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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Tonleiter im Musikunterricht.

der eingeborne Sinn für das musikalisch Nichtige und Schöne unfehlbar aus
seiner Schlummertiefe heraufgeholt werden zu eigner froher Arbeit. Oder
-- fällt mir eben ein -- macht mein's nicht etwa schon so? Ich möchte mich
fast wundern, wenn's nicht schon so gemacht würde, wovon doch nie etwas an
mich gekommen ist.

Halt! Da fehlt doch noch die Tonleiter in absteigender Bewegung, die
man ja der aufsteigenden im Unterricht folgen läßt. Nun, die alte Tonleiter
ist da eben so lahm und ein rhythmisches Nichts wie in ihrem Aufsteigen, für
die andre aber bietet sich mir von jeher folgende Form dar:



d. h. der schließende Grundton wird zur Herstellung seiner höhern Kraft mit
Übergriff in die untere Oktave und Wiederholung verstärkt, wodurch ihm zu¬
gleich die richtige Schlußstelle zufällt, wie bei der aufsteigenden Bewegung. Ich
nenne das für mich gern eine Schleife, um die Bewegung in ihrer Verschlingung
zu bezeichnen. Möglich wäre übrigens auch eine der vorgeschlagenen aufsteigenden
Tonleiter nachgebildete Bewegung der Töne (wie man umgekehrt auch die auf¬
steigende der vorgeschlagenen absteigenden ähnlich gestalten kann), aber die an¬
gegebene Gestalt sagt meinem Ohr mehr zu.

Was aber zu solchem Laienvorschlag die Herren Musiker zu sagen haben?
Ich möchte es schon wissen. Vielleicht kommen Gegenäußcrungen gleich in diesen
Blättern. Ich denke dabei nicht bloß an die armen Schüler, denen ihr rhythmisches
Naturgefühl, diese eine Grundlage alles Tonwesens, gleich im ersten freudigen
Anlauf zertreten wird, statt gepflanzt und gepflegt zu werden, sondern auch an
die Lehrer. Wie sie die musikalische Quälung nur aushalten, die sie sich da
im Schlendrian der Überlieferung getreulich fort und fort selbst auferlegen? sie,
deren ganze Seele doch in ihrem musikalischen Grunde aus rhythmischem Leben
und Bedürfnis bestehen muß?




Die Tonleiter im Musikunterricht.

der eingeborne Sinn für das musikalisch Nichtige und Schöne unfehlbar aus
seiner Schlummertiefe heraufgeholt werden zu eigner froher Arbeit. Oder
— fällt mir eben ein — macht mein's nicht etwa schon so? Ich möchte mich
fast wundern, wenn's nicht schon so gemacht würde, wovon doch nie etwas an
mich gekommen ist.

Halt! Da fehlt doch noch die Tonleiter in absteigender Bewegung, die
man ja der aufsteigenden im Unterricht folgen läßt. Nun, die alte Tonleiter
ist da eben so lahm und ein rhythmisches Nichts wie in ihrem Aufsteigen, für
die andre aber bietet sich mir von jeher folgende Form dar:



d. h. der schließende Grundton wird zur Herstellung seiner höhern Kraft mit
Übergriff in die untere Oktave und Wiederholung verstärkt, wodurch ihm zu¬
gleich die richtige Schlußstelle zufällt, wie bei der aufsteigenden Bewegung. Ich
nenne das für mich gern eine Schleife, um die Bewegung in ihrer Verschlingung
zu bezeichnen. Möglich wäre übrigens auch eine der vorgeschlagenen aufsteigenden
Tonleiter nachgebildete Bewegung der Töne (wie man umgekehrt auch die auf¬
steigende der vorgeschlagenen absteigenden ähnlich gestalten kann), aber die an¬
gegebene Gestalt sagt meinem Ohr mehr zu.

Was aber zu solchem Laienvorschlag die Herren Musiker zu sagen haben?
Ich möchte es schon wissen. Vielleicht kommen Gegenäußcrungen gleich in diesen
Blättern. Ich denke dabei nicht bloß an die armen Schüler, denen ihr rhythmisches
Naturgefühl, diese eine Grundlage alles Tonwesens, gleich im ersten freudigen
Anlauf zertreten wird, statt gepflanzt und gepflegt zu werden, sondern auch an
die Lehrer. Wie sie die musikalische Quälung nur aushalten, die sie sich da
im Schlendrian der Überlieferung getreulich fort und fort selbst auferlegen? sie,
deren ganze Seele doch in ihrem musikalischen Grunde aus rhythmischem Leben
und Bedürfnis bestehen muß?




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[0442] Die Tonleiter im Musikunterricht. der eingeborne Sinn für das musikalisch Nichtige und Schöne unfehlbar aus seiner Schlummertiefe heraufgeholt werden zu eigner froher Arbeit. Oder — fällt mir eben ein — macht mein's nicht etwa schon so? Ich möchte mich fast wundern, wenn's nicht schon so gemacht würde, wovon doch nie etwas an mich gekommen ist. Halt! Da fehlt doch noch die Tonleiter in absteigender Bewegung, die man ja der aufsteigenden im Unterricht folgen läßt. Nun, die alte Tonleiter ist da eben so lahm und ein rhythmisches Nichts wie in ihrem Aufsteigen, für die andre aber bietet sich mir von jeher folgende Form dar: [Abbildung] d. h. der schließende Grundton wird zur Herstellung seiner höhern Kraft mit Übergriff in die untere Oktave und Wiederholung verstärkt, wodurch ihm zu¬ gleich die richtige Schlußstelle zufällt, wie bei der aufsteigenden Bewegung. Ich nenne das für mich gern eine Schleife, um die Bewegung in ihrer Verschlingung zu bezeichnen. Möglich wäre übrigens auch eine der vorgeschlagenen aufsteigenden Tonleiter nachgebildete Bewegung der Töne (wie man umgekehrt auch die auf¬ steigende der vorgeschlagenen absteigenden ähnlich gestalten kann), aber die an¬ gegebene Gestalt sagt meinem Ohr mehr zu. Was aber zu solchem Laienvorschlag die Herren Musiker zu sagen haben? Ich möchte es schon wissen. Vielleicht kommen Gegenäußcrungen gleich in diesen Blättern. Ich denke dabei nicht bloß an die armen Schüler, denen ihr rhythmisches Naturgefühl, diese eine Grundlage alles Tonwesens, gleich im ersten freudigen Anlauf zertreten wird, statt gepflanzt und gepflegt zu werden, sondern auch an die Lehrer. Wie sie die musikalische Quälung nur aushalten, die sie sich da im Schlendrian der Überlieferung getreulich fort und fort selbst auferlegen? sie, deren ganze Seele doch in ihrem musikalischen Grunde aus rhythmischem Leben und Bedürfnis bestehen muß?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/442>, abgerufen am 17.09.2024.