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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

forscher mit seiner gesellschaftlichen Naivität steht in engster Verwandtschaft zu
den Gestalten eines Wurzclscpp oder Einsam. Dieser wenig beachtete Dr. Knorr
ist einer der interessantesten Menschen der Anzengruberschen Phantasie.

Die andre Reihe von Mcnschentypen, die wir zum rechten Verständnis des
neuesten Stückes hier hervorheben, ist die des Meineidbauer, des Dufterer, des
Eismer. In diesen Menschenbildern wird offenbar, wie die katholische Lehre der
Werkheiligkeit sich im bäuerlichen Gehirn zur Anschauung eines Geschäftes mit
dem Himmel vergröberte. Der Kreuzweghofbauer hat einen verbrecherischen
Meineid geschworen, der ihn in den Besitz eines reichen Unwesens gebracht hat.
Der Meineid drückt ihm schwer aufs Gewissen. Aber er hofft, seinen lieben
Herrgott durch gute Werke zu versöhnen. Er geht häusig in die Kirche, er
unterläßt keine Beichte, er bestimmt seinen einzigen Sohn, der leider der einzige
Mitwisser seines falschen Schwures geworden ist, für den geistlichen Stand;
der Sohn als Priester muß ihm die Absolution geben, die er vom fremden
Pfarrer zu erlangen nicht hoffen darf. Und der Meineidbauer lebt auch lange
Zeit in der Hoffnung, daß der Himmel zu seinem Thun ja sage, denn sein
Anwesen gedeiht ja zusehends, also ist der Herrgott einverstanden! Dann
allerdings fügt es die tragische Ironie, daß sich der schlaue Bauer doch ver¬
rechnet; denn der Sohn hat nicht "Latein" studirt, der Sohn will nicht auf
die Güter der Welt verzichten, will nicht geistlich werden und wird ihm auch
keine Absolution seiner Sünden verschaffen können. Das bringt die Brutalität
des Meineidbauers so weit zur Raserei, daß er seinen eignen Sohn aus der
Welt schaffen will -- eine furchtbar erschütternde Tragödie. Eine humoristische
Spielart dieses Charakters ist der dumme Heuchler Düsterer im "G'wissens-
wurm," der mit läppischen Phrasen des Glaubens seine Erbschleichern be¬
mäntelt.

Und nun treten wir endlich an das Stück "Stahl und Stein" selbst heran.
Es ist der Fabel nach die Dramatisirung einer ältern novellistischen Erzählung,
die Anzengruber in der Sammlung "Feldrain und Waldweg" (Stuttgart,
Spemannsche Sammlung) schon vor längerer Zeit veröffentlicht hat. Einzelne
Partien (z. B. die Erzählung des Einsam im dritten Akt) sind wörtlich in das
Stück herübergenommen wordeu. Allein das Stück ist doch eine wesentlich
neue Dichtung geworden, der sich die Erzählung nicht entfernt vergleichen läßt.
Hölzern und skizzenhaft erscheint die Novelle gegen das mit großer Kunst und
reicher Lebensfülle ausgeführte Drama. Wichtig ist nur. daß Anzengruber in dem
"Einsam" seiner Erzählungen den illegitimen Sohn eines katholischen Pfarrers
schilderte, und daß sich dort der unberufene Sittenrichter Elsner im Theologen-
gewande bewegte. Die politisch rücksichtsvollere Bühne konnte natürlich die Tra¬
gödie des Pfaffenkindes nicht brauchen, darum wurde Eismer im Drama zum
reformatorischen Bürgermeister umgewandelt, und diese eine Veränderung hatte
notwendigerweise einige andre zur Folge. Die rührend humoristische Figur des


Neues von Anzengruber.

forscher mit seiner gesellschaftlichen Naivität steht in engster Verwandtschaft zu
den Gestalten eines Wurzclscpp oder Einsam. Dieser wenig beachtete Dr. Knorr
ist einer der interessantesten Menschen der Anzengruberschen Phantasie.

Die andre Reihe von Mcnschentypen, die wir zum rechten Verständnis des
neuesten Stückes hier hervorheben, ist die des Meineidbauer, des Dufterer, des
Eismer. In diesen Menschenbildern wird offenbar, wie die katholische Lehre der
Werkheiligkeit sich im bäuerlichen Gehirn zur Anschauung eines Geschäftes mit
dem Himmel vergröberte. Der Kreuzweghofbauer hat einen verbrecherischen
Meineid geschworen, der ihn in den Besitz eines reichen Unwesens gebracht hat.
Der Meineid drückt ihm schwer aufs Gewissen. Aber er hofft, seinen lieben
Herrgott durch gute Werke zu versöhnen. Er geht häusig in die Kirche, er
unterläßt keine Beichte, er bestimmt seinen einzigen Sohn, der leider der einzige
Mitwisser seines falschen Schwures geworden ist, für den geistlichen Stand;
der Sohn als Priester muß ihm die Absolution geben, die er vom fremden
Pfarrer zu erlangen nicht hoffen darf. Und der Meineidbauer lebt auch lange
Zeit in der Hoffnung, daß der Himmel zu seinem Thun ja sage, denn sein
Anwesen gedeiht ja zusehends, also ist der Herrgott einverstanden! Dann
allerdings fügt es die tragische Ironie, daß sich der schlaue Bauer doch ver¬
rechnet; denn der Sohn hat nicht „Latein" studirt, der Sohn will nicht auf
die Güter der Welt verzichten, will nicht geistlich werden und wird ihm auch
keine Absolution seiner Sünden verschaffen können. Das bringt die Brutalität
des Meineidbauers so weit zur Raserei, daß er seinen eignen Sohn aus der
Welt schaffen will — eine furchtbar erschütternde Tragödie. Eine humoristische
Spielart dieses Charakters ist der dumme Heuchler Düsterer im „G'wissens-
wurm," der mit läppischen Phrasen des Glaubens seine Erbschleichern be¬
mäntelt.

