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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen"
von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.)

er Petersburger der einigermaßen bemittelten Klassen darf man
im Sommer überall suchen, nur nicht zu Hause. Sobald der
Mai urplötzlich ohne Übergang den Frühling gebracht hat,
werden die Schulen und auch die meisten Sammlungen auf drei
bis vier Monate geschlossen, zum Leidwesen der Fremden, zur
Freude der lieben Jugend, und alles zieht mit Sack und Pack, mit Kind
und Kegel hinaus auf die "Dakscha," wie seit den Tagen Katharinas II. die
Landhäuser heißen, weil sie die ersten ihren Günstlingen zum "Geschenk" machte,
denn das bedeutet an sich das Wort. Längs der Newa, an der Moskaner,
der baltischen und finnischen Bahn, wo es Wald und Wasser giebt und eine
bescheidne Bodenerhebung für bessere Luft bürgt, als die an sich ungesunde Lage
der Stadt sie bietet, siedelt der Petersburger sich behaglich an und ergiebt sich
von kmoro dem Nichtsthun, das kein Mensch auf dem Erdenrunde nächst Türken
und Lazzaronis so meisterhaft versteht wie der Nüsse. Seitdem Eisenbahnen
und Dampfer den Verkehr nach allen Richtungen hin vermitteln, ist die Gegend
an der Newa in den Hintergrund getreten, und doch bietet eine Fahrt auf dem
schönen Strome viel Anziehendes, allerdings nicht eben der Sommerfrischen
wegen. Ein rascher Schraubcndampfer führt uns von der Landungsbrücke am
Svmmergarten den Strom aufwärts durch die schönen, eisernen Bogen der
Alexauderbrücke; die Granitquais und die Palastreihen treten zurück, niedrige
Ufer und qualmende Fabriken nehmen ihre Stelle ein. Noch ragt bei der
scharfen Biegung des Flusses auf hohem Uferrande das Smolncckloster stattlich
auf; dann geht es anderthalb Stunden lang ununterbrochen zwischen Fabriken
(darunter die große kaiserliche Porzellanfabrik) und den niedrigen Holzhäusern




Russische Skizzen»
von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.)

er Petersburger der einigermaßen bemittelten Klassen darf man
im Sommer überall suchen, nur nicht zu Hause. Sobald der
Mai urplötzlich ohne Übergang den Frühling gebracht hat,
werden die Schulen und auch die meisten Sammlungen auf drei
bis vier Monate geschlossen, zum Leidwesen der Fremden, zur
Freude der lieben Jugend, und alles zieht mit Sack und Pack, mit Kind
und Kegel hinaus auf die „Dakscha," wie seit den Tagen Katharinas II. die
Landhäuser heißen, weil sie die ersten ihren Günstlingen zum „Geschenk" machte,
denn das bedeutet an sich das Wort. Längs der Newa, an der Moskaner,
der baltischen und finnischen Bahn, wo es Wald und Wasser giebt und eine
bescheidne Bodenerhebung für bessere Luft bürgt, als die an sich ungesunde Lage
der Stadt sie bietet, siedelt der Petersburger sich behaglich an und ergiebt sich
von kmoro dem Nichtsthun, das kein Mensch auf dem Erdenrunde nächst Türken
und Lazzaronis so meisterhaft versteht wie der Nüsse. Seitdem Eisenbahnen
und Dampfer den Verkehr nach allen Richtungen hin vermitteln, ist die Gegend
an der Newa in den Hintergrund getreten, und doch bietet eine Fahrt auf dem
schönen Strome viel Anziehendes, allerdings nicht eben der Sommerfrischen
wegen. Ein rascher Schraubcndampfer führt uns von der Landungsbrücke am
Svmmergarten den Strom aufwärts durch die schönen, eisernen Bogen der
Alexauderbrücke; die Granitquais und die Palastreihen treten zurück, niedrige
Ufer und qualmende Fabriken nehmen ihre Stelle ein. Noch ragt bei der
scharfen Biegung des Flusses auf hohem Uferrande das Smolncckloster stattlich
auf; dann geht es anderthalb Stunden lang ununterbrochen zwischen Fabriken
(darunter die große kaiserliche Porzellanfabrik) und den niedrigen Holzhäusern


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[0498] [Abbildung] Russische Skizzen» von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.) er Petersburger der einigermaßen bemittelten Klassen darf man im Sommer überall suchen, nur nicht zu Hause. Sobald der Mai urplötzlich ohne Übergang den Frühling gebracht hat, werden die Schulen und auch die meisten Sammlungen auf drei bis vier Monate geschlossen, zum Leidwesen der Fremden, zur Freude der lieben Jugend, und alles zieht mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel hinaus auf die „Dakscha," wie seit den Tagen Katharinas II. die Landhäuser heißen, weil sie die ersten ihren Günstlingen zum „Geschenk" machte, denn das bedeutet an sich das Wort. Längs der Newa, an der Moskaner, der baltischen und finnischen Bahn, wo es Wald und Wasser giebt und eine bescheidne Bodenerhebung für bessere Luft bürgt, als die an sich ungesunde Lage der Stadt sie bietet, siedelt der Petersburger sich behaglich an und ergiebt sich von kmoro dem Nichtsthun, das kein Mensch auf dem Erdenrunde nächst Türken und Lazzaronis so meisterhaft versteht wie der Nüsse. Seitdem Eisenbahnen und Dampfer den Verkehr nach allen Richtungen hin vermitteln, ist die Gegend an der Newa in den Hintergrund getreten, und doch bietet eine Fahrt auf dem schönen Strome viel Anziehendes, allerdings nicht eben der Sommerfrischen wegen. Ein rascher Schraubcndampfer führt uns von der Landungsbrücke am Svmmergarten den Strom aufwärts durch die schönen, eisernen Bogen der Alexauderbrücke; die Granitquais und die Palastreihen treten zurück, niedrige Ufer und qualmende Fabriken nehmen ihre Stelle ein. Noch ragt bei der scharfen Biegung des Flusses auf hohem Uferrande das Smolncckloster stattlich auf; dann geht es anderthalb Stunden lang ununterbrochen zwischen Fabriken (darunter die große kaiserliche Porzellanfabrik) und den niedrigen Holzhäusern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/498>, abgerufen am 17.09.2024.