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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

groß sein, wo es gilt, das Präger Deutschtum wenigstens auf seiner jetzigen
Höhe zu erhalten; denn keine deutsche Stadt Böhmens verfügt über eine so
günstige Lage wie Prag in der Mitte des Landes, keine hat so viele geistige
Mittelpunkte für die dcutschböhmische Bevölkerung aufzuweisen, leine aber ist durch
ihre slawische Umgebung so sehr der Gefahr ausgesetzt, tschcchisirt zu werden.
Im Hinblick auf diese Umstünde mußte der deutsche Schulverein sich zu kräftiger
Unterstützung der deutschen Gemeinde in Prag entschließen, und dies ist geschehe".
Er erhält in den Ortschaften, welche die Stadt wie ein Gürtel umgeben und
in denen 9000 Deutsche leben, drei Schulen, eine in Holleschvwitz mit acht, eine
in Lieben mit fünf und eine in Werschowitz mit drei Klassen. Alle sind mit
Kindergärten verbunden, Anstalten, welche ihren Unterbau bilden, da sie die
vielfach mit Glück versuchte Entuativnalisirung der Kinder vor dem schulpflichtigen
Alter verhindern, weshalb der Verein auch den übrigen deutscheu Kindergärten
der Stadt und ihrer Vororte ansehnliche Beiträge zu ihren Ausgaben bewilligte.
Außerdem erhielten die deutschen Schulen in Karolinenthal von ihm Beisteuern
zu Schulfesten, und die dortige Oberrealschule wurde durch ihn in den Stand
gesetzt, armen Schülern Stipendien zu gewähren. Endlich wurde der deutsche
Handwerkerverein von ihm bei der Errichtung und Erhaltung seiner Fortbildungs¬
schule unterstützt, und deutsche Lehrer bekamen von ihm die Zulagen, welche ihnen
vom Gemeinderate versagt worden waren.

Wie Prag, so war auch Pilsen noch um die Mitte unsers Jahrhunderts
eine überwiegend deutsche Stadt. Jetzt hat es uicht ganz 7000 deutsche und über
31000 tschechische Einwohner. 1867 gewannen die letzter" in der Stadtvertretung
die Mehrheit, und jetzt befindet sich in derselben kein einziger Deutscher mehr.
Der nationale Charakter Pilsens wurde durch die Entwicklung der tschechischen
Industrie geändert, die hier mehr Arbeiter von ihrer Nationalität beschäftigt
als die deutsche, die indes auch nicht unbedeutend ist. Natürlich werden nun
die deutschen Arbeiterkinder durch den Umgang mit den zahlreicheren tschechischen
gerade in zartem Alter vielfach ihrem Volke entfremdet, und es giebt deren
nicht wenige, die besser tschechisch als deutsch spreche". Um solchen Verluste"
zu steuern, hat der Schulverein an der Kvpetzki-Promenade und in der Prager
Vorstadt je einen Kindergarten gegründet. Mit dem letztern ist dessen Schule
verbunden, die in vier Klassen zerfällt. Sie mußte errichtet werden, weil die
Stadtvcrtretuug die ihr vom Landesschnlrate aufgetragene Einrichtung einer
mehrklcissigen Schule für diese Gegend unterließ, und gedeiht vorzüglich, obwohl
tschechischer Pöbel die Schüler belästigte und sogar mit Steinen warf. Außer¬
dem unterhält der Verein noch eine zweiklassige Mädchenschule, die auch den
Deutschen der Nachbarorte zu Gute kommt. Die Lehrerschaften aller dieser An¬
stalten unterscheiden sich vorteilhaft von denen der andern deutschen Volksschulen
Pilsens, in dene" zahlreiche Tschechen wirken und die slawische Sache zu fördern
suchen.


Deutsch-böhmische Briefe.

groß sein, wo es gilt, das Präger Deutschtum wenigstens auf seiner jetzigen
Höhe zu erhalten; denn keine deutsche Stadt Böhmens verfügt über eine so
günstige Lage wie Prag in der Mitte des Landes, keine hat so viele geistige
Mittelpunkte für die dcutschböhmische Bevölkerung aufzuweisen, leine aber ist durch
ihre slawische Umgebung so sehr der Gefahr ausgesetzt, tschcchisirt zu werden.
Im Hinblick auf diese Umstünde mußte der deutsche Schulverein sich zu kräftiger
Unterstützung der deutschen Gemeinde in Prag entschließen, und dies ist geschehe».
Er erhält in den Ortschaften, welche die Stadt wie ein Gürtel umgeben und
in denen 9000 Deutsche leben, drei Schulen, eine in Holleschvwitz mit acht, eine
in Lieben mit fünf und eine in Werschowitz mit drei Klassen. Alle sind mit
Kindergärten verbunden, Anstalten, welche ihren Unterbau bilden, da sie die
vielfach mit Glück versuchte Entuativnalisirung der Kinder vor dem schulpflichtigen
Alter verhindern, weshalb der Verein auch den übrigen deutscheu Kindergärten
der Stadt und ihrer Vororte ansehnliche Beiträge zu ihren Ausgaben bewilligte.
Außerdem erhielten die deutschen Schulen in Karolinenthal von ihm Beisteuern
zu Schulfesten, und die dortige Oberrealschule wurde durch ihn in den Stand
gesetzt, armen Schülern Stipendien zu gewähren. Endlich wurde der deutsche
Handwerkerverein von ihm bei der Errichtung und Erhaltung seiner Fortbildungs¬
schule unterstützt, und deutsche Lehrer bekamen von ihm die Zulagen, welche ihnen
vom Gemeinderate versagt worden waren.

