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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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und sich mit den hier befindlichen Fahrzeugen dieser Gattung zu vereinigen.
Die Ausführung eines beabsichtigten Kanals, welcher großen Kriegsschiffen die
Fahrt von Narbonne am Mittelmeer durch das Binnenland nach Bordeaux am
Atlantischen Ozean gestatten würde, liegt noch in der Ferne, sie begegnet außer¬
ordentlichen natürlichen Schwierigkeiten und würde sehr viel Geld kosten, ist
aber keineswegs ein Ding der Unmöglichkeit. Auch der Suezkanal und der,
welcher zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte Amerikas hindurchführen
und das Stille Meer mit dem Atlantischen verbinden soll, galten den Eng¬
ländern lange Zeit als Chimäre, und doch ist jener von einem Franzosen schon
vor Jahren in verhältnismäßig kurzer Frist vollendet worden und jetzt vom
lebhaftesten Verkehr erfüllt, während dieser nicht bloß in Angriff genommen ist,
sondern trotz größter Hindernisse rasche Fortschritte bis über die Hälfte seiner
Strecke hinaus gemacht hat. Aber auch ohne diesen bis jetzt nur gedachten
Kanal ist Englands Stellung zu Frankreich in den letzten Jahren militärisch
ungünstiger geworden. Dadurch, daß in dem Torpedo eine neue Waffe
zur See entstanden ist, hat sich die schon vorteilhafte geographische und stra¬
tegische Lage Frankreichs zwischen Mittelmeer und Atlantis, Großbritannien
und Ägypten mit dem nächsten Seewege nach Indien noch erheblich ver¬
bessert. Wird aber jener Austausch andrer Streitkräfte vom Mittelmeer nach
dem englischen Kanal und dem offnen Ozean und in umgekehrter Rich¬
tung einmal ermöglicht, so wird die britische Machtstellung dadurch aufs
bedenklichste beeinträchtigt sein. Mau bedenke, daß Dampfer die Strecke
von Cherbourg nach Dover in 14, die von Havre dorthin in 12, die von
Boulogne in und die von Calais in 1^ Stunden zurücklegen, und daß
die Einschiffung der Truppen und Parks eines französischen Angriffsheeres
in kürzester Frist und in größtem Maßstabe vor sich gehen kann, sodaß die
englische Küste, die am Abend noch keinen Mast und keinen Schlot der feind¬
lichen Flotte sah, diese am Morgen schon vor sich ankern und ein Heer aus¬
schiffen sehen könnte. Wenden wir schließlich die Blicke von der französischen
Grenze nordwärts, so werden an der seeartig sich erweiternden Scheldemündung
die belgischen Farben über einem Platze sichtbar, der Englands größtes
Interesse beansprucht. Es ist das gewaltige befestigte Lager von Antwerpen,
das gegenwärtig allerdings keine Bedrohung Großbritanniens ist, aber sich in
eine sehr ernste Gefahr für das Inselreich verwandelt, wenn die Belgier ge¬
zwungen werden können, Frankreichs Verbündete zu werden. Dann erscheint
das bis dahin friedfertige Rhein- und Scheldedelta augenblicklich als "erzge¬
rüstet," und die Wichtigkeit des in der englischen linken Flanke liegenden Ant¬
werpen wird gesteigert. Eine Landung von hier aus würde die im Süden
Englands zusammengezogenen Streitkräfte im Rücken fassen und die Südfront
lahmen. Schon der erste Napoleon verglich ein Antwerpen, in welchem Frank¬
reich gebiete, mit einer auf Englands Brust gerichteten Pistole, und General


und sich mit den hier befindlichen Fahrzeugen dieser Gattung zu vereinigen.
Die Ausführung eines beabsichtigten Kanals, welcher großen Kriegsschiffen die
Fahrt von Narbonne am Mittelmeer durch das Binnenland nach Bordeaux am
Atlantischen Ozean gestatten würde, liegt noch in der Ferne, sie begegnet außer¬
ordentlichen natürlichen Schwierigkeiten und würde sehr viel Geld kosten, ist
aber keineswegs ein Ding der Unmöglichkeit. Auch der Suezkanal und der,
welcher zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte Amerikas hindurchführen
und das Stille Meer mit dem Atlantischen verbinden soll, galten den Eng¬
ländern lange Zeit als Chimäre, und doch ist jener von einem Franzosen schon
vor Jahren in verhältnismäßig kurzer Frist vollendet worden und jetzt vom
lebhaftesten Verkehr erfüllt, während dieser nicht bloß in Angriff genommen ist,
sondern trotz größter Hindernisse rasche Fortschritte bis über die Hälfte seiner
Strecke hinaus gemacht hat. Aber auch ohne diesen bis jetzt nur gedachten
Kanal ist Englands Stellung zu Frankreich in den letzten Jahren militärisch
ungünstiger geworden. Dadurch, daß in dem Torpedo eine neue Waffe
zur See entstanden ist, hat sich die schon vorteilhafte geographische und stra¬
tegische Lage Frankreichs zwischen Mittelmeer und Atlantis, Großbritannien
und Ägypten mit dem nächsten Seewege nach Indien noch erheblich ver¬
bessert. Wird aber jener Austausch andrer Streitkräfte vom Mittelmeer nach
dem englischen Kanal und dem offnen Ozean und in umgekehrter Rich¬
tung einmal ermöglicht, so wird die britische Machtstellung dadurch aufs
bedenklichste beeinträchtigt sein. Mau bedenke, daß Dampfer die Strecke
von Cherbourg nach Dover in 14, die von Havre dorthin in 12, die von
Boulogne in und die von Calais in 1^ Stunden zurücklegen, und daß
die Einschiffung der Truppen und Parks eines französischen Angriffsheeres
in kürzester Frist und in größtem Maßstabe vor sich gehen kann, sodaß die
englische Küste, die am Abend noch keinen Mast und keinen Schlot der feind¬
lichen Flotte sah, diese am Morgen schon vor sich ankern und ein Heer aus¬
schiffen sehen könnte. Wenden wir schließlich die Blicke von der französischen
Grenze nordwärts, so werden an der seeartig sich erweiternden Scheldemündung
die belgischen Farben über einem Platze sichtbar, der Englands größtes
Interesse beansprucht. Es ist das gewaltige befestigte Lager von Antwerpen,
das gegenwärtig allerdings keine Bedrohung Großbritanniens ist, aber sich in
eine sehr ernste Gefahr für das Inselreich verwandelt, wenn die Belgier ge¬
zwungen werden können, Frankreichs Verbündete zu werden. Dann erscheint
das bis dahin friedfertige Rhein- und Scheldedelta augenblicklich als „erzge¬
rüstet," und die Wichtigkeit des in der englischen linken Flanke liegenden Ant¬
werpen wird gesteigert. Eine Landung von hier aus würde die im Süden
Englands zusammengezogenen Streitkräfte im Rücken fassen und die Südfront
lahmen. Schon der erste Napoleon verglich ein Antwerpen, in welchem Frank¬
reich gebiete, mit einer auf Englands Brust gerichteten Pistole, und General


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/463>, abgerufen am 17.09.2024.