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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Grünewald.

Mon der alten Feste Spandau erstreckt sich in nördlicher oder nord¬
östlicher Richtung ein langer, schmaler See mit mannichfachen
Ausbuchtungen, An einer derselben (in der nordöstlichen Ecke)
liegt Tegel, geweiht durch die Manen der Brüder Humboldt.
Hierher beginnt seit einigen Jahren ein immer stärker werdender
Strom wohnungsuchender Berliner zu finden. Anfangs kamen sie nur für den
Sommer, jetzt bleiben sie mehr und mehr auch ständig da. Mehr nach Nordwesten
erreicht der See bei Hcrmsdorf seinen nördlichsten Punkt, und hier strömt die
Havel ihm zu, um ihn bei Spandau wieder zu verlassen. Gleich nachher eint
sich den raschen und klaren Wellen der Havel ein mindestens ebenso wasser¬
reicher, aber langsamerer lind trüberer Fluß, die Spree, in deren Wellen sich
die deutsche Reichshauptstadt spiegelt. Die vereinigten Flüsse behalten zunächst
die Richtung der Havel, von Norden nach Süden, bei; darum heißt der Ge¬
samtfluß Havel. Gleich nachher verbreitert er sich abermals zum See. Westlich,
also bei einer Dampfschifffahrt zur Rechten, hat dieser eine flache, jedoch nicht
reizlose, von Dörfern und Schlössern und weiterhin von Villen und ganzen
Villenkolonie" belebte Landschaft, die sich gegen Potsdam hinzieht und einige
der berühmtesten Familiengüter des kaiserlich-königlichen Hauses in sich schließt.
Zur linken Hand aber (nach der Seite, wo keine Meile entfernt die Vorposten
Berlins stehen) erhebt sich, sobald man sich der Insel Pichelswerder und dem
Dörfchen Pichelsdorf nähert, eine waldbedeckte Hügellandschaft, nur an drei
Stellen -- zu Pichelsdorf, am "Schildhorn" und ganz am südlichen Ende, zu
Wannsee -- von menschlichen Wohnungen belebt. Dieses Gebiet, neun Kilo¬
meter lang und an vier Kilometer tief, ist der Grünewald, der unvergleichliche
Znkunftspark Berlins.

Was wollen alle berühmten Stadtparke der Welt gegen diesen bedeuten?
Schon die Größenverhältnisse sind so überraschend, daß sie eine Vergleichung
kaum aufkommen lassen. Es ist uns nicht gegenwärtig, welchen Flüchenraum
alle hervorragenden Anlagen dieser Art haben; aber wir haben die Notiz ge¬
funden, der Phönixpark zu Dublin sei einer der größten -- nun, der Grüne¬
wald ist siebenmal so groß. Der Berliner Tiergarten wird vom Grünewald um
mehr als das zwanzigfache, der Wiener Prater samt Wurstel- und wildem
Prater um das zwölffachc, das Boulogner Gehölz bei Paris immer noch,
wiewohl es größer ist als der Phönixpark, um das sechsfache übertroffen. Viel
mehr aber noch als die gewaltige Ausdehnung fällt die landschaftliche Schön-


Der Grünewald.

Mon der alten Feste Spandau erstreckt sich in nördlicher oder nord¬
östlicher Richtung ein langer, schmaler See mit mannichfachen
Ausbuchtungen, An einer derselben (in der nordöstlichen Ecke)
liegt Tegel, geweiht durch die Manen der Brüder Humboldt.
Hierher beginnt seit einigen Jahren ein immer stärker werdender
Strom wohnungsuchender Berliner zu finden. Anfangs kamen sie nur für den
Sommer, jetzt bleiben sie mehr und mehr auch ständig da. Mehr nach Nordwesten
erreicht der See bei Hcrmsdorf seinen nördlichsten Punkt, und hier strömt die
Havel ihm zu, um ihn bei Spandau wieder zu verlassen. Gleich nachher eint
sich den raschen und klaren Wellen der Havel ein mindestens ebenso wasser¬
reicher, aber langsamerer lind trüberer Fluß, die Spree, in deren Wellen sich
die deutsche Reichshauptstadt spiegelt. Die vereinigten Flüsse behalten zunächst
die Richtung der Havel, von Norden nach Süden, bei; darum heißt der Ge¬
samtfluß Havel. Gleich nachher verbreitert er sich abermals zum See. Westlich,
also bei einer Dampfschifffahrt zur Rechten, hat dieser eine flache, jedoch nicht
reizlose, von Dörfern und Schlössern und weiterhin von Villen und ganzen
Villenkolonie» belebte Landschaft, die sich gegen Potsdam hinzieht und einige
der berühmtesten Familiengüter des kaiserlich-königlichen Hauses in sich schließt.
Zur linken Hand aber (nach der Seite, wo keine Meile entfernt die Vorposten
Berlins stehen) erhebt sich, sobald man sich der Insel Pichelswerder und dem
Dörfchen Pichelsdorf nähert, eine waldbedeckte Hügellandschaft, nur an drei
Stellen — zu Pichelsdorf, am „Schildhorn" und ganz am südlichen Ende, zu
Wannsee — von menschlichen Wohnungen belebt. Dieses Gebiet, neun Kilo¬
meter lang und an vier Kilometer tief, ist der Grünewald, der unvergleichliche
Znkunftspark Berlins.