Wie Prag, so war auch Pilsen noch um die Mitte unsers Jahrhunderts
eine überwiegend deutsche Stadt. Jetzt hat es uicht ganz 7000 deutsche und über
31000 tschechische Einwohner. 1867 gewannen die letzter» in der Stadtvertretung
die Mehrheit, und jetzt befindet sich in derselben kein einziger Deutscher mehr.
Der nationale Charakter Pilsens wurde durch die Entwicklung der tschechischen
Industrie geändert, die hier mehr Arbeiter von ihrer Nationalität beschäftigt
als die deutsche, die indes auch nicht unbedeutend ist. Natürlich werden nun
die deutschen Arbeiterkinder durch den Umgang mit den zahlreicheren tschechischen
gerade in zartem Alter vielfach ihrem Volke entfremdet, und es giebt deren
nicht wenige, die besser tschechisch als deutsch spreche». Um solchen Verluste»
zu steuern, hat der Schulverein an der Kvpetzki-Promenade und in der Prager
Vorstadt je einen Kindergarten gegründet. Mit dem letztern ist dessen Schule
verbunden, die in vier Klassen zerfällt. Sie mußte errichtet werden, weil die
Stadtvcrtretuug die ihr vom Landesschnlrate aufgetragene Einrichtung einer
mehrklcissigen Schule für diese Gegend unterließ, und gedeiht vorzüglich, obwohl
tschechischer Pöbel die Schüler belästigte und sogar mit Steinen warf. Außer¬
dem unterhält der Verein noch eine zweiklassige Mädchenschule, die auch den
Deutschen der Nachbarorte zu Gute kommt. Die Lehrerschaften aller dieser An¬
stalten unterscheiden sich vorteilhaft von denen der andern deutschen Volksschulen
Pilsens, in dene» zahlreiche Tschechen wirken und die slawische Sache zu fördern
suchen.


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[0466] Deutsch-böhmische Briefe. groß sein, wo es gilt, das Präger Deutschtum wenigstens auf seiner jetzigen Höhe zu erhalten; denn keine deutsche Stadt Böhmens verfügt über eine so günstige Lage wie Prag in der Mitte des Landes, keine hat so viele geistige Mittelpunkte für die dcutschböhmische Bevölkerung aufzuweisen, leine aber ist durch ihre slawische Umgebung so sehr der Gefahr ausgesetzt, tschcchisirt zu werden. Im Hinblick auf diese Umstünde mußte der deutsche Schulverein sich zu kräftiger Unterstützung der deutschen Gemeinde in Prag entschließen, und dies ist geschehe». Er erhält in den Ortschaften, welche die Stadt wie ein Gürtel umgeben und in denen 9000 Deutsche leben, drei Schulen, eine in Holleschvwitz mit acht, eine in Lieben mit fünf und eine in Werschowitz mit drei Klassen. Alle sind mit Kindergärten verbunden, Anstalten, welche ihren Unterbau bilden, da sie die vielfach mit Glück versuchte Entuativnalisirung der Kinder vor dem schulpflichtigen Alter verhindern, weshalb der Verein auch den übrigen deutscheu Kindergärten der Stadt und ihrer Vororte ansehnliche Beiträge zu ihren Ausgaben bewilligte. Außerdem erhielten die deutschen Schulen in Karolinenthal von ihm Beisteuern zu Schulfesten, und die dortige Oberrealschule wurde durch ihn in den Stand gesetzt, armen Schülern Stipendien zu gewähren. Endlich wurde der deutsche Handwerkerverein von ihm bei der Errichtung und Erhaltung seiner Fortbildungs¬ schule unterstützt, und deutsche Lehrer bekamen von ihm die Zulagen, welche ihnen vom Gemeinderate versagt worden waren. Wie Prag, so war auch Pilsen noch um die Mitte unsers Jahrhunderts eine überwiegend deutsche Stadt. Jetzt hat es uicht ganz 7000 deutsche und über 31000 tschechische Einwohner. 1867 gewannen die letzter» in der Stadtvertretung die Mehrheit, und jetzt befindet sich in derselben kein einziger Deutscher mehr. Der nationale Charakter Pilsens wurde durch die Entwicklung der tschechischen Industrie geändert, die hier mehr Arbeiter von ihrer Nationalität beschäftigt als die deutsche, die indes auch nicht unbedeutend ist. Natürlich werden nun die deutschen Arbeiterkinder durch den Umgang mit den zahlreicheren tschechischen gerade in zartem Alter vielfach ihrem Volke entfremdet, und es giebt deren nicht wenige, die besser tschechisch als deutsch spreche». Um solchen Verluste» zu steuern, hat der Schulverein an der Kvpetzki-Promenade und in der Prager Vorstadt je einen Kindergarten gegründet. Mit dem letztern ist dessen Schule verbunden, die in vier Klassen zerfällt. Sie mußte errichtet werden, weil die Stadtvcrtretuug die ihr vom Landesschnlrate aufgetragene Einrichtung einer mehrklcissigen Schule für diese Gegend unterließ, und gedeiht vorzüglich, obwohl tschechischer Pöbel die Schüler belästigte und sogar mit Steinen warf. Außer¬ dem unterhält der Verein noch eine zweiklassige Mädchenschule, die auch den Deutschen der Nachbarorte zu Gute kommt. Die Lehrerschaften aller dieser An¬ stalten unterscheiden sich vorteilhaft von denen der andern deutschen Volksschulen Pilsens, in dene» zahlreiche Tschechen wirken und die slawische Sache zu fördern suchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/466>, abgerufen am 17.09.2024.