Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

und man weiß, daß man allmählich zu der Macht erstarkt ist, welche solchem
Egoismus Schranken setzen kann. Eine geographisch-strategische Betrachtung
des englischen Imperiums möge dies klar machen. Sie wird zeigen, daß es
zwar größer als das alte römische, aber schon deshalb nicht so stark ist, weil
ihm dessen Geschlossenheit fehlt, und weil es nicht wie jenes mir von Barbaren¬
ländern umgeben ist, sondern auch Kulturstaaten zu näheren und ferneren Nach¬
barn hat, welche, allerdings vorläufig bloß zu Lande, ihm weit überlegen sind.

Betrachten wir zunächst das Land, von dem ans das britische Weltreich
sich entwickelt hat und nach dem es von seinen Grenzen aus gravitirt, das
Kern- und Mutterland zwischen der Nordsee und dem Atlantischen Meere, die
beiden Inseln Großbritannien und Irland, und versuchen wir die Frage zu be¬
antworten, ob dieses Zentrum hinreichend verwahrt und befestigt ist, um gegen
einen Angriff mit Erfolg verteidigt werden zu können. Wir beschränken uns
dabei auf die irische Küste im Süden und auf die englische im Süden und Süd¬
osten, weil hier von Frankreich her die meiste Gefahr droht. "Sechs Tage die
Herrschaft im Kanal, und am fünften werde ich in London sein," sagte Na¬
poleon 180S, und Wellington bezeichnete die Strecke von Plymouth bis zum
Washbusen als jederzeit zugänglich für einen Gegner. Auch jetzt verhält sich
das nicht viel anders. An dem über vier Grade sich ausdehnenden Südstrande
Irlands befindet sich nur ein einziger nach der Seeseite hin befestigter Ort:
Kork mit den Forts Carlisle und Camden -- eine Stellung, welche einem in
der Nähe gekanteten Feinde keinen Widerstand zu leisten vermag, da sie land¬
einwärts ohne Festungsschutz ist. Wer aber in Irland einmal festen Fuß
gefaßt hat und mit den dortigen Gegnern Englands in Verbindung ge¬
treten ist, kann bei einem Übergange nach der Hauptinsel den Georgskanal
schneiden, in dessen südöstlichen Teile nur Milfort Haven durch ein Fort ge¬
schützt ist, den Nordkanal überschreiten oder auch die Irische See kreuzen, wo
die Inseln Man und Anglesea als Brückenpfeiler dienen könnten. Richten wir
am Ärmelkanal die Blicke von Westen nach Osten, so erscheinen zunächst Fal-
mouth und Plymouth als wichtige Kriegshafen, von denen der letzgenannte
durch das Fort Brecckmater und drei Batterien mit zusammen sechsundzwanzig
schweren Geschützen verteidigt wird. Achtzig Kilometer weiter folgt der ausge¬
zeichnete Hafen Portland mit zwei Forts, die mit achtzehn Kanonen ausgerüstet
sind. Wieder hundertzwölf Kilometer östlicher liegt Portsmouth, eine Seefeste
ersten Ranges, deren Rhede, durch die Insel Wight und die Halbinsel Gosport
geschützt, die gesamte englische Kriegsflotte aufnehmen könnte und in der sich
ungeheure Docks, Werften und Magazine befinden. Wight wird von einem
Fort mit acht Geschützen, Portsmouth selbst durch die sechs Außcnfvrts Gil-
kiker Battcry mit vier, Horse Land mit fünfundzwanzig, Nomansland ebenfalls
und fünfundzwanzig, Spie Bank mit neun, Se. Helens mit zwei und Harfe
Cattle mit fünf Geschützen verteidigt, die durch einen Schienenstrang allein-


und man weiß, daß man allmählich zu der Macht erstarkt ist, welche solchem
Egoismus Schranken setzen kann. Eine geographisch-strategische Betrachtung
des englischen Imperiums möge dies klar machen. Sie wird zeigen, daß es
zwar größer als das alte römische, aber schon deshalb nicht so stark ist, weil
ihm dessen Geschlossenheit fehlt, und weil es nicht wie jenes mir von Barbaren¬
ländern umgeben ist, sondern auch Kulturstaaten zu näheren und ferneren Nach¬
barn hat, welche, allerdings vorläufig bloß zu Lande, ihm weit überlegen sind.

