patrouilliren
fortwährend auf ihren großen Pferden in hohem Sattel stattliche Gardekvsccken,
im blauen, langen Kasten, auf dem Kopfe die hohe, schwarze Lammfellmütze,
an der Seite den tscherkessischen Säbel, die Schascht'ni, über den Rücken gehängt
in schwarzer, zottiger Pelzhülle das Gewehr. Wer des Getriebes überdrüssig
ist, der erreicht mit wenigen Schritten die Terrasse des kleinen Landhauses
Monplaisir dicht am flachen Gestade, das hier sonst sumpfig und unzugänglich
ist; da kann er einsam träumen unter hohen, schattigen Bäumen und hinaus¬
schauen auf das abendliche, lichtblaue Meer, in das eben die Sonne purpur¬
glühend hinter Kronstäbe versinkt, oder er kann dem Schicksale dieses Reiches
nachsinnen, dessen Geschichte an diese prächtige Umgebung auch den Sturz eines
Kaisers knüpft; denn von Peterhof brach in der Nacht vom 8. bis 9. Juli
1762 Katharina II. nach der Hauptstadt auf, um ihren Gemahl Peter III. zu
entthronen. (Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Russische^ Skizzen.

stolzen Front des Palais mit seinen gelben Wandflächen zwischen weißen Halb¬
pfeilern unter hohen, grünen Dächern wieder die Erinnerung an die Prachtliebe
Katharinas II. auf, die diesem Bau als einer Nachahmung von Versailles
wesentlich seine Gestalt gegeben hat. Es ist gegen Abend; vom lichten Himmel
heben sich düster die hohen Tannen ab, welche in nordischem Ernst zu beiden
Seiten den breiten Ausblick begrenzen, der hier von der hohen Terrasse vor dem
Palais seewärts sich öffnet. Da finden von oben auf doppelter, vergoldeter Stufen¬
reihe zwischen einem Volke antiker Statuen weißschäumende Kaskaden hernieder,
um sich dann unten in der Mitte zu vereinigen; auf allen Absätzen steigen
Fontänen hoch in die Luft, und gerade vor der Mitte, aus dem Rachen des
Löwen, den Simson aufreißt, schießt armstark der Wasserstrahl 25 Meter hoch
empor. Dichte, verschnittene Hecken und Blumenparterres drängen sich da¬
zwischen. Und so geht es fort durch den ganzen untern Park; bei jeder Wen¬
dung des Weges hat die Kunst des Technikers verstanden, das glänzende,
flüssige Element in immer neuen Formen hervorzulocken. In sein Plätschern
und Rauschen mischen sich die Klänge der Militärmusik, und bei ihren Tönen
fahren langsam in eleganten Equipagen mit ihren prächtigen, großen, schwarzen
Orlvws, deren lange Schweife fast den Boden berühren, die Peterhoser Sommer¬
frischler einher, um zu sehen und gesehen zu werden und der Musik zu lauschen.
Zuweilen erscheint auch die kaiserliche Familie. Eigentümlich freilich berührt
den Fremden das starke Aufgebot von Polizeikrüften. Gorodowojs und Gens-
darmen stehen an jeder Ecke, und durch die Straßen des Villenvrtes Patrouilliren
fortwährend auf ihren großen Pferden in hohem Sattel stattliche Gardekvsccken,
im blauen, langen Kasten, auf dem Kopfe die hohe, schwarze Lammfellmütze,
an der Seite den tscherkessischen Säbel, die Schascht'ni, über den Rücken gehängt
in schwarzer, zottiger Pelzhülle das Gewehr. Wer des Getriebes überdrüssig
ist, der erreicht mit wenigen Schritten die Terrasse des kleinen Landhauses
Monplaisir dicht am flachen Gestade, das hier sonst sumpfig und unzugänglich
ist; da kann er einsam träumen unter hohen, schattigen Bäumen und hinaus¬
schauen auf das abendliche, lichtblaue Meer, in das eben die Sonne purpur¬
glühend hinter Kronstäbe versinkt, oder er kann dem Schicksale dieses Reiches
nachsinnen, dessen Geschichte an diese prächtige Umgebung auch den Sturz eines
Kaisers knüpft; denn von Peterhof brach in der Nacht vom 8. bis 9. Juli
1762 Katharina II. nach der Hauptstadt auf, um ihren Gemahl Peter III. zu
entthronen. (Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0504] Russische^ Skizzen. stolzen Front des Palais mit seinen gelben Wandflächen zwischen weißen Halb¬ pfeilern unter hohen, grünen Dächern wieder die Erinnerung an die Prachtliebe Katharinas II. auf, die diesem Bau als einer Nachahmung von Versailles wesentlich seine Gestalt gegeben hat. Es ist gegen Abend; vom lichten Himmel heben sich düster die hohen Tannen ab, welche in nordischem Ernst zu beiden Seiten den breiten Ausblick begrenzen, der hier von der hohen Terrasse vor dem Palais seewärts sich öffnet. Da finden von oben auf doppelter, vergoldeter Stufen¬ reihe zwischen einem Volke antiker Statuen weißschäumende Kaskaden hernieder, um sich dann unten in der Mitte zu vereinigen; auf allen Absätzen steigen Fontänen hoch in die Luft, und gerade vor der Mitte, aus dem Rachen des Löwen, den Simson aufreißt, schießt armstark der Wasserstrahl 25 Meter hoch empor. Dichte, verschnittene Hecken und Blumenparterres drängen sich da¬ zwischen. Und so geht es fort durch den ganzen untern Park; bei jeder Wen¬ dung des Weges hat die Kunst des Technikers verstanden, das glänzende, flüssige Element in immer neuen Formen hervorzulocken. In sein Plätschern und Rauschen mischen sich die Klänge der Militärmusik, und bei ihren Tönen fahren langsam in eleganten Equipagen mit ihren prächtigen, großen, schwarzen Orlvws, deren lange Schweife fast den Boden berühren, die Peterhoser Sommer¬ frischler einher, um zu sehen und gesehen zu werden und der Musik zu lauschen. Zuweilen erscheint auch die kaiserliche Familie. Eigentümlich freilich berührt den Fremden das starke Aufgebot von Polizeikrüften. Gorodowojs und Gens- darmen stehen an jeder Ecke, und durch die Straßen des Villenvrtes Patrouilliren fortwährend auf ihren großen Pferden in hohem Sattel stattliche Gardekvsccken, im blauen, langen Kasten, auf dem Kopfe die hohe, schwarze Lammfellmütze, an der Seite den tscherkessischen Säbel, die Schascht'ni, über den Rücken gehängt in schwarzer, zottiger Pelzhülle das Gewehr. Wer des Getriebes überdrüssig ist, der erreicht mit wenigen Schritten die Terrasse des kleinen Landhauses Monplaisir dicht am flachen Gestade, das hier sonst sumpfig und unzugänglich ist; da kann er einsam träumen unter hohen, schattigen Bäumen und hinaus¬ schauen auf das abendliche, lichtblaue Meer, in das eben die Sonne purpur¬ glühend hinter Kronstäbe versinkt, oder er kann dem Schicksale dieses Reiches nachsinnen, dessen Geschichte an diese prächtige Umgebung auch den Sturz eines Kaisers knüpft; denn von Peterhof brach in der Nacht vom 8. bis 9. Juli 1762 Katharina II. nach der Hauptstadt auf, um ihren Gemahl Peter III. zu entthronen. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/504>, abgerufen am 17.09.2024.