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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

sehen hat also dnrch seine epische Produktion keineswegs Abbruch erlitten.
Gleichwohl ist diese nicht sein eigentliches Gebiet, und man kennt ihn wenig,
wenn man ihn nur als Erzähler kennt/ Es geschah auch nicht aus besondern:
innern Drange, das; sich Anzengruber als Romanschriftsteller aufthat: er ge¬
horchte mehr der Not als dem eignen Triebe. Die fatalen Wiener Theater¬
zustände legten seiner dramatischen Thätigkeit eine unfreiwillige Muße auf, die
er mit der Romanprodnktion ausfüllte. Anzengrubers Dramen sind vornehm¬
lich auf die Gniist der Wiener Bühucii angewiesen, die für den deutscheu Süden
noch immer tonangebend sind. Der Dialekt und das Lokalkolorit seiner Stücke
sind so wesentliche Eigenschaften derselben, daß kaum anzunehmen ist, diese
Bauernkomödien könnten sich anch anderswo als im deutschen Süden ein¬
bürgern. Nun aber sind die Wiener Theaterzustände seit Jahren im Rück¬
gänge begriffen. Zwei Bühnen sind durch furchtbare Brände zerstört worden,
und der Plan, sie neu aufzurichten, mußte angesichts der wirtschaftlichen Not¬
lage der Stadt, des viclbcklagtcn "Niederganges von Wien," aufgegeben werden.
Auf dem Burgtheater die Vauernloinvdien Anzcngrnbcrs aufzuführen, war nicht
bloß aus literarischen Gründen unmöglich. Bekanntlich duldet ein Hoftheater
lieber die faule Sittlichkeit eines Dumas Sohn oder Sardon, ehe es wagt,
einen katholischen Priester, sei es in humoristischem oder in satirischen Lichte,
auf seine Bretter zu bringen. Ohne diese Freiheit ist aber Anzengruber un¬
denkbar. Die andern Wiener Theater ergaben sich dem Operetteukultns mehr
oder weniger geistloser Art. Dcizn kamen noch andre Umstände, die Anzen¬
gruber von der Wiener Buhne fernhielten. Er fand keine genügende Unter¬
stützung in der Presse. Nur ein einziger Kritiker von Einsicht (Anton Bettel-
Heim) trat mit Ernst sür ihn el". Allein was vermochten die beredtesten
Feuilletons des einen gelehrten Literarhistorikers gegen die festgcschlossene Pha¬
lanx der journalistischen Clique, welche den herben dramatischen Sittenrichter
Wiens von seinein Volke fernhielt? Einflußreiche Wiener Journalisten traten
selbst unter die dramatischen Autoren: sie entdeckten eine ergiebige Goldquelle
in der Erzeugung von Operettenlibrettis und zapften sie nun fleißig an. Sie
verbanden sich mit populären Komponisten, die natürlich sehr bereitwillig diese
wertvolle Mitarbeiterschaft annahmen, und mit dem ganzen riesigen Apparat
der verbündeten Presse wurde und wird die schalste Operettenfabrikation mit
wissentlicher Unwahrheit unterstützt, zur Bereicherung einzelner Journalisten,
aber für einen Mann wie Anzengruber wurde nicht ein Finger gerührt. Schlie߬
lich überlebte sich auch dieser Sport. Die untergeordnetsten Vorstndtrezensenteu
drängten sich als Librettisten, gleich kvmpngnieweise, vor, sodaß es selbst den
bessern Journalisten in der Gesellschaft nicht mehr geheuer war. Auch das
vornehme Publikum, der wohlhabende Bürgerstand ist des schnöden Treibens
müde geworden, und nun hat man endlich -- wie unsre Leser vielleicht ans
den Tagesblättern wissen werden -- in Wien den Mut gefunden, der an die


Neues von Anzengruber.

sehen hat also dnrch seine epische Produktion keineswegs Abbruch erlitten.
Gleichwohl ist diese nicht sein eigentliches Gebiet, und man kennt ihn wenig,
wenn man ihn nur als Erzähler kennt/ Es geschah auch nicht aus besondern:
innern Drange, das; sich Anzengruber als Romanschriftsteller aufthat: er ge¬
horchte mehr der Not als dem eignen Triebe. Die fatalen Wiener Theater¬
zustände legten seiner dramatischen Thätigkeit eine unfreiwillige Muße auf, die
er mit der Romanprodnktion ausfüllte. Anzengrubers Dramen sind vornehm¬
lich auf die Gniist der Wiener Bühucii angewiesen, die für den deutscheu Süden
noch immer tonangebend sind. Der Dialekt und das Lokalkolorit seiner Stücke
sind so wesentliche Eigenschaften derselben, daß kaum anzunehmen ist, diese
Bauernkomödien könnten sich anch anderswo als im deutschen Süden ein¬
bürgern. Nun aber sind die Wiener Theaterzustände seit Jahren im Rück¬
gänge begriffen. Zwei Bühnen sind durch furchtbare Brände zerstört worden,
und der Plan, sie neu aufzurichten, mußte angesichts der wirtschaftlichen Not¬
lage der Stadt, des viclbcklagtcn „Niederganges von Wien," aufgegeben werden.
Auf dem Burgtheater die Vauernloinvdien Anzcngrnbcrs aufzuführen, war nicht
bloß aus literarischen Gründen unmöglich. Bekanntlich duldet ein Hoftheater
lieber die faule Sittlichkeit eines Dumas Sohn oder Sardon, ehe es wagt,
einen katholischen Priester, sei es in humoristischem oder in satirischen Lichte,
auf seine Bretter zu bringen. Ohne diese Freiheit ist aber Anzengruber un¬
denkbar. Die andern Wiener Theater ergaben sich dem Operetteukultns mehr
oder weniger geistloser Art. Dcizn kamen noch andre Umstände, die Anzen¬
gruber von der Wiener Buhne fernhielten. Er fand keine genügende Unter¬
stützung in der Presse. Nur ein einziger Kritiker von Einsicht (Anton Bettel-
Heim) trat mit Ernst sür ihn el». Allein was vermochten die beredtesten
Feuilletons des einen gelehrten Literarhistorikers gegen die festgcschlossene Pha¬
lanx der journalistischen Clique, welche den herben dramatischen Sittenrichter
Wiens von seinein Volke fernhielt? Einflußreiche Wiener Journalisten traten
selbst unter die dramatischen Autoren: sie entdeckten eine ergiebige Goldquelle
in der Erzeugung von Operettenlibrettis und zapften sie nun fleißig an. Sie
verbanden sich mit populären Komponisten, die natürlich sehr bereitwillig diese
wertvolle Mitarbeiterschaft annahmen, und mit dem ganzen riesigen Apparat
der verbündeten Presse wurde und wird die schalste Operettenfabrikation mit
wissentlicher Unwahrheit unterstützt, zur Bereicherung einzelner Journalisten,
aber für einen Mann wie Anzengruber wurde nicht ein Finger gerührt. Schlie߬
lich überlebte sich auch dieser Sport. Die untergeordnetsten Vorstndtrezensenteu
drängten sich als Librettisten, gleich kvmpngnieweise, vor, sodaß es selbst den
bessern Journalisten in der Gesellschaft nicht mehr geheuer war. Auch das
vornehme Publikum, der wohlhabende Bürgerstand ist des schnöden Treibens
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/480>, abgerufen am 17.09.2024.