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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoolen,

tende Phantasie. Vornehmlich an das "junge Deutschland" gemahnt hier die
halb spöttische, halb tragische Andichtuug der eignen Persönlichkeit. Er ist
der Eidervogel, der nordische Pelikan, der sich selber für andre die Federn aus
der Brust rupft; der Reiter, der jede Nacht in die nordische Heimat reitet.
Seine Figuren sind angeschossene Wildenten, oder sie wünschen sich ein "kluger
Hund" zu sein. Ironisch überlegene Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft
und eine das "junge Deutschland" noch überbietende krampfhafte Neigung zum
Floskel- und Zitatenwesen einer modischen Leserci, die im "Wissenschaftlicher"
auf die trivialsten Quellen (Beckers Weltgeschichte) deutet, vervollständigen
das Bild. Damit steht im engsten Zusammenhange eine auf die Dauer ganz
unerträgliche uneigentliche Sprechweise, die einer Person des Dichters selbst
einmal die Meinung entlockt: "Es war, als wenn er die ganze Zeit etwas
andres meinte, als was er sagte." Was er aber meinte, erklärt sie nicht zu
wissen, und man kann sich dem oft anschließen, nur mit dem Gefühle, daß es
meist nicht der Nachfrage lohnt. Der Übersetzer der nicht zahlreichen lyrischen
Gedichte hat dem mitunter durch Anmerkungen, wie etwa: "Dies sind des
Dichters Gedanken und Phantasien" (eine beschwingte Kinderschar!) abgeholfen,
welche seltsam an die Zeit der Allongeperücken und der klassischen Gelehrtheit
erinnern. Und wir sind ja wirklich in ähnlichem Falle, nur daß unsre Homer,
Virgil, Horaz Shakespeare, Schiller und Goethe, unsre Plato, Cicero, Seneca
je nach der Individualität Spinoza, Kant, Hegel oder wie gegenwärtig -- leider --
Darwin nud Schopenhauer heißen. Nun ist auch in dieser Beziehung Ibsen
ein ganz besonders krasser Ausdruck der Zeit, und zwar vornehmlich durch diese
Sucht, möglichst "aktuell gebildet" zu scheinen, gruselige Schlagworte der Natur-
forschung geheimnisvoll im Munde zu führen und daran ebenso breite als leere
Betrachtungen zu knüpfen, in denen der wissenschaftliche Kannegießer dem
Menschen selbstgefällig über die Schulter sieht.

Wir würden auch den deutschen Leser sicherlich nicht so lange bei dein poetischen
Norweger, in dem er lange überwundne durchaus nicht so holde Jugeudeseleieu
modernisirt zurückerhält, unterhalten oder vielmehr aufgehalten haben, wenn er
ihm nicht zu so weiten und zu so nachdenklichen Betrachtungen Anlaß böte. Die
uüchstliegende betrüfe natürlich die alte Erfahrung, in welchem Mißverhältnis hier
wieder einmal die wirkliche Beschaffenheit eines pomphaft angekündigten aus¬
ländischen Fabrikats zu den Erwartungen steht, die man in Deutschland gleich
davon zu hegen geneigt ist. Da wird gleich von einer Reform der Bühne, von
einer Wiedereinsetzung des Ernstes auf derselben geredet, ja die kühnsten Träume
von einer "Zukunftspoesie" daran geknüpft. Während man damit doch bloß dem
schlechten Spaße und der beschränkten Trivialität in die Hände arbeitet, die sich
nnn ins Fäustchen lachen können und triumphirend sticheln: Seht, da habt
ihr's! da ist eure vielgerühmte "Poesie." Während man doch damit die
wenigen redlich an sich arbeitenden wirklichen Dichter bloß ärgert, wenn sie


Zukunftspoolen,

tende Phantasie. Vornehmlich an das „junge Deutschland" gemahnt hier die
halb spöttische, halb tragische Andichtuug der eignen Persönlichkeit. Er ist
der Eidervogel, der nordische Pelikan, der sich selber für andre die Federn aus
der Brust rupft; der Reiter, der jede Nacht in die nordische Heimat reitet.
Seine Figuren sind angeschossene Wildenten, oder sie wünschen sich ein „kluger
Hund" zu sein. Ironisch überlegene Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft
und eine das „junge Deutschland" noch überbietende krampfhafte Neigung zum
Floskel- und Zitatenwesen einer modischen Leserci, die im „Wissenschaftlicher"
auf die trivialsten Quellen (Beckers Weltgeschichte) deutet, vervollständigen
das Bild. Damit steht im engsten Zusammenhange eine auf die Dauer ganz
unerträgliche uneigentliche Sprechweise, die einer Person des Dichters selbst
einmal die Meinung entlockt: „Es war, als wenn er die ganze Zeit etwas
andres meinte, als was er sagte." Was er aber meinte, erklärt sie nicht zu
wissen, und man kann sich dem oft anschließen, nur mit dem Gefühle, daß es
meist nicht der Nachfrage lohnt. Der Übersetzer der nicht zahlreichen lyrischen
Gedichte hat dem mitunter durch Anmerkungen, wie etwa: „Dies sind des
Dichters Gedanken und Phantasien" (eine beschwingte Kinderschar!) abgeholfen,
welche seltsam an die Zeit der Allongeperücken und der klassischen Gelehrtheit
erinnern. Und wir sind ja wirklich in ähnlichem Falle, nur daß unsre Homer,
Virgil, Horaz Shakespeare, Schiller und Goethe, unsre Plato, Cicero, Seneca
je nach der Individualität Spinoza, Kant, Hegel oder wie gegenwärtig — leider --
Darwin nud Schopenhauer heißen. Nun ist auch in dieser Beziehung Ibsen
ein ganz besonders krasser Ausdruck der Zeit, und zwar vornehmlich durch diese
Sucht, möglichst „aktuell gebildet" zu scheinen, gruselige Schlagworte der Natur-
forschung geheimnisvoll im Munde zu führen und daran ebenso breite als leere
Betrachtungen zu knüpfen, in denen der wissenschaftliche Kannegießer dem
Menschen selbstgefällig über die Schulter sieht.