Betrachten wir zunächst das Land, von dem ans das britische Weltreich
sich entwickelt hat und nach dem es von seinen Grenzen aus gravitirt, das
Kern- und Mutterland zwischen der Nordsee und dem Atlantischen Meere, die
beiden Inseln Großbritannien und Irland, und versuchen wir die Frage zu be¬
antworten, ob dieses Zentrum hinreichend verwahrt und befestigt ist, um gegen
einen Angriff mit Erfolg verteidigt werden zu können. Wir beschränken uns
dabei auf die irische Küste im Süden und auf die englische im Süden und Süd¬
osten, weil hier von Frankreich her die meiste Gefahr droht. „Sechs Tage die
Herrschaft im Kanal, und am fünften werde ich in London sein," sagte Na¬
poleon 180S, und Wellington bezeichnete die Strecke von Plymouth bis zum
Washbusen als jederzeit zugänglich für einen Gegner. Auch jetzt verhält sich
das nicht viel anders. An dem über vier Grade sich ausdehnenden Südstrande
Irlands befindet sich nur ein einziger nach der Seeseite hin befestigter Ort:
Kork mit den Forts Carlisle und Camden — eine Stellung, welche einem in
der Nähe gekanteten Feinde keinen Widerstand zu leisten vermag, da sie land¬
einwärts ohne Festungsschutz ist. Wer aber in Irland einmal festen Fuß
gefaßt hat und mit den dortigen Gegnern Englands in Verbindung ge¬
treten ist, kann bei einem Übergange nach der Hauptinsel den Georgskanal
schneiden, in dessen südöstlichen Teile nur Milfort Haven durch ein Fort ge¬
schützt ist, den Nordkanal überschreiten oder auch die Irische See kreuzen, wo
die Inseln Man und Anglesea als Brückenpfeiler dienen könnten. Richten wir
am Ärmelkanal die Blicke von Westen nach Osten, so erscheinen zunächst Fal-
mouth und Plymouth als wichtige Kriegshafen, von denen der letzgenannte
durch das Fort Brecckmater und drei Batterien mit zusammen sechsundzwanzig
schweren Geschützen verteidigt wird. Achtzig Kilometer weiter folgt der ausge¬
zeichnete Hafen Portland mit zwei Forts, die mit achtzehn Kanonen ausgerüstet
sind. Wieder hundertzwölf Kilometer östlicher liegt Portsmouth, eine Seefeste
ersten Ranges, deren Rhede, durch die Insel Wight und die Halbinsel Gosport
geschützt, die gesamte englische Kriegsflotte aufnehmen könnte und in der sich
ungeheure Docks, Werften und Magazine befinden. Wight wird von einem
Fort mit acht Geschützen, Portsmouth selbst durch die sechs Außcnfvrts Gil-
kiker Battcry mit vier, Horse Land mit fünfundzwanzig, Nomansland ebenfalls
und fünfundzwanzig, Spie Bank mit neun, Se. Helens mit zwei und Harfe
Cattle mit fünf Geschützen verteidigt, die durch einen Schienenstrang allein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288913"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> und man weiß, daß man allmählich zu der Macht erstarkt ist, welche solchem<lb/>
Egoismus Schranken setzen kann. Eine geographisch-strategische Betrachtung<lb/>
des englischen Imperiums möge dies klar machen. Sie wird zeigen, daß es<lb/>
zwar größer als das alte römische, aber schon deshalb nicht so stark ist, weil<lb/>
ihm dessen Geschlossenheit fehlt, und weil es nicht wie jenes mir von Barbaren¬<lb/>
ländern umgeben ist, sondern auch Kulturstaaten zu näheren und ferneren Nach¬<lb/>
barn hat, welche, allerdings vorläufig bloß zu Lande, ihm weit überlegen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Betrachten wir zunächst das Land, von dem ans das britische Weltreich<lb/>
sich entwickelt hat und nach dem es von seinen Grenzen aus gravitirt, das<lb/>
Kern- und Mutterland zwischen der Nordsee und dem Atlantischen Meere, die<lb/>
beiden Inseln Großbritannien und Irland, und versuchen wir die Frage zu be¬<lb/>
antworten, ob dieses Zentrum hinreichend verwahrt und befestigt ist, um gegen<lb/>
einen Angriff mit Erfolg verteidigt werden zu können. Wir beschränken uns<lb/>
dabei auf die irische Küste im Süden und auf die englische im Süden und Süd¬<lb/>
osten, weil hier von Frankreich her die meiste Gefahr droht. &#x201E;Sechs Tage die<lb/>
Herrschaft im Kanal, und am fünften werde ich in London sein," sagte Na¬<lb/>
poleon 180S, und Wellington bezeichnete die Strecke von Plymouth bis zum<lb/>
Washbusen als jederzeit zugänglich für einen Gegner. Auch jetzt verhält sich<lb/>
das nicht viel anders. An dem über vier Grade sich ausdehnenden Südstrande<lb/>
Irlands befindet sich nur ein einziger nach der Seeseite hin befestigter Ort:<lb/>
Kork mit den Forts Carlisle und Camden &#x2014; eine Stellung, welche einem in<lb/>
der Nähe gekanteten Feinde keinen Widerstand zu leisten vermag, da sie land¬<lb/>
einwärts ohne Festungsschutz ist. Wer aber in Irland einmal festen Fuß<lb/>
gefaßt hat und mit den dortigen Gegnern Englands in Verbindung ge¬<lb/>
