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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

um die in den Forts und Batterien der Küste aufgestellten 940 schweren und
1520 leichten Geschütze wirksam zu bedienen, und von den letztern fürchtet er
im Hinblick auf einen Artikel der?loss vom 18. Juli vorigen Jahres, der
sich "über die beklagenswerten und fortgesetzten Mißerfolge des britischen Ge¬
schützwesens" verbreitete, daß sie "zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ganz ge¬
eignet sein möchten."

Die zweite Verteidigungslinie Englands -- die erste, die Kriegsflotte, soll
später besprochen werden -- wäre also nicht in befriedigenden Zustande, und
was würde nun geschehen, wenn es nach Überwindung derselben gälte, einem
Einbruch im Innern Halt zu gebieten? London, das mit seinem kolossalen
Neichtume ein verlockendes Ziel sein würde, ist nicht befestigt, und ebensowenig
sind es andre Hanptzcntren, durch deren Besetzung dem Feinde unendliches
Kapital in die Hände fallen würde. "Ferner fehlt es an einem befestigten Lager
im Binnenlande oder an einer durch die Natur aufgeworfenen, nicht zu um¬
gehenden großen Defensivposition... Ein andrer Faktor der Verteidigung end¬
lich, das zwar hochentwickelte, aber nicht in staatlicher Hand befindliche und
nicht militärisch organisirte Eisenbahnnetz, wird das nicht leisten, was man von
ihm erwartet." Man hat vorgeschlagen, London durch eine zusammenhängende
Kette von Forts verteidigungsfähig zu machen. Woher aber wollte man die
Mannschaft zur Verteidigung dieser ungeheuersten aller Festungen nehmen, die
Artilleristen, Jnfanteristen und Geniesoldaten, so lange Großbritannien seine
heutige Heeresverfassung beibehält? Um diese sehr wesentliche Frage, die doch
auf der Hand liegt, da Wälle und Schanzen sich nicht selbst verteidigen, Kanonen
sich nicht selbst laden, richten und abfeuern, und die mit einem Hinweis auf das
zwar große, aber gegen reguläre Armeen sehr wenig brauchbare Freiwilligenheer
nicht gelöst wird, hat man so wenig gedacht als an die Bildung von Armeen, die
sich in den befestigten Lagern sammeln könnten, welche man zwischen der Küste
und der Hauptstadt zu errichten vorgeschlagen hat. Viele beabsichtigte An¬
griffe auf England und Irland sind durch ungünstige Winde vereitelt worden,
einige aber sind gelungen, und das kann sich heute umso leichter wiederholen,
als die Dampfer der modernen Kriegsflotten vom Winde unabhängig sind, und
als Frankreich jetzt in Cherbourg am Ärmelkanal eine Seefeste besitzt, welche
riesige Ausdehnungen zeigt, mit allem Nötigen aufs beste ausgestattet ist und
offenbar den Zweck hat, zu gelegener Zeit den Ausgangspunkt zu einem solchen
Angriff zu bilden. Dazu treten andre befestigte Seeplätze wie Dünkirchen,
Calais, Havre und Boulogne, und dahinter liegen, durch Bahnen mit Doppel¬
gleisen mit Calais verbunden, zunächst die Festungen Se. Omer, Lille, Donay
und weiterhin Paris mit ungeheuern Hilfsmitteln, lebenden und toten, wie sie
die heutige Kriegführung bedarf. Dazu gesellt sich endlich eine Wasserrinne,
bestehend aus Flüssen und Kanälen, welche Tvrpcdogeschwadern erlaubt, vom
Mittelmeer quer durch Frankreich hindurch nach dem Ärmelmeere zu dampfen


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

um die in den Forts und Batterien der Küste aufgestellten 940 schweren und
1520 leichten Geschütze wirksam zu bedienen, und von den letztern fürchtet er
im Hinblick auf einen Artikel der?loss vom 18. Juli vorigen Jahres, der
sich „über die beklagenswerten und fortgesetzten Mißerfolge des britischen Ge¬
schützwesens" verbreitete, daß sie „zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ganz ge¬
eignet sein möchten."

