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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Grünewald.

einer staubigen Fahrt vorziehen, ungemütlich werden; denn Wagenzüge von
nervös machender Unendlichkeit wälzen sich auf den nicht zu den schönen Punkten,
sondern zu den Wirtshäusern führenden Straßen dahin, und ein Freund des
Fußwcmderns sieht mit wahrem Ingrimm, wie nicht etwa nur Weib, Kind und
Greis, sondern wie auch rüstige, junge Männer scharenweise auf den Kremsern,
Omnibussen und ähnlichen Transportmitteln hocken. Wie oft fühlten wir uns
nicht von einer Art leidenschaftlicher Sehnsucht erfaßt, diese Herrchen einmal
herunterholen und ihnen Beine machen zu können! Noch unerquicklicher wird
einem zu Mute, wenn man nun das Ziel derartiger Ausflügler erreicht hat.
Dagegen, daß die Wirtschaften selbst und deren nächste Umgebung in der un¬
glaublichsten Weise überfüllt sind, daß es mitunter schwer fällt, nur zu einem
Glase Bier zu kommen, und andre Nahrungsmittel als die in Massen bereit¬
gestellten Eier, Käsebrötchcn :c. überhaupt nicht zu bekommen sind, wäre ja
nichts zu sagen; aber die Art, wie die Berliner Familien und Gesellschaften
sich bei solchen Gelegenheiten ins Grüne zu lagern und dann die mitgebrachten
"Freßkober" zu leeren Pflegen, hat wirklich etwas -- etwas -- na, etwas
Unappetitliches. Wer einmal am Sonntag Abend oder anch noch am Montag
über ein solches Schlachtfeld gewandelt ist, wird uns verstehen. Oft schon hat
die königliche Waldverwaltnng die dringendsten öffentlichen Gesuche an das
Publikum gerichtet, doch die Wickclpapiere und Speisereste nicht liegen zu
lassen, sondern wieder mitzunehmen, zu verschiedenen malen hat man sogar
schon mit Schließung des Waldes gedroht. Vergebens. Die naive Gleich-
giltigkeit und Bequemlichkeit dieses Publikums spottet aller Mahnungen, und
die Menge der Pcipierfetzcn, Eierschalen, Wurstzipfel und -Häute, Knöchelchen !c,,
die um solchen Plätzen umherzuliegen Pflegen, spottet jeder Beschreibung.
Es ist sicherlich nicht übertrieben, zu sagen, daß viertelstundenweit um die be¬
liebtesten Zielpunkte her der Wald wie beschneit aussieht, eine Illusion, die
sich freilich verliert, sobald man diesen "Schnee" einmal näher angesehen hat.
Es übersteigt alle Begriffe, welche Papiermassen von den Waldwärtern
aufgesammelt werden müssen, und wahrscheinlich ist die Einnahme, welche diese
hieraus machen, ein Hauptgrund für die königliche Verwaltung, immer wieder
ein Auge zuzudrücken; daß auch sonst diese ungenirter Lagerungen dem Walde
und dem Gebüsch nicht zuträglich sind, braucht Wohl kaum bemerkt zu werden.

Man muß indessen billig sein. Was sollen die Leute machen? Man
kann es ihnen wirklich nicht übel nehmen, daß sie lieber in den Grünewald
gehen als in die Jungfern- oder Wuhlheide, und noch weniger können die
Berliner etwas dafür, daß sie an Sonntagen in so erschütternder Massenhaftigkeit
austreten. Lieber Himmel! Selbst der kleinste Bruchteil des "ausfliegenden
Berlin" nimmt sofort Verhältnisse an, denen mit keiner Vorsorge mehr bei¬
zukommen ist, wie dies die vollgepfropften allsonntäglicher Züge und Extrazüge
aller Eisenbahnen und die dennoch scheltend und schimpfend auf den Bahnhöfen


Der Grünewald.

einer staubigen Fahrt vorziehen, ungemütlich werden; denn Wagenzüge von
nervös machender Unendlichkeit wälzen sich auf den nicht zu den schönen Punkten,
sondern zu den Wirtshäusern führenden Straßen dahin, und ein Freund des
Fußwcmderns sieht mit wahrem Ingrimm, wie nicht etwa nur Weib, Kind und
Greis, sondern wie auch rüstige, junge Männer scharenweise auf den Kremsern,
Omnibussen und ähnlichen Transportmitteln hocken. Wie oft fühlten wir uns
nicht von einer Art leidenschaftlicher Sehnsucht erfaßt, diese Herrchen einmal
herunterholen und ihnen Beine machen zu können! Noch unerquicklicher wird
einem zu Mute, wenn man nun das Ziel derartiger Ausflügler erreicht hat.
Dagegen, daß die Wirtschaften selbst und deren nächste Umgebung in der un¬
glaublichsten Weise überfüllt sind, daß es mitunter schwer fällt, nur zu einem
Glase Bier zu kommen, und andre Nahrungsmittel als die in Massen bereit¬
gestellten Eier, Käsebrötchcn :c. überhaupt nicht zu bekommen sind, wäre ja
nichts zu sagen; aber die Art, wie die Berliner Familien und Gesellschaften
sich bei solchen Gelegenheiten ins Grüne zu lagern und dann die mitgebrachten
„Freßkober" zu leeren Pflegen, hat wirklich etwas — etwas — na, etwas
Unappetitliches. Wer einmal am Sonntag Abend oder anch noch am Montag
über ein solches Schlachtfeld gewandelt ist, wird uns verstehen. Oft schon hat
die königliche Waldverwaltnng die dringendsten öffentlichen Gesuche an das
Publikum gerichtet, doch die Wickclpapiere und Speisereste nicht liegen zu
lassen, sondern wieder mitzunehmen, zu verschiedenen malen hat man sogar
schon mit Schließung des Waldes gedroht. Vergebens. Die naive Gleich-
giltigkeit und Bequemlichkeit dieses Publikums spottet aller Mahnungen, und
die Menge der Pcipierfetzcn, Eierschalen, Wurstzipfel und -Häute, Knöchelchen !c,,
die um solchen Plätzen umherzuliegen Pflegen, spottet jeder Beschreibung.
Es ist sicherlich nicht übertrieben, zu sagen, daß viertelstundenweit um die be¬
liebtesten Zielpunkte her der Wald wie beschneit aussieht, eine Illusion, die
sich freilich verliert, sobald man diesen „Schnee" einmal näher angesehen hat.
Es übersteigt alle Begriffe, welche Papiermassen von den Waldwärtern
aufgesammelt werden müssen, und wahrscheinlich ist die Einnahme, welche diese
hieraus machen, ein Hauptgrund für die königliche Verwaltung, immer wieder
ein Auge zuzudrücken; daß auch sonst diese ungenirter Lagerungen dem Walde
und dem Gebüsch nicht zuträglich sind, braucht Wohl kaum bemerkt zu werden.

