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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizze",

doch nur selten erinnern. Ist der Vertrag zur Zufriedenheit des Rosse-
leukers geschlossen, dann strahlt sein Gesicht, er sagt verbindlich: "Choroscb/,
pojvdem" (wir werden gut fahre") und treibt sein Rößlein zu schnellem Lauf.
So sind sie alles in allem echte Vertreter ihres Volkes, dessen gute Seite"
auch der Fremde bald erkennt und lieb gewinnt; sie fahren billig und teuer,
ganz nachdem der Fahrgast zu handeln versteht -- und das versteht jeder
Petersburger -- immer sicher, auch in nächtlicher Schwärze, immer in scharfem
Trabe, auch auf dem schlechtesten Pflaster und durch die größte Pfütze. Es
soll ihrer 9--10 000 geben, was durchaus glaublich erscheint, denn sie be¬
herrschen den Straßenverkehr in erster Linie. So schießen sie oft in fast un¬
unterbrochenen, langen Reihen ans den Hauptstraßen dahin, vereinzelt neben
ihnen auch "Karety," geschlossene Landauer, und -- im Sommer freilich selten --
elegante herrschaftliche Equipage" oder Trojkas (Dreigespanne). Dazwischen
drängen sich lange Reihen plumper einspänniger Frachtfuhrwerke, das Pferd
in der Gabel und unter einer bunt-, meist grün oder rot bemalten Duga,
der Kutscher in hohen Stiefeln und im nationalen roten Hemd, das er
über den Beinkleidern trägt, oder ein vierspänniger Packetpvstwagen teilt das
Gewühl, oder im schärfsten Trabe saust ein Zug Feuerwehr daher. Sie gehört
sicher zu den stärksten und bestvrgnnisirten Europas. Eine eben damals ab¬
gehaltene Parade vor dem Erzherzog Karl Ludwig auf dein Schloßplatze
(t0. August) machte einen ganz militärische" Eindruck. Jeder Zug, mit dem
Namen des Stadtteils bezeichnet, geführt von seinem berittenen Chef, bestand
aus vier Wagen, dem vierspännigen Mannschaftswagen, dessen Pferde alle
nebeneinander gespannt sind, zwei Zubringern und eiuer Spritze, dazu tamen "och
große Dampfspritze". Alles i" allem wäre" es wohl hundert Fahrzeuge, bedient
von mehreren hundert Leuten in grauer Uniform und Messinghelmen römischer
Form. Selbstverständlich fehlt hente auch in den Straßen Petersburgs das
ganz moderne, internationale Verkehrsmittel nicht, die Pferdebahn, kurzweg
"Koula" (Abkürzung statt "Konnvsheljesnaja Doroga") mit ihrer vielleicht noch
mehr entwickelten Schwester, der Dampfstraßenbahn, die den äußern Newskij
befährt. Ihre Linien führen durch alle Teile der Stadt, sehr verschieden in
ihrer Ausstattung, bald elegant, bald auch unsauber und wenig einladend, aber
sie fahren gut und zu außerordentlich billigen Preisen (meist 4 Kopeken 7 bis
8 Pfennig).

Die Menschen, die zu Fuß und Wagen sich einher bewegen, tragen in
ihrer Mehrzahl, soweit sie den gebildeten Ständen angehören, natürlich die
Tracht des gebildeten Europäers. Geistliche, Pope" und Mouche, jene kenntlich
an ihrem langen Kaftan und dem breitkrempigen, schwarzen Seidenhut, diese
im schwarzen Tcilar mit hoher, schirmlvser, schwarzer Filzkappe, begegnen trotz
ihrer großen Zahl nicht so oft, umso häufiger Militärs oder wenigstens
uniformiren Leute, die in Petersburg überaus zahlreich sein müssen; selbst Stil-


Russische Skizze»,

doch nur selten erinnern. Ist der Vertrag zur Zufriedenheit des Rosse-
leukers geschlossen, dann strahlt sein Gesicht, er sagt verbindlich: „Choroscb/,
pojvdem" (wir werden gut fahre») und treibt sein Rößlein zu schnellem Lauf.
So sind sie alles in allem echte Vertreter ihres Volkes, dessen gute Seite»
auch der Fremde bald erkennt und lieb gewinnt; sie fahren billig und teuer,
ganz nachdem der Fahrgast zu handeln versteht — und das versteht jeder
Petersburger — immer sicher, auch in nächtlicher Schwärze, immer in scharfem
Trabe, auch auf dem schlechtesten Pflaster und durch die größte Pfütze. Es
soll ihrer 9—10 000 geben, was durchaus glaublich erscheint, denn sie be¬
herrschen den Straßenverkehr in erster Linie. So schießen sie oft in fast un¬
unterbrochenen, langen Reihen ans den Hauptstraßen dahin, vereinzelt neben
ihnen auch „Karety," geschlossene Landauer, und — im Sommer freilich selten —
elegante herrschaftliche Equipage» oder Trojkas (Dreigespanne). Dazwischen
drängen sich lange Reihen plumper einspänniger Frachtfuhrwerke, das Pferd
in der Gabel und unter einer bunt-, meist grün oder rot bemalten Duga,
der Kutscher in hohen Stiefeln und im nationalen roten Hemd, das er
über den Beinkleidern trägt, oder ein vierspänniger Packetpvstwagen teilt das
Gewühl, oder im schärfsten Trabe saust ein Zug Feuerwehr daher. Sie gehört
sicher zu den stärksten und bestvrgnnisirten Europas. Eine eben damals ab¬
gehaltene Parade vor dem Erzherzog Karl Ludwig auf dein Schloßplatze
(t0. August) machte einen ganz militärische» Eindruck. Jeder Zug, mit dem
Namen des Stadtteils bezeichnet, geführt von seinem berittenen Chef, bestand
aus vier Wagen, dem vierspännigen Mannschaftswagen, dessen Pferde alle
nebeneinander gespannt sind, zwei Zubringern und eiuer Spritze, dazu tamen »och
große Dampfspritze». Alles i» allem wäre» es wohl hundert Fahrzeuge, bedient
von mehreren hundert Leuten in grauer Uniform und Messinghelmen römischer
Form. Selbstverständlich fehlt hente auch in den Straßen Petersburgs das
ganz moderne, internationale Verkehrsmittel nicht, die Pferdebahn, kurzweg
„Koula" (Abkürzung statt „Konnvsheljesnaja Doroga") mit ihrer vielleicht noch
mehr entwickelten Schwester, der Dampfstraßenbahn, die den äußern Newskij
befährt. Ihre Linien führen durch alle Teile der Stadt, sehr verschieden in
ihrer Ausstattung, bald elegant, bald auch unsauber und wenig einladend, aber
sie fahren gut und zu außerordentlich billigen Preisen (meist 4 Kopeken 7 bis
8 Pfennig).

Die Menschen, die zu Fuß und Wagen sich einher bewegen, tragen in
ihrer Mehrzahl, soweit sie den gebildeten Ständen angehören, natürlich die
Tracht des gebildeten Europäers. Geistliche, Pope» und Mouche, jene kenntlich
an ihrem langen Kaftan und dem breitkrempigen, schwarzen Seidenhut, diese
im schwarzen Tcilar mit hoher, schirmlvser, schwarzer Filzkappe, begegnen trotz
ihrer großen Zahl nicht so oft, umso häufiger Militärs oder wenigstens
uniformiren Leute, die in Petersburg überaus zahlreich sein müssen; selbst Stil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/445>, abgerufen am 17.09.2024.