Was wollen alle berühmten Stadtparke der Welt gegen diesen bedeuten?
Schon die Größenverhältnisse sind so überraschend, daß sie eine Vergleichung
kaum aufkommen lassen. Es ist uns nicht gegenwärtig, welchen Flüchenraum
alle hervorragenden Anlagen dieser Art haben; aber wir haben die Notiz ge¬
funden, der Phönixpark zu Dublin sei einer der größten — nun, der Grüne¬
wald ist siebenmal so groß. Der Berliner Tiergarten wird vom Grünewald um
mehr als das zwanzigfache, der Wiener Prater samt Wurstel- und wildem
Prater um das zwölffachc, das Boulogner Gehölz bei Paris immer noch,
wiewohl es größer ist als der Phönixpark, um das sechsfache übertroffen. Viel
mehr aber noch als die gewaltige Ausdehnung fällt die landschaftliche Schön-


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[0492] Der Grünewald. Mon der alten Feste Spandau erstreckt sich in nördlicher oder nord¬ östlicher Richtung ein langer, schmaler See mit mannichfachen Ausbuchtungen, An einer derselben (in der nordöstlichen Ecke) liegt Tegel, geweiht durch die Manen der Brüder Humboldt. Hierher beginnt seit einigen Jahren ein immer stärker werdender Strom wohnungsuchender Berliner zu finden. Anfangs kamen sie nur für den Sommer, jetzt bleiben sie mehr und mehr auch ständig da. Mehr nach Nordwesten erreicht der See bei Hcrmsdorf seinen nördlichsten Punkt, und hier strömt die Havel ihm zu, um ihn bei Spandau wieder zu verlassen. Gleich nachher eint sich den raschen und klaren Wellen der Havel ein mindestens ebenso wasser¬ reicher, aber langsamerer lind trüberer Fluß, die Spree, in deren Wellen sich die deutsche Reichshauptstadt spiegelt. Die vereinigten Flüsse behalten zunächst die Richtung der Havel, von Norden nach Süden, bei; darum heißt der Ge¬ samtfluß Havel. Gleich nachher verbreitert er sich abermals zum See. Westlich, also bei einer Dampfschifffahrt zur Rechten, hat dieser eine flache, jedoch nicht reizlose, von Dörfern und Schlössern und weiterhin von Villen und ganzen Villenkolonie» belebte Landschaft, die sich gegen Potsdam hinzieht und einige der berühmtesten Familiengüter des kaiserlich-königlichen Hauses in sich schließt. Zur linken Hand aber (nach der Seite, wo keine Meile entfernt die Vorposten Berlins stehen) erhebt sich, sobald man sich der Insel Pichelswerder und dem Dörfchen Pichelsdorf nähert, eine waldbedeckte Hügellandschaft, nur an drei Stellen — zu Pichelsdorf, am „Schildhorn" und ganz am südlichen Ende, zu Wannsee — von menschlichen Wohnungen belebt. Dieses Gebiet, neun Kilo¬ meter lang und an vier Kilometer tief, ist der Grünewald, der unvergleichliche Znkunftspark Berlins. Was wollen alle berühmten Stadtparke der Welt gegen diesen bedeuten? Schon die Größenverhältnisse sind so überraschend, daß sie eine Vergleichung kaum aufkommen lassen. Es ist uns nicht gegenwärtig, welchen Flüchenraum alle hervorragenden Anlagen dieser Art haben; aber wir haben die Notiz ge¬ funden, der Phönixpark zu Dublin sei einer der größten — nun, der Grüne¬ wald ist siebenmal so groß. Der Berliner Tiergarten wird vom Grünewald um mehr als das zwanzigfache, der Wiener Prater samt Wurstel- und wildem Prater um das zwölffachc, das Boulogner Gehölz bei Paris immer noch, wiewohl es größer ist als der Phönixpark, um das sechsfache übertroffen. Viel mehr aber noch als die gewaltige Ausdehnung fällt die landschaftliche Schön-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/492>, abgerufen am 17.09.2024.