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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zwei wiener Romane.

Hans Makart zum Mittelpunkte. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, welche
bei Betrachtung jener siebziger Jahre viele wertvolle Erscheinungen auf künst¬
lerisch-literarischem Gebiete in den innigsten ursächlichen Zusammenhang mit dem
gleichzeitigen schwindelreichen wirtschaftlichen Aufschwünge Wiens bringen wird;
man wird vielleicht in der Existenz des letztern die Existenzmöglichkeit der
erstern erkennen; man wird vielleicht die Urteile berichtigen: da mildernd, dort
verschärfend. Dies alles läßt sich aber jetzt noch garnicht überschauen. Wir
stehen dieser ereignisreichen Zeit viel zu nahe, sind zu sehr mit der Heilung
ihrer Schäden beschäftigt, zu sehr Partei, um unbefangen den geschichtlichen
Sachverhalt zu überschauen, und diese Befangenheit rächte sich auch an dem
Romane Abts, dessen Stoff noch lange nicht reif für die Kunst dalag. Es
erscheint unserm an die äußerste Lebenswahrheit im Roman gewöhnten Gefühle
einfach komisch, wenn Abt ohne Zweideutigkeit Wiener Verhältnisse schildert und
doch nicht den Mut hat, geradezu Wien zu nennen. Ein gutes Klavier nennt
er einmal einen "Gutstadt," die besten Wiener Klaviere macht Bösendorfer --
daher der Name. Er giebt ein einleitendes Kapitel über die Entwicklung der
Wiener Kunst- und Bauverhältnisse -- spricht aber nach Art etwa des alten
Wieland von einem Irgendwo, das man erraten möge. Er konterfeit Makart
nach seinem üppigen Kunstgeschmack, seiner Vorliebe sür überreife Gestalten, für
welkendes Herbstlaub, er berichtet ausführlich von dem berühmten Kostümfestzug
Makarts bei der silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares, er hebt
Makarts Wirkung auf das Gedeihen des Kunstgewerbes hervor, er schildert
Makarts Art, die Frauen nur kühl und unpersönlich als "Modelle" anzuschauen,
er führt in sein berühmtes Atelier ein, in dessen malerischen Räumen die Wiener
Gesellschaft zu feenhaften Festen vereinigt wurde -- und ist bei all diesen porträt¬
treuen Zügen so geschmacklos, den Mann nicht Makart sondern "Steiner" zu
nennen und ihm außerdem Eigenschaften beizulegen, die, wie ebenso alle Welt
weiß, der wirkliche Mann nicht hatte: z. B. eine schlanke Gestalt, oder die Be¬
gabung, sich klar auszusprechen. Dieses fortwährend an die Wirklichkeit ge¬
mahnende und sie doch wieder mutlos und unglaublich kunstlos umgehende Ver¬
fahren verwirrt und ärgert den Leser am meisten. Der so schneidige Kritiker
Abt erweist sich damit in seinem Roman als ganz und gar poetisch unpro¬
duktiv. Dem sinnlich üppigen, in Farben schwelgenden Makart stellt er -- wie
es auch die Wirklichkeit im Maler Canon bot -- im Maler Elsner einen
idealistischen Künstler gegenüber; doch den reflektirenden, sich gern in theore¬
tischen Betrachtungen ergehenden Charakterzug Canons legt Abt einer besondern
dritten Gestalt, dem Professor Conieri, bei. Allein zwei läppischere Tröpfe
sind nie für tiefe Denker ausgegeben worden, als diese zwei Menschen hier.
Der kritische Meister Conieri, der, wie versichert wird, alle Welt durch die
Wahrheit seiner Bemerkungen ins Herz trifft, hat nicht Verstand genug, eine
Irrsinnige als solche zu erkennen und nimmt sie zur Frau. Da ist doch


Zwei wiener Romane.