Man muß indessen billig sein. Was sollen die Leute machen? Man
kann es ihnen wirklich nicht übel nehmen, daß sie lieber in den Grünewald
gehen als in die Jungfern- oder Wuhlheide, und noch weniger können die
Berliner etwas dafür, daß sie an Sonntagen in so erschütternder Massenhaftigkeit
austreten. Lieber Himmel! Selbst der kleinste Bruchteil des „ausfliegenden
Berlin" nimmt sofort Verhältnisse an, denen mit keiner Vorsorge mehr bei¬
zukommen ist, wie dies die vollgepfropften allsonntäglicher Züge und Extrazüge
aller Eisenbahnen und die dennoch scheltend und schimpfend auf den Bahnhöfen


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[0494] Der Grünewald. einer staubigen Fahrt vorziehen, ungemütlich werden; denn Wagenzüge von nervös machender Unendlichkeit wälzen sich auf den nicht zu den schönen Punkten, sondern zu den Wirtshäusern führenden Straßen dahin, und ein Freund des Fußwcmderns sieht mit wahrem Ingrimm, wie nicht etwa nur Weib, Kind und Greis, sondern wie auch rüstige, junge Männer scharenweise auf den Kremsern, Omnibussen und ähnlichen Transportmitteln hocken. Wie oft fühlten wir uns nicht von einer Art leidenschaftlicher Sehnsucht erfaßt, diese Herrchen einmal herunterholen und ihnen Beine machen zu können! Noch unerquicklicher wird einem zu Mute, wenn man nun das Ziel derartiger Ausflügler erreicht hat. Dagegen, daß die Wirtschaften selbst und deren nächste Umgebung in der un¬ glaublichsten Weise überfüllt sind, daß es mitunter schwer fällt, nur zu einem Glase Bier zu kommen, und andre Nahrungsmittel als die in Massen bereit¬ gestellten Eier, Käsebrötchcn :c. überhaupt nicht zu bekommen sind, wäre ja nichts zu sagen; aber die Art, wie die Berliner Familien und Gesellschaften sich bei solchen Gelegenheiten ins Grüne zu lagern und dann die mitgebrachten „Freßkober" zu leeren Pflegen, hat wirklich etwas — etwas — na, etwas Unappetitliches. Wer einmal am Sonntag Abend oder anch noch am Montag über ein solches Schlachtfeld gewandelt ist, wird uns verstehen. Oft schon hat die königliche Waldverwaltnng die dringendsten öffentlichen Gesuche an das Publikum gerichtet, doch die Wickclpapiere und Speisereste nicht liegen zu lassen, sondern wieder mitzunehmen, zu verschiedenen malen hat man sogar schon mit Schließung des Waldes gedroht. Vergebens. Die naive Gleich- giltigkeit und Bequemlichkeit dieses Publikums spottet aller Mahnungen, und die Menge der Pcipierfetzcn, Eierschalen, Wurstzipfel und -Häute, Knöchelchen !c,, die um solchen Plätzen umherzuliegen Pflegen, spottet jeder Beschreibung. Es ist sicherlich nicht übertrieben, zu sagen, daß viertelstundenweit um die be¬ liebtesten Zielpunkte her der Wald wie beschneit aussieht, eine Illusion, die sich freilich verliert, sobald man diesen „Schnee" einmal näher angesehen hat. Es übersteigt alle Begriffe, welche Papiermassen von den Waldwärtern aufgesammelt werden müssen, und wahrscheinlich ist die Einnahme, welche diese hieraus machen, ein Hauptgrund für die königliche Verwaltung, immer wieder ein Auge zuzudrücken; daß auch sonst diese ungenirter Lagerungen dem Walde und dem Gebüsch nicht zuträglich sind, braucht Wohl kaum bemerkt zu werden. Man muß indessen billig sein. Was sollen die Leute machen? Man kann es ihnen wirklich nicht übel nehmen, daß sie lieber in den Grünewald gehen als in die Jungfern- oder Wuhlheide, und noch weniger können die Berliner etwas dafür, daß sie an Sonntagen in so erschütternder Massenhaftigkeit austreten. Lieber Himmel! Selbst der kleinste Bruchteil des „ausfliegenden Berlin" nimmt sofort Verhältnisse an, denen mit keiner Vorsorge mehr bei¬ zukommen ist, wie dies die vollgepfropften allsonntäglicher Züge und Extrazüge aller Eisenbahnen und die dennoch scheltend und schimpfend auf den Bahnhöfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/494>, abgerufen am 17.09.2024.