Die zweite Verteidigungslinie Englands — die erste, die Kriegsflotte, soll
später besprochen werden — wäre also nicht in befriedigenden Zustande, und
was würde nun geschehen, wenn es nach Überwindung derselben gälte, einem
Einbruch im Innern Halt zu gebieten? London, das mit seinem kolossalen
Neichtume ein verlockendes Ziel sein würde, ist nicht befestigt, und ebensowenig
sind es andre Hanptzcntren, durch deren Besetzung dem Feinde unendliches
Kapital in die Hände fallen würde. „Ferner fehlt es an einem befestigten Lager
im Binnenlande oder an einer durch die Natur aufgeworfenen, nicht zu um¬
gehenden großen Defensivposition... Ein andrer Faktor der Verteidigung end¬
lich, das zwar hochentwickelte, aber nicht in staatlicher Hand befindliche und
nicht militärisch organisirte Eisenbahnnetz, wird das nicht leisten, was man von
ihm erwartet." Man hat vorgeschlagen, London durch eine zusammenhängende
Kette von Forts verteidigungsfähig zu machen. Woher aber wollte man die
Mannschaft zur Verteidigung dieser ungeheuersten aller Festungen nehmen, die
Artilleristen, Jnfanteristen und Geniesoldaten, so lange Großbritannien seine
heutige Heeresverfassung beibehält? Um diese sehr wesentliche Frage, die doch
auf der Hand liegt, da Wälle und Schanzen sich nicht selbst verteidigen, Kanonen
sich nicht selbst laden, richten und abfeuern, und die mit einem Hinweis auf das
zwar große, aber gegen reguläre Armeen sehr wenig brauchbare Freiwilligenheer
nicht gelöst wird, hat man so wenig gedacht als an die Bildung von Armeen, die
sich in den befestigten Lagern sammeln könnten, welche man zwischen der Küste
und der Hauptstadt zu errichten vorgeschlagen hat. Viele beabsichtigte An¬
griffe auf England und Irland sind durch ungünstige Winde vereitelt worden,
einige aber sind gelungen, und das kann sich heute umso leichter wiederholen,
als die Dampfer der modernen Kriegsflotten vom Winde unabhängig sind, und
als Frankreich jetzt in Cherbourg am Ärmelkanal eine Seefeste besitzt, welche
riesige Ausdehnungen zeigt, mit allem Nötigen aufs beste ausgestattet ist und
offenbar den Zweck hat, zu gelegener Zeit den Ausgangspunkt zu einem solchen
Angriff zu bilden. Dazu treten andre befestigte Seeplätze wie Dünkirchen,
Calais, Havre und Boulogne, und dahinter liegen, durch Bahnen mit Doppel¬
gleisen mit Calais verbunden, zunächst die Festungen Se. Omer, Lille, Donay
und weiterhin Paris mit ungeheuern Hilfsmitteln, lebenden und toten, wie sie
die heutige Kriegführung bedarf. Dazu gesellt sich endlich eine Wasserrinne,
bestehend aus Flüssen und Kanälen, welche Tvrpcdogeschwadern erlaubt, vom
Mittelmeer quer durch Frankreich hindurch nach dem Ärmelmeere zu dampfen


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[0462] Das britische Weltreich und seine Aussichten. um die in den Forts und Batterien der Küste aufgestellten 940 schweren und 1520 leichten Geschütze wirksam zu bedienen, und von den letztern fürchtet er im Hinblick auf einen Artikel der?loss vom 18. Juli vorigen Jahres, der sich „über die beklagenswerten und fortgesetzten Mißerfolge des britischen Ge¬ schützwesens" verbreitete, daß sie „zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ganz ge¬ eignet sein möchten." Die zweite Verteidigungslinie Englands — die erste, die Kriegsflotte, soll später besprochen werden — wäre also nicht in befriedigenden Zustande, und was würde nun geschehen, wenn es nach Überwindung derselben gälte, einem Einbruch im Innern Halt zu gebieten? London, das mit seinem kolossalen Neichtume ein verlockendes Ziel sein würde, ist nicht befestigt, und ebensowenig sind es andre Hanptzcntren, durch deren Besetzung dem Feinde unendliches Kapital in die Hände fallen würde. „Ferner fehlt es an einem befestigten Lager im Binnenlande oder an einer durch die Natur aufgeworfenen, nicht zu um¬ gehenden großen Defensivposition... Ein andrer Faktor der Verteidigung end¬ lich, das zwar hochentwickelte, aber nicht in staatlicher Hand befindliche und nicht militärisch organisirte Eisenbahnnetz, wird das nicht leisten, was man von ihm erwartet." Man hat vorgeschlagen, London durch eine zusammenhängende Kette von Forts verteidigungsfähig zu machen. Woher aber wollte man die Mannschaft zur Verteidigung dieser ungeheuersten aller Festungen nehmen, die Artilleristen, Jnfanteristen und Geniesoldaten, so lange Großbritannien seine heutige Heeresverfassung beibehält? Um diese sehr wesentliche Frage, die doch auf der Hand liegt, da Wälle und Schanzen sich nicht selbst verteidigen, Kanonen sich nicht selbst laden, richten und abfeuern, und die mit einem Hinweis auf das zwar große, aber gegen reguläre Armeen sehr wenig brauchbare Freiwilligenheer nicht gelöst wird, hat man so wenig gedacht als an die Bildung von Armeen, die sich in den befestigten Lagern sammeln könnten, welche man zwischen der Küste und der Hauptstadt zu errichten vorgeschlagen hat. Viele beabsichtigte An¬ griffe auf England und Irland sind durch ungünstige Winde vereitelt worden, einige aber sind gelungen, und das kann sich heute umso leichter wiederholen, als die Dampfer der modernen Kriegsflotten vom Winde unabhängig sind, und als Frankreich jetzt in Cherbourg am Ärmelkanal eine Seefeste besitzt, welche riesige Ausdehnungen zeigt, mit allem Nötigen aufs beste ausgestattet ist und offenbar den Zweck hat, zu gelegener Zeit den Ausgangspunkt zu einem solchen Angriff zu bilden. Dazu treten andre befestigte Seeplätze wie Dünkirchen, Calais, Havre und Boulogne, und dahinter liegen, durch Bahnen mit Doppel¬ gleisen mit Calais verbunden, zunächst die Festungen Se. Omer, Lille, Donay und weiterhin Paris mit ungeheuern Hilfsmitteln, lebenden und toten, wie sie die heutige Kriegführung bedarf. Dazu gesellt sich endlich eine Wasserrinne, bestehend aus Flüssen und Kanälen, welche Tvrpcdogeschwadern erlaubt, vom Mittelmeer quer durch Frankreich hindurch nach dem Ärmelmeere zu dampfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/462>, abgerufen am 17.09.2024.