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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzongruber.

gutmütigen Kaplans der Erzählung, des leidenschaftlichen Entomologen, mußte
geopfert werden; dafür wurde die Kontrastfigur des ehrwürdigen Pfarrers
Milde ins Volksstück neu eingefügt und damit jede antiklerikale Spitze aus der
Handlung entfernt. Andre Nebengestalten (Tomerl) wurden reicher ausgestattet,
und mit der traurigen Liebesgeschichte Paulis, der Nichte Eisners, wurde ein
originales und ergreifendes Motiv aufgenommen.

Wie der Charakter des Bürgermeisters Eismer in "Stahl und Stein" viel
Verwandtschaft mit dem des Mcineidbauern hat, so ist auch der Bau der beiden
Stücke in vielen Beziehungen sehr ähnlich. Beide haben eine lange Vorgeschichte,
die ruckweise mit dem Fortschritte der Handlung enthüllt wird: die analytische
Methode der alten Tragiker. Erst im letzten Augenblicke fällt dem leidenschaftlich
verblendeten Helden die Binde von den Augen, und da bricht er zusammen, während
der Zuschauer gleich im Beginne der Handlung mit dem wahren Sachverhalt
ahnungsvoll vertraut gemacht wurde. Die Spannung des Zuschauers bezieht
sich daun auf den Helden, man wird neugierig, wie er sich schließlich verhalten
werde. Er wird in einem fort gewarnt, aber er rennt selbst ins Verderben,
das er vermeiden will. So beschaffen ist die Tragödie Eisners, und es ist
eine echte Tragödie.

Im ersten Akte lernen wir die Vergangenheit Eisners kennen. "Von dö
drei Brüder Elsner -- erzählt seine Nichte und Mündel Pauli ihrem traurigen
Kameraden Einsam, der im Vorbeigehen zu ihr in den Hof getreten ist -- was
da af'in Hof aufg'wachsen sein, war'n zwei Ehrenmänner, der älteste, der als
Bauer d'rauf g'sesseu is, bis zum sein Tod vor fünfthalb Jahren, und der
jüngste, mei Vater, den er als Großknecht bei casa b'halten hat, denn dö
zwoa mochten sich gut leiden. Aber casa, 'in Mittlern, der was sitzt da
aufm Anwesen sitzt, war von klvan auf nit z'traun, scheinheilig is er allweil
g'west, heilig thut er erst Neuzeit.. . . Ang'stellt hat er sich "is Pfleger bei
einem Gutsherrn^, als wär er parer der bravsten und frummsten; vor'in
Gutsbesitzer is er völlig g'krochen, hat casa 's G'sind zur fleißigen Arbeit
aufg'mahnt, niemals is er an Werktagen vom Feld oder an Surr- und Feier-
tag'n aus der Kirchen wegg'blieben, und geg'n Weibsleut' hat er g'than, als
könnt er nit bis fünfe zahl'n. Trotz seiner Unterwürfigkeit hat er aber vorerst
in sein'n Sack h'nein g'wirtschaft't, trotz'n Kirchgang war er a Leutschinder,
und dö Dirndeln af'in Hof, was ihm z' G'sicht g'standen sein, so arme Hascherln,
dö sich kaum unsern Herrgott ihr Not z'klagen traun, dö hab'n 'n von 'er
andern Seit' kennen g'lernt. So war er bis zu seiner Verheiratung. Brav
Geld hat er g'habt, wann's a nit aus sein'n Schalen war, und so konnt's ihm
nit schilt, aber hat er's schlecht g'troffen. Sei Weib war falsch und hat arg
g'wirtschaft't, viel bei Seit' g'schafft und koane Hendeln soll's just nit damit
g'füttert hab'u-- D'reussir hat er sich als van g'Schlägern" Mon aufg'spielt
und sein's Weib's Uuehr' unter d' Leut' g'tragen, und trotzdem war er selb'n


Neues von Anzongruber.

gutmütigen Kaplans der Erzählung, des leidenschaftlichen Entomologen, mußte
geopfert werden; dafür wurde die Kontrastfigur des ehrwürdigen Pfarrers
Milde ins Volksstück neu eingefügt und damit jede antiklerikale Spitze aus der
Handlung entfernt. Andre Nebengestalten (Tomerl) wurden reicher ausgestattet,
und mit der traurigen Liebesgeschichte Paulis, der Nichte Eisners, wurde ein
originales und ergreifendes Motiv aufgenommen.

