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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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parlamentarisches aus (Österreich.

foudre die Jugend, in welcher das Gefühl für Recht und Unrecht noch unge¬
schwächt ist, in das Lager des Herr" von schönerer, auf dessen laut und wieder¬
holt erhobene schwere Anschuldigungen die Blätter noch immer keine Antwort
haben, als Verschweigen seines Namens, Unterdrücken seiner Reichsratsreden
u, s, w. Und doch ist es durchaus unrichtig, alle, die in dem einen Punkte
die Ansichten dieses Mannes teilen, für seine Anhänger auszugeben. Mit der
Methode, alle ihnen unbequemen Personen des Antisemitismus zu verdächtigen,
sind übrigens gerade in diesem Augenblick die Semitenzeitungen übel angekommen.
Als die studentischen Demonstrationen gegen den Professor Maaßen über die
Grenzen einer wohl verständlichen Entrnstnngskundgebung hinausgingen, war
man schnell bereit, sie den Antisemiten in die Schuhe zu gießen; und nun
kommt zu Tage, daß die Mehrzahl der auf der Gasse abgefaßten Lürmmachcr
aus Juden besteht! Antisemitische Juden -- da wird's allerdings gefährlich.
Um jedoch Mißverständnissen zu begegnen, sei erwähnt, daß die Judenblätter
keineswegs sämtlich zur deutsch-österreichischen Partei heilten, es giebt auch sehr
regierungsfreundliche, und einige, die ihre Rechnung dabei zu finden scheinen,
daß sie uns ein Bündnis mit Boulanger und Katkoff gegen die verhaßten
Deutschen anpreisen. Ganz unschädlich ist auch diese Gesellschaft nicht; aber
viel mehr Verwirrung stellen jene Stimmen an, welche die Deutschen in dem
Glauben erhalten, in der Politik müsse es gehen, wie in moralischen Erzählungen,
den jetzigen trüben Tagen werde plötzlich wieder ein goldner Morgen folgen,
und dann alle Unbill wie ein böser Traum hinter uns liegen; die Deutschen
seien einmal auserkoren, in Österreich die führende Stellung einzunehmen. In
der That aber müssen sie diesen Beruf jetzt bethätigen. Und dazu genügen
nicht glänzende Reden, zu denen man von den Parteifreunden "beglückwünscht"
wird (eine Phrase, welche offenbar in den Zeitungsdruckereien stereotypirt vor¬
rätig ist), und noch viel weniger dient dazu ein Parteiterrorismus, der jeden
verketzert, welcher nicht sämtliche Punkte des Parteiprogramms unterschreibt.
Ob Freihandel oder Schutzzoll, ob unbedingte wirtschaftliche Freiheit oder
Sozialismus, ob acht- oder siebenjährige Schulpflicht, und wie sonst noch die
Fragen heißen, in welchen die Deutschen uneins sind und schwerlich jemals einig
sein werden -- das alles muß zurücktreten, so lange die Deutschen in ihrer
nationalen Existenz bedroht sind, und diesen Standpunkt müßten sich vor allem
diejenigen zu eigen machen, welche den Ehrgeiz haben, die Nation zu führen.




parlamentarisches aus (Österreich.