Hans Makart zum Mittelpunkte. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, welche
bei Betrachtung jener siebziger Jahre viele wertvolle Erscheinungen auf künst¬
lerisch-literarischem Gebiete in den innigsten ursächlichen Zusammenhang mit dem
gleichzeitigen schwindelreichen wirtschaftlichen Aufschwünge Wiens bringen wird;
man wird vielleicht in der Existenz des letztern die Existenzmöglichkeit der
erstern erkennen; man wird vielleicht die Urteile berichtigen: da mildernd, dort
verschärfend. Dies alles läßt sich aber jetzt noch garnicht überschauen. Wir
stehen dieser ereignisreichen Zeit viel zu nahe, sind zu sehr mit der Heilung
ihrer Schäden beschäftigt, zu sehr Partei, um unbefangen den geschichtlichen
Sachverhalt zu überschauen, und diese Befangenheit rächte sich auch an dem
Romane Abts, dessen Stoff noch lange nicht reif für die Kunst dalag. Es
erscheint unserm an die äußerste Lebenswahrheit im Roman gewöhnten Gefühle
einfach komisch, wenn Abt ohne Zweideutigkeit Wiener Verhältnisse schildert und
doch nicht den Mut hat, geradezu Wien zu nennen. Ein gutes Klavier nennt
er einmal einen „Gutstadt," die besten Wiener Klaviere macht Bösendorfer —
daher der Name. Er giebt ein einleitendes Kapitel über die Entwicklung der
Wiener Kunst- und Bauverhältnisse — spricht aber nach Art etwa des alten
Wieland von einem Irgendwo, das man erraten möge. Er konterfeit Makart
nach seinem üppigen Kunstgeschmack, seiner Vorliebe sür überreife Gestalten, für
welkendes Herbstlaub, er berichtet ausführlich von dem berühmten Kostümfestzug
Makarts bei der silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares, er hebt
Makarts Wirkung auf das Gedeihen des Kunstgewerbes hervor, er schildert
Makarts Art, die Frauen nur kühl und unpersönlich als „Modelle" anzuschauen,
er führt in sein berühmtes Atelier ein, in dessen malerischen Räumen die Wiener
Gesellschaft zu feenhaften Festen vereinigt wurde — und ist bei all diesen porträt¬
treuen Zügen so geschmacklos, den Mann nicht Makart sondern „Steiner" zu
nennen und ihm außerdem Eigenschaften beizulegen, die, wie ebenso alle Welt
weiß, der wirkliche Mann nicht hatte: z. B. eine schlanke Gestalt, oder die Be¬
gabung, sich klar auszusprechen. Dieses fortwährend an die Wirklichkeit ge¬
mahnende und sie doch wieder mutlos und unglaublich kunstlos umgehende Ver¬
fahren verwirrt und ärgert den Leser am meisten. Der so schneidige Kritiker
Abt erweist sich damit in seinem Roman als ganz und gar poetisch unpro¬
duktiv. Dem sinnlich üppigen, in Farben schwelgenden Makart stellt er — wie
es auch die Wirklichkeit im Maler Canon bot — im Maler Elsner einen
idealistischen Künstler gegenüber; doch den reflektirenden, sich gern in theore¬
tischen Betrachtungen ergehenden Charakterzug Canons legt Abt einer besondern
dritten Gestalt, dem Professor Conieri, bei. Allein zwei läppischere Tröpfe
sind nie für tiefe Denker ausgegeben worden, als diese zwei Menschen hier.
Der kritische Meister Conieri, der, wie versichert wird, alle Welt durch die
Wahrheit seiner Bemerkungen ins Herz trifft, hat nicht Verstand genug, eine
Irrsinnige als solche zu erkennen und nimmt sie zur Frau. Da ist doch


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[0043] Zwei wiener Romane. Hans Makart zum Mittelpunkte. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, welche bei Betrachtung jener siebziger Jahre viele wertvolle Erscheinungen auf künst¬ lerisch-literarischem Gebiete in den innigsten ursächlichen Zusammenhang mit dem gleichzeitigen schwindelreichen wirtschaftlichen Aufschwünge Wiens bringen wird; man wird vielleicht in der Existenz des letztern die Existenzmöglichkeit der erstern erkennen; man wird vielleicht die Urteile berichtigen: da mildernd, dort verschärfend. Dies alles läßt sich aber jetzt noch garnicht überschauen. Wir stehen dieser ereignisreichen Zeit viel zu nahe, sind zu sehr mit der Heilung ihrer Schäden beschäftigt, zu sehr Partei, um unbefangen den geschichtlichen Sachverhalt zu überschauen, und diese Befangenheit rächte sich auch an dem Romane Abts, dessen Stoff noch lange nicht reif für die Kunst dalag. Es erscheint unserm an die äußerste Lebenswahrheit im Roman gewöhnten Gefühle einfach komisch, wenn Abt ohne Zweideutigkeit Wiener Verhältnisse schildert und doch nicht den Mut hat, geradezu Wien zu nennen. Ein gutes Klavier nennt er einmal einen „Gutstadt," die besten Wiener Klaviere macht Bösendorfer — daher der Name. Er giebt ein einleitendes Kapitel über die Entwicklung der Wiener Kunst- und Bauverhältnisse — spricht aber nach Art etwa des alten Wieland von einem Irgendwo, das man erraten möge. Er konterfeit Makart nach seinem üppigen Kunstgeschmack, seiner Vorliebe sür überreife Gestalten, für welkendes Herbstlaub, er berichtet ausführlich von dem berühmten Kostümfestzug Makarts bei der silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares, er hebt Makarts Wirkung auf das Gedeihen des Kunstgewerbes hervor, er schildert Makarts Art, die Frauen nur kühl und unpersönlich als „Modelle" anzuschauen, er führt in sein berühmtes Atelier ein, in dessen malerischen Räumen die Wiener Gesellschaft zu feenhaften Festen vereinigt wurde — und ist bei all diesen porträt¬ treuen Zügen so geschmacklos, den Mann nicht Makart sondern „Steiner" zu nennen und ihm außerdem Eigenschaften beizulegen, die, wie ebenso alle Welt weiß, der wirkliche Mann nicht hatte: z. B. eine schlanke Gestalt, oder die Be¬ gabung, sich klar auszusprechen. Dieses fortwährend an die Wirklichkeit ge¬ mahnende und sie doch wieder mutlos und unglaublich kunstlos umgehende Ver¬ fahren verwirrt und ärgert den Leser am meisten. Der so schneidige Kritiker Abt erweist sich damit in seinem Roman als ganz und gar poetisch unpro¬ duktiv. Dem sinnlich üppigen, in Farben schwelgenden Makart stellt er — wie es auch die Wirklichkeit im Maler Canon bot — im Maler Elsner einen idealistischen Künstler gegenüber; doch den reflektirenden, sich gern in theore¬ tischen Betrachtungen ergehenden Charakterzug Canons legt Abt einer besondern dritten Gestalt, dem Professor Conieri, bei. Allein zwei läppischere Tröpfe sind nie für tiefe Denker ausgegeben worden, als diese zwei Menschen hier. Der kritische Meister Conieri, der, wie versichert wird, alle Welt durch die Wahrheit seiner Bemerkungen ins Herz trifft, hat nicht Verstand genug, eine Irrsinnige als solche zu erkennen und nimmt sie zur Frau. Da ist doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/43>, abgerufen am 17.09.2024.