Wie der Charakter des Bürgermeisters Eismer in „Stahl und Stein" viel
Verwandtschaft mit dem des Mcineidbauern hat, so ist auch der Bau der beiden
Stücke in vielen Beziehungen sehr ähnlich. Beide haben eine lange Vorgeschichte,
die ruckweise mit dem Fortschritte der Handlung enthüllt wird: die analytische
Methode der alten Tragiker. Erst im letzten Augenblicke fällt dem leidenschaftlich
verblendeten Helden die Binde von den Augen, und da bricht er zusammen, während
der Zuschauer gleich im Beginne der Handlung mit dem wahren Sachverhalt
ahnungsvoll vertraut gemacht wurde. Die Spannung des Zuschauers bezieht
sich daun auf den Helden, man wird neugierig, wie er sich schließlich verhalten
werde. Er wird in einem fort gewarnt, aber er rennt selbst ins Verderben,
das er vermeiden will. So beschaffen ist die Tragödie Eisners, und es ist
eine echte Tragödie.

Im ersten Akte lernen wir die Vergangenheit Eisners kennen. „Von dö
drei Brüder Elsner — erzählt seine Nichte und Mündel Pauli ihrem traurigen
Kameraden Einsam, der im Vorbeigehen zu ihr in den Hof getreten ist — was
da af'in Hof aufg'wachsen sein, war'n zwei Ehrenmänner, der älteste, der als
Bauer d'rauf g'sesseu is, bis zum sein Tod vor fünfthalb Jahren, und der
jüngste, mei Vater, den er als Großknecht bei casa b'halten hat, denn dö
zwoa mochten sich gut leiden. Aber casa, 'in Mittlern, der was sitzt da
aufm Anwesen sitzt, war von klvan auf nit z'traun, scheinheilig is er allweil
g'west, heilig thut er erst Neuzeit.. . . Ang'stellt hat er sich »is Pfleger bei
einem Gutsherrn^, als wär er parer der bravsten und frummsten; vor'in
Gutsbesitzer is er völlig g'krochen, hat casa 's G'sind zur fleißigen Arbeit
aufg'mahnt, niemals is er an Werktagen vom Feld oder an Surr- und Feier-
tag'n aus der Kirchen wegg'blieben, und geg'n Weibsleut' hat er g'than, als
könnt er nit bis fünfe zahl'n. Trotz seiner Unterwürfigkeit hat er aber vorerst
in sein'n Sack h'nein g'wirtschaft't, trotz'n Kirchgang war er a Leutschinder,
und dö Dirndeln af'in Hof, was ihm z' G'sicht g'standen sein, so arme Hascherln,
dö sich kaum unsern Herrgott ihr Not z'klagen traun, dö hab'n 'n von 'er
andern Seit' kennen g'lernt. So war er bis zu seiner Verheiratung. Brav
Geld hat er g'habt, wann's a nit aus sein'n Schalen war, und so konnt's ihm
nit schilt, aber hat er's schlecht g'troffen. Sei Weib war falsch und hat arg
g'wirtschaft't, viel bei Seit' g'schafft und koane Hendeln soll's just nit damit
g'füttert hab'u— D'reussir hat er sich als van g'Schlägern» Mon aufg'spielt
und sein's Weib's Uuehr' unter d' Leut' g'tragen, und trotzdem war er selb'n


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/484>, abgerufen am 17.09.2024.