foudre die Jugend, in welcher das Gefühl für Recht und Unrecht noch unge¬
schwächt ist, in das Lager des Herr» von schönerer, auf dessen laut und wieder¬
holt erhobene schwere Anschuldigungen die Blätter noch immer keine Antwort
haben, als Verschweigen seines Namens, Unterdrücken seiner Reichsratsreden
u, s, w. Und doch ist es durchaus unrichtig, alle, die in dem einen Punkte
die Ansichten dieses Mannes teilen, für seine Anhänger auszugeben. Mit der
Methode, alle ihnen unbequemen Personen des Antisemitismus zu verdächtigen,
sind übrigens gerade in diesem Augenblick die Semitenzeitungen übel angekommen.
Als die studentischen Demonstrationen gegen den Professor Maaßen über die
Grenzen einer wohl verständlichen Entrnstnngskundgebung hinausgingen, war
man schnell bereit, sie den Antisemiten in die Schuhe zu gießen; und nun
kommt zu Tage, daß die Mehrzahl der auf der Gasse abgefaßten Lürmmachcr
aus Juden besteht! Antisemitische Juden — da wird's allerdings gefährlich.
Um jedoch Mißverständnissen zu begegnen, sei erwähnt, daß die Judenblätter
keineswegs sämtlich zur deutsch-österreichischen Partei heilten, es giebt auch sehr
regierungsfreundliche, und einige, die ihre Rechnung dabei zu finden scheinen,
daß sie uns ein Bündnis mit Boulanger und Katkoff gegen die verhaßten
Deutschen anpreisen. Ganz unschädlich ist auch diese Gesellschaft nicht; aber
viel mehr Verwirrung stellen jene Stimmen an, welche die Deutschen in dem
Glauben erhalten, in der Politik müsse es gehen, wie in moralischen Erzählungen,
den jetzigen trüben Tagen werde plötzlich wieder ein goldner Morgen folgen,
und dann alle Unbill wie ein böser Traum hinter uns liegen; die Deutschen
seien einmal auserkoren, in Österreich die führende Stellung einzunehmen. In
der That aber müssen sie diesen Beruf jetzt bethätigen. Und dazu genügen
nicht glänzende Reden, zu denen man von den Parteifreunden „beglückwünscht"
wird (eine Phrase, welche offenbar in den Zeitungsdruckereien stereotypirt vor¬
rätig ist), und noch viel weniger dient dazu ein Parteiterrorismus, der jeden
verketzert, welcher nicht sämtliche Punkte des Parteiprogramms unterschreibt.
Ob Freihandel oder Schutzzoll, ob unbedingte wirtschaftliche Freiheit oder
Sozialismus, ob acht- oder siebenjährige Schulpflicht, und wie sonst noch die
Fragen heißen, in welchen die Deutschen uneins sind und schwerlich jemals einig
sein werden — das alles muß zurücktreten, so lange die Deutschen in ihrer
nationalen Existenz bedroht sind, und diesen Standpunkt müßten sich vor allem
diejenigen zu eigen machen, welche den Ehrgeiz haben, die Nation zu führen.




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[0422] parlamentarisches aus (Österreich. foudre die Jugend, in welcher das Gefühl für Recht und Unrecht noch unge¬ schwächt ist, in das Lager des Herr» von schönerer, auf dessen laut und wieder¬ holt erhobene schwere Anschuldigungen die Blätter noch immer keine Antwort haben, als Verschweigen seines Namens, Unterdrücken seiner Reichsratsreden u, s, w. Und doch ist es durchaus unrichtig, alle, die in dem einen Punkte die Ansichten dieses Mannes teilen, für seine Anhänger auszugeben. Mit der Methode, alle ihnen unbequemen Personen des Antisemitismus zu verdächtigen, sind übrigens gerade in diesem Augenblick die Semitenzeitungen übel angekommen. Als die studentischen Demonstrationen gegen den Professor Maaßen über die Grenzen einer wohl verständlichen Entrnstnngskundgebung hinausgingen, war man schnell bereit, sie den Antisemiten in die Schuhe zu gießen; und nun kommt zu Tage, daß die Mehrzahl der auf der Gasse abgefaßten Lürmmachcr aus Juden besteht! Antisemitische Juden — da wird's allerdings gefährlich. Um jedoch Mißverständnissen zu begegnen, sei erwähnt, daß die Judenblätter keineswegs sämtlich zur deutsch-österreichischen Partei heilten, es giebt auch sehr regierungsfreundliche, und einige, die ihre Rechnung dabei zu finden scheinen, daß sie uns ein Bündnis mit Boulanger und Katkoff gegen die verhaßten Deutschen anpreisen. Ganz unschädlich ist auch diese Gesellschaft nicht; aber viel mehr Verwirrung stellen jene Stimmen an, welche die Deutschen in dem Glauben erhalten, in der Politik müsse es gehen, wie in moralischen Erzählungen, den jetzigen trüben Tagen werde plötzlich wieder ein goldner Morgen folgen, und dann alle Unbill wie ein böser Traum hinter uns liegen; die Deutschen seien einmal auserkoren, in Österreich die führende Stellung einzunehmen. In der That aber müssen sie diesen Beruf jetzt bethätigen. Und dazu genügen nicht glänzende Reden, zu denen man von den Parteifreunden „beglückwünscht" wird (eine Phrase, welche offenbar in den Zeitungsdruckereien stereotypirt vor¬ rätig ist), und noch viel weniger dient dazu ein Parteiterrorismus, der jeden verketzert, welcher nicht sämtliche Punkte des Parteiprogramms unterschreibt. Ob Freihandel oder Schutzzoll, ob unbedingte wirtschaftliche Freiheit oder Sozialismus, ob acht- oder siebenjährige Schulpflicht, und wie sonst noch die Fragen heißen, in welchen die Deutschen uneins sind und schwerlich jemals einig sein werden — das alles muß zurücktreten, so lange die Deutschen in ihrer nationalen Existenz bedroht sind, und diesen Standpunkt müßten sich vor allem diejenigen zu eigen machen, welche den Ehrgeiz haben, die Nation zu führen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/422>, abgerufen am 17.09.2024.