Und nun treten wir endlich an das Stück „Stahl und Stein" selbst heran.
Es ist der Fabel nach die Dramatisirung einer ältern novellistischen Erzählung,
die Anzengruber in der Sammlung „Feldrain und Waldweg" (Stuttgart,
Spemannsche Sammlung) schon vor längerer Zeit veröffentlicht hat. Einzelne
Partien (z. B. die Erzählung des Einsam im dritten Akt) sind wörtlich in das
Stück herübergenommen wordeu. Allein das Stück ist doch eine wesentlich
neue Dichtung geworden, der sich die Erzählung nicht entfernt vergleichen läßt.
Hölzern und skizzenhaft erscheint die Novelle gegen das mit großer Kunst und
reicher Lebensfülle ausgeführte Drama. Wichtig ist nur. daß Anzengruber in dem
„Einsam" seiner Erzählungen den illegitimen Sohn eines katholischen Pfarrers
schilderte, und daß sich dort der unberufene Sittenrichter Elsner im Theologen-
gewande bewegte. Die politisch rücksichtsvollere Bühne konnte natürlich die Tra¬
gödie des Pfaffenkindes nicht brauchen, darum wurde Eismer im Drama zum
reformatorischen Bürgermeister umgewandelt, und diese eine Veränderung hatte
notwendigerweise einige andre zur Folge. Die rührend humoristische Figur des


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[0483] Neues von Anzengruber. forscher mit seiner gesellschaftlichen Naivität steht in engster Verwandtschaft zu den Gestalten eines Wurzclscpp oder Einsam. Dieser wenig beachtete Dr. Knorr ist einer der interessantesten Menschen der Anzengruberschen Phantasie. Die andre Reihe von Mcnschentypen, die wir zum rechten Verständnis des neuesten Stückes hier hervorheben, ist die des Meineidbauer, des Dufterer, des Eismer. In diesen Menschenbildern wird offenbar, wie die katholische Lehre der Werkheiligkeit sich im bäuerlichen Gehirn zur Anschauung eines Geschäftes mit dem Himmel vergröberte. Der Kreuzweghofbauer hat einen verbrecherischen Meineid geschworen, der ihn in den Besitz eines reichen Unwesens gebracht hat. Der Meineid drückt ihm schwer aufs Gewissen. Aber er hofft, seinen lieben Herrgott durch gute Werke zu versöhnen. Er geht häusig in die Kirche, er unterläßt keine Beichte, er bestimmt seinen einzigen Sohn, der leider der einzige Mitwisser seines falschen Schwures geworden ist, für den geistlichen Stand; der Sohn als Priester muß ihm die Absolution geben, die er vom fremden Pfarrer zu erlangen nicht hoffen darf. Und der Meineidbauer lebt auch lange Zeit in der Hoffnung, daß der Himmel zu seinem Thun ja sage, denn sein Anwesen gedeiht ja zusehends, also ist der Herrgott einverstanden! Dann allerdings fügt es die tragische Ironie, daß sich der schlaue Bauer doch ver¬ rechnet; denn der Sohn hat nicht „Latein" studirt, der Sohn will nicht auf die Güter der Welt verzichten, will nicht geistlich werden und wird ihm auch keine Absolution seiner Sünden verschaffen können. Das bringt die Brutalität des Meineidbauers so weit zur Raserei, daß er seinen eignen Sohn aus der Welt schaffen will — eine furchtbar erschütternde Tragödie. Eine humoristische Spielart dieses Charakters ist der dumme Heuchler Düsterer im „G'wissens- wurm," der mit läppischen Phrasen des Glaubens seine Erbschleichern be¬ mäntelt. Und nun treten wir endlich an das Stück „Stahl und Stein" selbst heran. Es ist der Fabel nach die Dramatisirung einer ältern novellistischen Erzählung, die Anzengruber in der Sammlung „Feldrain und Waldweg" (Stuttgart, Spemannsche Sammlung) schon vor längerer Zeit veröffentlicht hat. Einzelne Partien (z. B. die Erzählung des Einsam im dritten Akt) sind wörtlich in das Stück herübergenommen wordeu. Allein das Stück ist doch eine wesentlich neue Dichtung geworden, der sich die Erzählung nicht entfernt vergleichen läßt. Hölzern und skizzenhaft erscheint die Novelle gegen das mit großer Kunst und reicher Lebensfülle ausgeführte Drama. Wichtig ist nur. daß Anzengruber in dem „Einsam" seiner Erzählungen den illegitimen Sohn eines katholischen Pfarrers schilderte, und daß sich dort der unberufene Sittenrichter Elsner im Theologen- gewande bewegte. Die politisch rücksichtsvollere Bühne konnte natürlich die Tra¬ gödie des Pfaffenkindes nicht brauchen, darum wurde Eismer im Drama zum reformatorischen Bürgermeister umgewandelt, und diese eine Veränderung hatte notwendigerweise einige andre zur Folge. Die rührend humoristische Figur des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/483>, abgerufen am 17.09.2024.