Wir würden auch den deutschen Leser sicherlich nicht so lange bei dein poetischen
Norweger, in dem er lange überwundne durchaus nicht so holde Jugeudeseleieu
modernisirt zurückerhält, unterhalten oder vielmehr aufgehalten haben, wenn er
ihm nicht zu so weiten und zu so nachdenklichen Betrachtungen Anlaß böte. Die
uüchstliegende betrüfe natürlich die alte Erfahrung, in welchem Mißverhältnis hier
wieder einmal die wirkliche Beschaffenheit eines pomphaft angekündigten aus¬
ländischen Fabrikats zu den Erwartungen steht, die man in Deutschland gleich
davon zu hegen geneigt ist. Da wird gleich von einer Reform der Bühne, von
einer Wiedereinsetzung des Ernstes auf derselben geredet, ja die kühnsten Träume
von einer „Zukunftspoesie" daran geknüpft. Während man damit doch bloß dem
schlechten Spaße und der beschränkten Trivialität in die Hände arbeitet, die sich
nnn ins Fäustchen lachen können und triumphirend sticheln: Seht, da habt
ihr's! da ist eure vielgerühmte „Poesie." Während man doch damit die
wenigen redlich an sich arbeitenden wirklichen Dichter bloß ärgert, wenn sie


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[0437] Zukunftspoolen, tende Phantasie. Vornehmlich an das „junge Deutschland" gemahnt hier die halb spöttische, halb tragische Andichtuug der eignen Persönlichkeit. Er ist der Eidervogel, der nordische Pelikan, der sich selber für andre die Federn aus der Brust rupft; der Reiter, der jede Nacht in die nordische Heimat reitet. Seine Figuren sind angeschossene Wildenten, oder sie wünschen sich ein „kluger Hund" zu sein. Ironisch überlegene Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft und eine das „junge Deutschland" noch überbietende krampfhafte Neigung zum Floskel- und Zitatenwesen einer modischen Leserci, die im „Wissenschaftlicher" auf die trivialsten Quellen (Beckers Weltgeschichte) deutet, vervollständigen das Bild. Damit steht im engsten Zusammenhange eine auf die Dauer ganz unerträgliche uneigentliche Sprechweise, die einer Person des Dichters selbst einmal die Meinung entlockt: „Es war, als wenn er die ganze Zeit etwas andres meinte, als was er sagte." Was er aber meinte, erklärt sie nicht zu wissen, und man kann sich dem oft anschließen, nur mit dem Gefühle, daß es meist nicht der Nachfrage lohnt. Der Übersetzer der nicht zahlreichen lyrischen Gedichte hat dem mitunter durch Anmerkungen, wie etwa: „Dies sind des Dichters Gedanken und Phantasien" (eine beschwingte Kinderschar!) abgeholfen, welche seltsam an die Zeit der Allongeperücken und der klassischen Gelehrtheit erinnern. Und wir sind ja wirklich in ähnlichem Falle, nur daß unsre Homer, Virgil, Horaz Shakespeare, Schiller und Goethe, unsre Plato, Cicero, Seneca je nach der Individualität Spinoza, Kant, Hegel oder wie gegenwärtig — leider -- Darwin nud Schopenhauer heißen. Nun ist auch in dieser Beziehung Ibsen ein ganz besonders krasser Ausdruck der Zeit, und zwar vornehmlich durch diese Sucht, möglichst „aktuell gebildet" zu scheinen, gruselige Schlagworte der Natur- forschung geheimnisvoll im Munde zu führen und daran ebenso breite als leere Betrachtungen zu knüpfen, in denen der wissenschaftliche Kannegießer dem Menschen selbstgefällig über die Schulter sieht. Wir würden auch den deutschen Leser sicherlich nicht so lange bei dein poetischen Norweger, in dem er lange überwundne durchaus nicht so holde Jugeudeseleieu modernisirt zurückerhält, unterhalten oder vielmehr aufgehalten haben, wenn er ihm nicht zu so weiten und zu so nachdenklichen Betrachtungen Anlaß böte. Die uüchstliegende betrüfe natürlich die alte Erfahrung, in welchem Mißverhältnis hier wieder einmal die wirkliche Beschaffenheit eines pomphaft angekündigten aus¬ ländischen Fabrikats zu den Erwartungen steht, die man in Deutschland gleich davon zu hegen geneigt ist. Da wird gleich von einer Reform der Bühne, von einer Wiedereinsetzung des Ernstes auf derselben geredet, ja die kühnsten Träume von einer „Zukunftspoesie" daran geknüpft. Während man damit doch bloß dem schlechten Spaße und der beschränkten Trivialität in die Hände arbeitet, die sich nnn ins Fäustchen lachen können und triumphirend sticheln: Seht, da habt ihr's! da ist eure vielgerühmte „Poesie." Während man doch damit die wenigen redlich an sich arbeitenden wirklichen Dichter bloß ärgert, wenn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/437>, abgerufen am 17.09.2024.