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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die 8vel6es 6e R.ome.

noch weit in die neue Zeit hinein erstreckt: große Damen in Rom haben gern
einen Kreis genau bekannter, täglich wiederkehrender Freunde um sich und
ziehen eine derartige Unterhaltung häufig genug dem Herumjagen von einer
Gesellschaft in die andre, ja dem Auftauchen stets neuer Gesichter in ihrer Um¬
gebung vor.

Dazu kommt etwas andres. Es ist gewiß schön, eine Jungfrau, welche
die Höhe des Lebens überschritten hat und mit gereifter Erfahrung -- sagen
wir z. B. nach Erlangung einer Hofdamenpension, denn Rom ist das Paradies
der Hofdamen -- in Rom den frischen Eindruck wiedergeben zu hören, den die
Ruinen und was mit ihnen zusammenhängt, auf ihr Gemüt machen; aber
einmal hat man das auch sonst schon gehört, und dann haben die Römer
wunderbarerweise nicht die geringste Vorliebe für einzelne Damen. Es mag
das mit der barbarischen Gewohnheit zusammenhängen, Mädchen, die sich nicht
verheirateten, ins Kloster zu schicken; jedenfalls ist es Thatsache, daß man zu
der römischen Gesellschaft so gut wie niemals Damen traf, die nicht verheiratet
und nicht mehr as. ing-rito waren, ein Zustand, der übrigens -- und das
erhöht das Erstaunen der Römer über einsam in der Welt umherirrende
Damen -- bei Engländerinnen erst in vergleichsweise sehr hohem Alter und bei
Deutschen wenigstens in Rom erheblich später einzutreten pflegt als in der
Heimat.

Wer fremdes Leben mit so wenig Verständnis ansieht wie Vasili, dem sollte
man es eigentlich nicht übel nehmen, wenn er boshaften Klatsch darüber mit
besonderem Behagen verbreitet, zumal da die Richtung der modernen fran¬
zösischen Literatur ein für weitere Kreise bestimmtes Buch nur dann genießbar
erscheinen läßt, wenn es mit derjenigen Würze ausgestattet wird, welche die
Verfasser des Onevalier as?g,ublÄ8 oder der I^aisons äMAkreuses anwandten,
bis sich zuletzt ein Künstler fand, der die Sache in ein System brachte und zu
einer Familiengeschichte verarbeitete, von der wir Ausländer in unserm mangel¬
haften Verständnis für französische Vortrefflichkeit nur hoffen können, daß sie
auf Frankreich beschränkt bleiben und keine Verbreitung über dasselbe hinaus
finden möge. Man kann nicht sagen, daß Vasilis Klatschgeschichten belustigend
oder gut geschrieben wären, sie sind vielmehr so langweilig wie nur möglich,
aber sie sind so beschaffen, daß Mathilde Serao, wie Vasili S. 15 klagt, als
sie zuerst in einer Zeitschrift erschienen, sie als äiMmMon, xorn0fra,xui<z, va-
loirmis bezeichnet hat.

Die Betrübnis, die Vasili hierüber empfindet, kann man ihm nicht ver¬
übeln. Hätten die Damen der römischen Gesellschaft das übel genommen, was
er über sie geschrieben hat, so würde es ihn wahrscheinlich kalt gelassen haben --
aber Frau Serao! Um die unwiderstehliche Komik der Sache, an der mit das
Beste ist, daß wir ohne Vasilis Klage gar nicht wüßten, was Frau Serao
über ihn gesagt hat, begreifen zu können, muß man sich vergegenwärtigen,


Die 8vel6es 6e R.ome.

noch weit in die neue Zeit hinein erstreckt: große Damen in Rom haben gern
einen Kreis genau bekannter, täglich wiederkehrender Freunde um sich und
ziehen eine derartige Unterhaltung häufig genug dem Herumjagen von einer
Gesellschaft in die andre, ja dem Auftauchen stets neuer Gesichter in ihrer Um¬
gebung vor.

Dazu kommt etwas andres. Es ist gewiß schön, eine Jungfrau, welche
die Höhe des Lebens überschritten hat und mit gereifter Erfahrung — sagen
wir z. B. nach Erlangung einer Hofdamenpension, denn Rom ist das Paradies
der Hofdamen — in Rom den frischen Eindruck wiedergeben zu hören, den die
Ruinen und was mit ihnen zusammenhängt, auf ihr Gemüt machen; aber
einmal hat man das auch sonst schon gehört, und dann haben die Römer
wunderbarerweise nicht die geringste Vorliebe für einzelne Damen. Es mag
das mit der barbarischen Gewohnheit zusammenhängen, Mädchen, die sich nicht
verheirateten, ins Kloster zu schicken; jedenfalls ist es Thatsache, daß man zu
der römischen Gesellschaft so gut wie niemals Damen traf, die nicht verheiratet
und nicht mehr as. ing-rito waren, ein Zustand, der übrigens — und das
erhöht das Erstaunen der Römer über einsam in der Welt umherirrende
Damen — bei Engländerinnen erst in vergleichsweise sehr hohem Alter und bei
Deutschen wenigstens in Rom erheblich später einzutreten pflegt als in der
Heimat.

Wer fremdes Leben mit so wenig Verständnis ansieht wie Vasili, dem sollte
man es eigentlich nicht übel nehmen, wenn er boshaften Klatsch darüber mit
besonderem Behagen verbreitet, zumal da die Richtung der modernen fran¬
zösischen Literatur ein für weitere Kreise bestimmtes Buch nur dann genießbar
erscheinen läßt, wenn es mit derjenigen Würze ausgestattet wird, welche die
Verfasser des Onevalier as?g,ublÄ8 oder der I^aisons äMAkreuses anwandten,
bis sich zuletzt ein Künstler fand, der die Sache in ein System brachte und zu
einer Familiengeschichte verarbeitete, von der wir Ausländer in unserm mangel¬
haften Verständnis für französische Vortrefflichkeit nur hoffen können, daß sie
auf Frankreich beschränkt bleiben und keine Verbreitung über dasselbe hinaus
finden möge. Man kann nicht sagen, daß Vasilis Klatschgeschichten belustigend
oder gut geschrieben wären, sie sind vielmehr so langweilig wie nur möglich,
aber sie sind so beschaffen, daß Mathilde Serao, wie Vasili S. 15 klagt, als
sie zuerst in einer Zeitschrift erschienen, sie als äiMmMon, xorn0fra,xui<z, va-
loirmis bezeichnet hat.

Die Betrübnis, die Vasili hierüber empfindet, kann man ihm nicht ver¬
übeln. Hätten die Damen der römischen Gesellschaft das übel genommen, was
er über sie geschrieben hat, so würde es ihn wahrscheinlich kalt gelassen haben —
aber Frau Serao! Um die unwiderstehliche Komik der Sache, an der mit das
Beste ist, daß wir ohne Vasilis Klage gar nicht wüßten, was Frau Serao
über ihn gesagt hat, begreifen zu können, muß man sich vergegenwärtigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/478>, abgerufen am 17.09.2024.