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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

lichen Vorkommnissen selbst die für 1885/86 vollzogne" Einschreibungen
für nngiltig zu erklären und neu vornehmen zu lassen. Von einer Wirkung
dieses Schrittes war jedoch nichts zu spüren, wahrscheinlich ist er unter Nummer
so und so still in das eine und das andre der beiden Landesarchive bestattet
worden, und die Bndweiser Deutschen müssen selbst sehen, wie sie zu rechte
kommen. Jm Südwesten der Sprachinsel liegt Payreschcm mit einer dentschen
Schule, die auch drei andern Dörfern der Gegend zu Gute kommt, von denen
zwei vorwiegend von Deutschen bewohnt sind. Diese Schule war den Tschechen
schon lange ein Dorn im Auge, und dreimal bereits veranlaßten sie amtliche
Erhebungen über die Zweckmäßigkeit derselben, um sie beiseite zu schaffen. Da¬
neben arbeitet seit dem Februar v. I. eine Ortsgruppe der "Narodni Jednvta
Posnmavaska" (des tschechischen Böhmerwaldbundes), und dadurch ist hier der
nationale Friede so sehr gestört worden, daß sogar der Pfarrer von Payreschcm,
obwohl er ein Tscheche ist, sich bewogen fand, vor den Umtrieben dieser Ge¬
sellschaft zu warnen. Im Norden der Sprachinsel treffen wir auf den Markt¬
flecken Rudolfstadt mit einer deutschen Schule, die auch von den Kindern der
Dentschen in sechs Nachbarorte" besucht wird und vier Klassen hat. Die nächste
deutsche Schule befindet sich in Gutwasscr; sie hat zwei Klassen, und zu ihrem
Sprengel gehören die deutschen Bewohner von vier andern Orten der Gegend.
Beide Anstalten sind gefährdet. In Rudolfstadt hat die "Malice" (der tschechische
Schulverein) eine Schule errichtet und daneben einen Kindergarten geschaffen,
um vorzüglich die Kinder der Armen ihrer Nationalität zu entziehen. In Gnt-
wasser wirkt der Pfarrer so eifrig für das Tschechentnm, daß seine deutsche"
Pfarrkinder sich schon zweimal gezwungen sahen, gegen das Treiben dieses
würdigen Seelenhirten -- richtiger Seelenjägers -- bei der kirchlichen Ober¬
behörde Klage zu erheben und Schutz zu suche". So mußte auch der
deutsche Schulverein sich seiner Volksgenossen annehmen, nud so schuf er in
Rudolfstadt in Verbindung mit der Gemeinde einen Kindergarten, auch zahlte er
für viele arme Kinder dort und in Gutwasser das Schulgeld, während er der
Schule in Payreschcm Unterstützungen gewährte.

Erflehe man nun schon bei der Betrachtung der einzelnen von dieser segens¬
reichen Gesellschaft gegründeten oder mit Beiträgen an Geld oder Lehrmitteln
bedachten Schulen und KinderbewalMnstalten, daß sie rein abwehrende Zwecke
verfolgt, so läßt die nachstehende Zusammenstellung nicht den geringsten Zweifel
darüber mehr bestehen.

Von den siebzig Anstalten des Schulvereius in den Sudetenländern liegen
dreiundzwanzig dicht an der Sprachgrenze, und zwar mit Ausnahme von zweien
auf deren deutscher Seite, acht auf größern Sprachinseln (Rudolfstadt, Neubistritz,
Fraueuthal, Paulowitz, Wischau, Königsfeld und Lipnik) und drei (Wranowa,
Oberdorf und Bvdenbach) mitten im rein deutschen Gebiete, im ganzen also
fast die Hälfte innerhalb eines geschlossenen deutschen Gebietes. Von den


Deutsch-böhmische Briefe.

lichen Vorkommnissen selbst die für 1885/86 vollzogne» Einschreibungen
für nngiltig zu erklären und neu vornehmen zu lassen. Von einer Wirkung
dieses Schrittes war jedoch nichts zu spüren, wahrscheinlich ist er unter Nummer
so und so still in das eine und das andre der beiden Landesarchive bestattet
worden, und die Bndweiser Deutschen müssen selbst sehen, wie sie zu rechte
kommen. Jm Südwesten der Sprachinsel liegt Payreschcm mit einer dentschen
Schule, die auch drei andern Dörfern der Gegend zu Gute kommt, von denen
zwei vorwiegend von Deutschen bewohnt sind. Diese Schule war den Tschechen
schon lange ein Dorn im Auge, und dreimal bereits veranlaßten sie amtliche
Erhebungen über die Zweckmäßigkeit derselben, um sie beiseite zu schaffen. Da¬
neben arbeitet seit dem Februar v. I. eine Ortsgruppe der „Narodni Jednvta
Posnmavaska" (des tschechischen Böhmerwaldbundes), und dadurch ist hier der
nationale Friede so sehr gestört worden, daß sogar der Pfarrer von Payreschcm,
obwohl er ein Tscheche ist, sich bewogen fand, vor den Umtrieben dieser Ge¬
sellschaft zu warnen. Im Norden der Sprachinsel treffen wir auf den Markt¬
flecken Rudolfstadt mit einer deutschen Schule, die auch von den Kindern der
Dentschen in sechs Nachbarorte» besucht wird und vier Klassen hat. Die nächste
deutsche Schule befindet sich in Gutwasscr; sie hat zwei Klassen, und zu ihrem
Sprengel gehören die deutschen Bewohner von vier andern Orten der Gegend.
Beide Anstalten sind gefährdet. In Rudolfstadt hat die „Malice" (der tschechische
Schulverein) eine Schule errichtet und daneben einen Kindergarten geschaffen,
um vorzüglich die Kinder der Armen ihrer Nationalität zu entziehen. In Gnt-
wasser wirkt der Pfarrer so eifrig für das Tschechentnm, daß seine deutsche»
Pfarrkinder sich schon zweimal gezwungen sahen, gegen das Treiben dieses
würdigen Seelenhirten — richtiger Seelenjägers — bei der kirchlichen Ober¬
behörde Klage zu erheben und Schutz zu suche». So mußte auch der
deutsche Schulverein sich seiner Volksgenossen annehmen, nud so schuf er in
Rudolfstadt in Verbindung mit der Gemeinde einen Kindergarten, auch zahlte er
für viele arme Kinder dort und in Gutwasser das Schulgeld, während er der
Schule in Payreschcm Unterstützungen gewährte.

Erflehe man nun schon bei der Betrachtung der einzelnen von dieser segens¬
reichen Gesellschaft gegründeten oder mit Beiträgen an Geld oder Lehrmitteln
bedachten Schulen und KinderbewalMnstalten, daß sie rein abwehrende Zwecke
verfolgt, so läßt die nachstehende Zusammenstellung nicht den geringsten Zweifel
darüber mehr bestehen.

Von den siebzig Anstalten des Schulvereius in den Sudetenländern liegen
dreiundzwanzig dicht an der Sprachgrenze, und zwar mit Ausnahme von zweien
auf deren deutscher Seite, acht auf größern Sprachinseln (Rudolfstadt, Neubistritz,
Fraueuthal, Paulowitz, Wischau, Königsfeld und Lipnik) und drei (Wranowa,
Oberdorf und Bvdenbach) mitten im rein deutschen Gebiete, im ganzen also
fast die Hälfte innerhalb eines geschlossenen deutschen Gebietes. Von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/470>, abgerufen am 17.09.2024.