treten ist, kann bei einem Übergange nach der Hauptinsel den Georgskanal<lb/>
schneiden, in dessen südöstlichen Teile nur Milfort Haven durch ein Fort ge¬<lb/>
schützt ist, den Nordkanal überschreiten oder auch die Irische See kreuzen, wo<lb/>
die Inseln Man und Anglesea als Brückenpfeiler dienen könnten. Richten wir<lb/>
am Ärmelkanal die Blicke von Westen nach Osten, so erscheinen zunächst Fal-<lb/>
mouth und Plymouth als wichtige Kriegshafen, von denen der letzgenannte<lb/>
durch das Fort Brecckmater und drei Batterien mit zusammen sechsundzwanzig<lb/>
schweren Geschützen verteidigt wird. Achtzig Kilometer weiter folgt der ausge¬<lb/>
zeichnete Hafen Portland mit zwei Forts, die mit achtzehn Kanonen ausgerüstet<lb/>
sind. Wieder hundertzwölf Kilometer östlicher liegt Portsmouth, eine Seefeste<lb/>
ersten Ranges, deren Rhede, durch die Insel Wight und die Halbinsel Gosport<lb/>
geschützt, die gesamte englische Kriegsflotte aufnehmen könnte und in der sich<lb/>
ungeheure Docks, Werften und Magazine befinden. Wight wird von einem<lb/>
Fort mit acht Geschützen, Portsmouth selbst durch die sechs Außcnfvrts Gil-<lb/>
kiker Battcry mit vier, Horse Land mit fünfundzwanzig, Nomansland ebenfalls<lb/>
und fünfundzwanzig, Spie Bank mit neun, Se. Helens mit zwei und Harfe<lb/>
Cattle mit fünf Geschützen verteidigt, die durch einen Schienenstrang allein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0460] und man weiß, daß man allmählich zu der Macht erstarkt ist, welche solchem Egoismus Schranken setzen kann. Eine geographisch-strategische Betrachtung des englischen Imperiums möge dies klar machen. Sie wird zeigen, daß es zwar größer als das alte römische, aber schon deshalb nicht so stark ist, weil ihm dessen Geschlossenheit fehlt, und weil es nicht wie jenes mir von Barbaren¬ ländern umgeben ist, sondern auch Kulturstaaten zu näheren und ferneren Nach¬ barn hat, welche, allerdings vorläufig bloß zu Lande, ihm weit überlegen sind. Betrachten wir zunächst das Land, von dem ans das britische Weltreich sich entwickelt hat und nach dem es von seinen Grenzen aus gravitirt, das Kern- und Mutterland zwischen der Nordsee und dem Atlantischen Meere, die beiden Inseln Großbritannien und Irland, und versuchen wir die Frage zu be¬ antworten, ob dieses Zentrum hinreichend verwahrt und befestigt ist, um gegen einen Angriff mit Erfolg verteidigt werden zu können. Wir beschränken uns dabei auf die irische Küste im Süden und auf die englische im Süden und Süd¬ osten, weil hier von Frankreich her die meiste Gefahr droht. „Sechs Tage die Herrschaft im Kanal, und am fünften werde ich in London sein," sagte Na¬ poleon 180S, und Wellington bezeichnete die Strecke von Plymouth bis zum Washbusen als jederzeit zugänglich für einen Gegner. Auch jetzt verhält sich das nicht viel anders. An dem über vier Grade sich ausdehnenden Südstrande Irlands befindet sich nur ein einziger nach der Seeseite hin befestigter Ort: Kork mit den Forts Carlisle und Camden — eine Stellung, welche einem in der Nähe gekanteten Feinde keinen Widerstand zu leisten vermag, da sie land¬ einwärts ohne Festungsschutz ist. Wer aber in Irland einmal festen Fuß gefaßt hat und mit den dortigen Gegnern Englands in Verbindung ge¬ treten ist, kann bei einem Übergange nach der Hauptinsel den Georgskanal schneiden, in dessen südöstlichen Teile nur Milfort Haven durch ein Fort ge¬ schützt ist, den Nordkanal überschreiten oder auch die Irische See kreuzen, wo die Inseln Man und Anglesea als Brückenpfeiler dienen könnten. Richten wir am Ärmelkanal die Blicke von Westen nach Osten, so erscheinen zunächst Fal- mouth und Plymouth als wichtige Kriegshafen, von denen der letzgenannte durch das Fort Brecckmater und drei Batterien mit zusammen sechsundzwanzig schweren Geschützen verteidigt wird. Achtzig Kilometer weiter folgt der ausge¬ zeichnete Hafen Portland mit zwei Forts, die mit achtzehn Kanonen ausgerüstet sind. Wieder hundertzwölf Kilometer östlicher liegt Portsmouth, eine Seefeste ersten Ranges, deren Rhede, durch die Insel Wight und die Halbinsel Gosport geschützt, die gesamte englische Kriegsflotte aufnehmen könnte und in der sich ungeheure Docks, Werften und Magazine befinden. Wight wird von einem Fort mit acht Geschützen, Portsmouth selbst durch die sechs Außcnfvrts Gil- kiker Battcry mit vier, Horse Land mit fünfundzwanzig, Nomansland ebenfalls und fünfundzwanzig, Spie Bank mit neun, Se. Helens mit zwei und Harfe Cattle mit fünf Geschützen verteidigt, die durch einen Schienenstrang allein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/460
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/460>, abgerufen am 17.09.2024.