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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

mich mit harter Hand af mein Weg g'wiesen, und es hat völlig 'n Anschein,
als ob er mich a weiter mit harter Hand d'rauf leiten wollt'; hätt er mir
aber alloanig nur dö Streng' gcg'n mich selber auferleg'n woll'n, durft ich
mich nit a andern geg'nüber für sein Werkzeug betrachten, dann würd' er mir
wohl nit bis af'n heutigen Tag zug'wartet hab'n, daß er mich unter sein'n
Fingern zerbricht und verwirft." Darauf Martha, mit aufgehobenen Händen:
"Versuch Gott nit, Burgermaster!" Und Elsner, ohne ihre Einrede zu beachten:
"Wann aber dö Leut', wie du mvanst, sagen wurden: ich that' an dem Einsam,
wie ich an mein'in eig'nen Bub'n wohl nit thun möcht'; da sageten s' falsch!
Was a dem Bub'n da oben zustoßen mag, ich trag' daran loca Verschulden,
er hat's selb'n mit beid' eignen Händen af sein Kopf aufg'häuft, und ihm
wird nur, was er will und nach sein'in Will'u soll ihm a werd'n, und wenn
'r mein eigner Sohn wär!" Martha sinkt mit Zeichen des Entsetzens in den
Stuhl zurück. Der Vorhang fällt rasch.

In dieser Szene weht ein wahrhaft tragisches Pathos: Eismer wächst
über sich selbst hinaus, ohne sich untreu zu werden, er zieht die äußersten
Konsequenzen seines Charakters. Dieser ist erst im Laufe seiner Entwicklung
zu einer eignen Große gekommen, und für den anfänglich unsympathischen Mann
ist langsam eine tragische Sympathie entstanden. Kein Zweifel, daß diese Szene
auf der Bühne eine erschütternde Wirkung hervorrufen muß, und sie hat vor den
verwandten Szenen des "Meineidbauern" das voraus, daß ihr auch der geringste
äußerlich theatralische Zug mangelt.

Die Entwicklung des dritten Aktes sieht man leicht voraus. Tomerl und
Pauli sind in der "Felslucke" des Einsam. Sie warnen ihn, wollen ihn schützen,
wollen vermitteln. Er erzählt ihnen seine Jugendgeschichte, seine schwere Unthat:
eine Art Beichte, welche alle Sympathie des Zuschauers in glücklicher dramatischer
Berechnung auf den tragischen Helden vereinigen soll. Bei einem Kirchweihfest
wurde der junge Einsam, der ein Herz voll Menschenliebe besaß und vor allem
seine Mutter vergötterte, schwer beleidigt. Man beschimpfte ihn wegen seiner
illegitimen Herkunft. Er wußte aber nichts von derselben, hielt sich für den
rechtmäßigen Sohn einer Witwe, geriet wegen der Beleidigung in Wut und
erstach den Beleidiger im Jähzorn. Als er über seinen Irrtum aufgeklärt
wurde, war es zu spät. Fünf Jahre saß er im Zuchthaus, und dann litt er
unter dem Schicksal des Sträflings: nirgends fand er Aufnahme. "Zwoafach
bin ich von so g'schieden, durch dö unehrliche Geburt und durch mein Thun;
aber meiner Geburt wegen, an der ich doch loca Schuld trag', kann ich mich
nit schämen, und mein Thun, auch durch die Lügenhaftigkeit Andrer hellauf in
Unsinn verkehrt, kann ich nit bereun; aber halt als van Ganzes bedrückts mich,
dös bin ich nit los word'n und werd's nit los!" Kaum ist der Einsam mit
seinem Bericht fertig, erscheinen auch schon die Gensdarmen. Er will sich nicht
verhaften lassen, es entspinnt sich ein Kampf, er verwundet den einen Gensdarmen,


Neues von Anzengruber.

mich mit harter Hand af mein Weg g'wiesen, und es hat völlig 'n Anschein,
als ob er mich a weiter mit harter Hand d'rauf leiten wollt'; hätt er mir
aber alloanig nur dö Streng' gcg'n mich selber auferleg'n woll'n, durft ich
mich nit a andern geg'nüber für sein Werkzeug betrachten, dann würd' er mir
wohl nit bis af'n heutigen Tag zug'wartet hab'n, daß er mich unter sein'n
Fingern zerbricht und verwirft." Darauf Martha, mit aufgehobenen Händen:
„Versuch Gott nit, Burgermaster!" Und Elsner, ohne ihre Einrede zu beachten:
„Wann aber dö Leut', wie du mvanst, sagen wurden: ich that' an dem Einsam,
wie ich an mein'in eig'nen Bub'n wohl nit thun möcht'; da sageten s' falsch!
Was a dem Bub'n da oben zustoßen mag, ich trag' daran loca Verschulden,
er hat's selb'n mit beid' eignen Händen af sein Kopf aufg'häuft, und ihm
wird nur, was er will und nach sein'in Will'u soll ihm a werd'n, und wenn
'r mein eigner Sohn wär!" Martha sinkt mit Zeichen des Entsetzens in den
Stuhl zurück. Der Vorhang fällt rasch.

In dieser Szene weht ein wahrhaft tragisches Pathos: Eismer wächst
über sich selbst hinaus, ohne sich untreu zu werden, er zieht die äußersten
Konsequenzen seines Charakters. Dieser ist erst im Laufe seiner Entwicklung
zu einer eignen Große gekommen, und für den anfänglich unsympathischen Mann
ist langsam eine tragische Sympathie entstanden. Kein Zweifel, daß diese Szene
auf der Bühne eine erschütternde Wirkung hervorrufen muß, und sie hat vor den
verwandten Szenen des „Meineidbauern" das voraus, daß ihr auch der geringste
äußerlich theatralische Zug mangelt.

Die Entwicklung des dritten Aktes sieht man leicht voraus. Tomerl und
Pauli sind in der „Felslucke" des Einsam. Sie warnen ihn, wollen ihn schützen,
wollen vermitteln. Er erzählt ihnen seine Jugendgeschichte, seine schwere Unthat:
eine Art Beichte, welche alle Sympathie des Zuschauers in glücklicher dramatischer
Berechnung auf den tragischen Helden vereinigen soll. Bei einem Kirchweihfest
wurde der junge Einsam, der ein Herz voll Menschenliebe besaß und vor allem
seine Mutter vergötterte, schwer beleidigt. Man beschimpfte ihn wegen seiner
illegitimen Herkunft. Er wußte aber nichts von derselben, hielt sich für den
rechtmäßigen Sohn einer Witwe, geriet wegen der Beleidigung in Wut und
erstach den Beleidiger im Jähzorn. Als er über seinen Irrtum aufgeklärt
wurde, war es zu spät. Fünf Jahre saß er im Zuchthaus, und dann litt er
unter dem Schicksal des Sträflings: nirgends fand er Aufnahme. „Zwoafach
bin ich von so g'schieden, durch dö unehrliche Geburt und durch mein Thun;
aber meiner Geburt wegen, an der ich doch loca Schuld trag', kann ich mich
nit schämen, und mein Thun, auch durch die Lügenhaftigkeit Andrer hellauf in
Unsinn verkehrt, kann ich nit bereun; aber halt als van Ganzes bedrückts mich,
dös bin ich nit los word'n und werd's nit los!" Kaum ist der Einsam mit
seinem Bericht fertig, erscheinen auch schon die Gensdarmen. Er will sich nicht
verhaften lassen, es entspinnt sich ein Kampf, er verwundet den einen Gensdarmen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/490>, abgerufen am 17.09.2024.