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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

enthüllt hat. Eismer versucht es in Güte mit dem Sonderling. Dabei werden
wir vertrauter mit dem Charakter des Einsam. Er fühlt sich durch seinen im
Jähzorn begangenen Totschlag nicht im Gewissen bedrückt. "Versteh mich recht,
wann mer ein' in ein'in falschen Meinen aufwachsen laßt, dann kann wohl sein'
Hand und sein Sinn beim Übelthun sein, aber sein Verschulden is nit dabei;
darum was mir schwer af der Seel liegt, dös is meiner Mutter af's Gewissen
g'fallen, das hat sie vor der Zeit unter d' Erd g'bracht" -- sie hatte ihn
nämlich nicht rechtzeitig über seine eigne illegitime Herkunft unterrichtet. Das
Gespräch zwischen Eismer und Einsam nimmt eine verhängnisvolle Wendung. Der
boshafte Einsam will sich nicht als Paradestück der Dressurkünste Eisners ge¬
brauchen lassen; dieser wird darob immer wilder: er droht ihm mit der Gens-
darmerie, Einsam pocht auf seinen sichern Stutzen, mit dem er sie warm
empfangen wolle. Und mit dem bittersten Hohn schleudert der "Wildling" dem
Bürgermeister die Worte ins Gesicht: "Gelt, Großlopfeter, van unbedacht um's
Leben bringen, dös is himmelschreiend, aber van verweis ins Leben rufen, dös
hält'se für g'ring? Ich stell' mer den Mon, dem ich's nit dank', daß ich da
af der Welt h'rumlauf', nit viel anders vor, wie dich, was a van d'rauf
h'rumlaufen hat, der leicht nit viel anders ausschaut, wie ich!" Nieder¬
geschmettert schreit ihm Eismer zu: "Fort -- fort du -- weit -- aus mein'
Auga!"

Soweit der erste Akt. Im zweiten hat sich schon das Gerücht von dem
Zusammenprallen des Einsam mit Elsner verbreitet. Die Bauern schauen
neugierig beiden Parteien zu, die "Buben" singen Spottlieder auf den bürger¬
meisterlichen Zorn. Als die Gensdarmen in Wirklichkeit erscheinen, hat jedoch
nur Tomerl das Herz, den Einsam zu warnen und um Unterstützung desselben
zu werben. Er hat allerdings auch Ursache, dem neuen Bürgermeister zu zürnen.
Bisher lebte er in einer nur von Kindern gesegneten Ehe mit Crescenz, Elsner
droht diesen Bund gewaltsam zu sprengen, wenn sich Tomerl nicht zur kirch¬
lichen Weihe entschließe. Und um den Ehekvnsens zu erlangen, fehlt es dem
leichtsinnigen, aber unverwüstbar lustigen armen Teufel an Geld. So ist er
der natürliche Bundesgenosse des Einsam. Inzwischen besucht der Pfarrer Milde
den gestrengen Eismer in seinem Arbeitszimmer. Er wurde ja mit der Mission
betraut, den verlorenen Sohn ausfindig zu machen. Von diesem hat er allerdings
nichts weiter erfahren, als der Sohn sei verschollen. Aber eine andre Nachricht kam
dem Pfarrer zu: die Großmutter des gesuchten Sohnes, die Mutter jener ver¬
führten Juliane Auhoferin, liege im Sterben und habe ihr Erbe ganz dem Enkel
verschrieben. Nun werde man öffentlich den Erben durch eine Ausschreibung
suchen können. Eismer ist hoch erfreut darüber: er will keine Kosten scheuen,
ihn endlich zu erforschen. Nun wagt es der alte Milde, dem gestrengen Bürger¬
meister etwas mehr Vorsicht in seinen Entschlüssen anzuempfehlen: "Ja, lieber
Bürgermeister. Ihr seid zu rasch in Euern Entschlüssen, und wie mir scheinen


Neues von Anzengruber.

