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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

worauf ihn der andre mit einem Schuß totschießt. Die Schlußszene führt
wieder in den Wirtshausgarten unten im Dorfe. Man ist sehr erregt; die
Leute haben die übertriebensten Gerüchte verbreitet. Eismer nimmt mit seinem
ganzen Selbstgefühl alle Verantwortung auf sich: "A meine Ung'legenden hat
doch eng nit z'bekümmern, und van' euere wußt ich mir da dabei koane aus-
z'denken." Wieder der Ton des echten Tragikers. Da endlich kommt der eine
der Gensdcirmen kleinlaut zum Bericht herbei. Eismer hat noch gerade den
letzten Trumpf vor Pfarrer Milde ausgespielt: "Aber da seht's, Hochwürden,
den Burschen, störrig bis zum Letzten, wider alle und alles, ganz ungefüg;
was wär mit dem anz'fangen g'west?" Nun fragt er den Gensdarmen: "No
wie steht's denn aber, weiß mer doch sitzt. wie der Bursch hoaßt und woher
er is?" Und dieser zieht sein Notizbuch aus der Tasche: "Ja, Geburth- und
Heimatschein halb'n sich vorg'funden. Es is der uneheliche Sohn einer Klein-
hciuslcrstochter von Gutenthal, Juliana Auhofer" -- also Eisners eigner Sohn.
Taumelnd sinkt der Bürgermeister zu Boden, und die Worte des Pfarrers:
"Sein eignes Kind" gehen in der Menge, die sie umgiebt, von Mund zu Mund.
Nun wird die Bahre mit dem sterbenden Einsam herbeigebracht. "Du --
Bub -- fluch' mir nit." ruft Eismer, die Hände nach der Bahre ausstreckend,
"denn ich -- ich -- bin dein Vater!" und sinkt zu Füßen der Bahre in die
Kniee. Einsam: "Du? Haha! Laß dich amal d'reussir anschaun." Eismer:
"Geh du nit von mir -- du mein Letzter -- ja wohl, du mein Einsam --
geh du nit von mir ohne a Verzeih'n!" Und der Einsam macht dann noch
zur uneingestcmden geliebten Pciuli den tragischen Witz: "Ach Pauli, dir kinn
ich ja ganz, wie d' g'wünschen hast; brauchst nit ausz'reißen wegen meiner."
Dann stirbt er. Eismer legt sein Amt nieder. Die Leiche seines Sohnes läßt
er ins Haus führen: "Bei mein Bub'n will ich allocm wachen -- ganz
alloanig -- wie ich jetzt bin: halt ja, ganz alloanigl" Und mit dem Vers
aus Paulus' Brief an die Korinther. den der Pfarrer spricht: ""Aber hätte ich
allen Glauben also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre
ich nichts." Für was aber alles hält sich unsre verlogene Zeit mit ihrem lieb¬
losen Glauben?" schließt das Stück.

Es ist nach Form und Inhalt ein des ausgezeichneten Dichters würdiges
Werk, eine wirkliche Bereicherung unserer dramatischen Literatur.


Moritz Necker.


Neues von Anzengruber.

worauf ihn der andre mit einem Schuß totschießt. Die Schlußszene führt
wieder in den Wirtshausgarten unten im Dorfe. Man ist sehr erregt; die
Leute haben die übertriebensten Gerüchte verbreitet. Eismer nimmt mit seinem
ganzen Selbstgefühl alle Verantwortung auf sich: „A meine Ung'legenden hat
doch eng nit z'bekümmern, und van' euere wußt ich mir da dabei koane aus-
z'denken." Wieder der Ton des echten Tragikers. Da endlich kommt der eine
der Gensdcirmen kleinlaut zum Bericht herbei. Eismer hat noch gerade den
letzten Trumpf vor Pfarrer Milde ausgespielt: „Aber da seht's, Hochwürden,
den Burschen, störrig bis zum Letzten, wider alle und alles, ganz ungefüg;
was wär mit dem anz'fangen g'west?" Nun fragt er den Gensdarmen: „No
wie steht's denn aber, weiß mer doch sitzt. wie der Bursch hoaßt und woher
er is?" Und dieser zieht sein Notizbuch aus der Tasche: „Ja, Geburth- und
Heimatschein halb'n sich vorg'funden. Es is der uneheliche Sohn einer Klein-
hciuslcrstochter von Gutenthal, Juliana Auhofer" — also Eisners eigner Sohn.
Taumelnd sinkt der Bürgermeister zu Boden, und die Worte des Pfarrers:
„Sein eignes Kind" gehen in der Menge, die sie umgiebt, von Mund zu Mund.
Nun wird die Bahre mit dem sterbenden Einsam herbeigebracht. „Du —
Bub — fluch' mir nit." ruft Eismer, die Hände nach der Bahre ausstreckend,
„denn ich — ich — bin dein Vater!" und sinkt zu Füßen der Bahre in die
Kniee. Einsam: „Du? Haha! Laß dich amal d'reussir anschaun." Eismer:
„Geh du nit von mir — du mein Letzter — ja wohl, du mein Einsam —
geh du nit von mir ohne a Verzeih'n!" Und der Einsam macht dann noch
zur uneingestcmden geliebten Pciuli den tragischen Witz: „Ach Pauli, dir kinn
ich ja ganz, wie d' g'wünschen hast; brauchst nit ausz'reißen wegen meiner."
Dann stirbt er. Eismer legt sein Amt nieder. Die Leiche seines Sohnes läßt
er ins Haus führen: „Bei mein Bub'n will ich allocm wachen — ganz
alloanig — wie ich jetzt bin: halt ja, ganz alloanigl" Und mit dem Vers
aus Paulus' Brief an die Korinther. den der Pfarrer spricht: „»Aber hätte ich
allen Glauben also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre
ich nichts.« Für was aber alles hält sich unsre verlogene Zeit mit ihrem lieb¬
losen Glauben?" schließt das Stück.

Es ist nach Form und Inhalt ein des ausgezeichneten Dichters würdiges
Werk, eine wirkliche Bereicherung unserer dramatischen Literatur.


Moritz Necker.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/491>, abgerufen am 17.09.2024.