enthüllt hat. Eismer versucht es in Güte mit dem Sonderling. Dabei werden
wir vertrauter mit dem Charakter des Einsam. Er fühlt sich durch seinen im
Jähzorn begangenen Totschlag nicht im Gewissen bedrückt. „Versteh mich recht,
wann mer ein' in ein'in falschen Meinen aufwachsen laßt, dann kann wohl sein'
Hand und sein Sinn beim Übelthun sein, aber sein Verschulden is nit dabei;
darum was mir schwer af der Seel liegt, dös is meiner Mutter af's Gewissen
g'fallen, das hat sie vor der Zeit unter d' Erd g'bracht" — sie hatte ihn
nämlich nicht rechtzeitig über seine eigne illegitime Herkunft unterrichtet. Das
Gespräch zwischen Eismer und Einsam nimmt eine verhängnisvolle Wendung. Der
boshafte Einsam will sich nicht als Paradestück der Dressurkünste Eisners ge¬
brauchen lassen; dieser wird darob immer wilder: er droht ihm mit der Gens-
darmerie, Einsam pocht auf seinen sichern Stutzen, mit dem er sie warm
empfangen wolle. Und mit dem bittersten Hohn schleudert der „Wildling" dem
Bürgermeister die Worte ins Gesicht: „Gelt, Großlopfeter, van unbedacht um's
Leben bringen, dös is himmelschreiend, aber van verweis ins Leben rufen, dös
hält'se für g'ring? Ich stell' mer den Mon, dem ich's nit dank', daß ich da
af der Welt h'rumlauf', nit viel anders vor, wie dich, was a van d'rauf
h'rumlaufen hat, der leicht nit viel anders ausschaut, wie ich!" Nieder¬
geschmettert schreit ihm Eismer zu: „Fort — fort du — weit — aus mein'
Auga!"

Soweit der erste Akt. Im zweiten hat sich schon das Gerücht von dem
Zusammenprallen des Einsam mit Elsner verbreitet. Die Bauern schauen
neugierig beiden Parteien zu, die „Buben" singen Spottlieder auf den bürger¬
meisterlichen Zorn. Als die Gensdarmen in Wirklichkeit erscheinen, hat jedoch
nur Tomerl das Herz, den Einsam zu warnen und um Unterstützung desselben
zu werben. Er hat allerdings auch Ursache, dem neuen Bürgermeister zu zürnen.
Bisher lebte er in einer nur von Kindern gesegneten Ehe mit Crescenz, Elsner
droht diesen Bund gewaltsam zu sprengen, wenn sich Tomerl nicht zur kirch¬
lichen Weihe entschließe. Und um den Ehekvnsens zu erlangen, fehlt es dem
leichtsinnigen, aber unverwüstbar lustigen armen Teufel an Geld. So ist er
der natürliche Bundesgenosse des Einsam. Inzwischen besucht der Pfarrer Milde
den gestrengen Eismer in seinem Arbeitszimmer. Er wurde ja mit der Mission
betraut, den verlorenen Sohn ausfindig zu machen. Von diesem hat er allerdings
nichts weiter erfahren, als der Sohn sei verschollen. Aber eine andre Nachricht kam
dem Pfarrer zu: die Großmutter des gesuchten Sohnes, die Mutter jener ver¬
führten Juliane Auhoferin, liege im Sterben und habe ihr Erbe ganz dem Enkel
verschrieben. Nun werde man öffentlich den Erben durch eine Ausschreibung
suchen können. Eismer ist hoch erfreut darüber: er will keine Kosten scheuen,
ihn endlich zu erforschen. Nun wagt es der alte Milde, dem gestrengen Bürger¬
meister etwas mehr Vorsicht in seinen Entschlüssen anzuempfehlen: „Ja, lieber
Bürgermeister. Ihr seid zu rasch in Euern Entschlüssen, und wie mir scheinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/488>, abgerufen am 17.09.2024.