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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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parlamentarisches aus "Österreich.

frischung eines alten, aber durch sein Alter nicht ehrwürdig gewordnen Kunst¬
griffes mißvergnügter Politiker waren, sagten wir uns: Dort unten sitzen doch
Männer von politischem Verstände und politischer Bildung und v°n Takt¬
gefühl - wird denn keiner sich aufraffen, um den Vorlanden abzusclMte n?
Doch nein, man ließ dem Ministerpräsidenten Zeit, den Stoß mit einem ÄusM
zu pariren. die Fraktionsdisziplin triumphirte. und an der Fraktion bleib der
Makel haften, die zur Genüge erfahren hat. daß dergleichen Fehler acht leicht
in Vergessenheit geraten. .

^<Ebenso wird alles Thun der Parteipresse der Parder selbst aufs Kerbholz
geschrieben, in der wahrscheinlich nicht jedes Mitglied und allem einverstanden
ist- Diese Presse hat drei Götter: Parlamentarismus. Freihandel ^udentu.^und so schwer es ihr anch mitunter wird, sie weiß sich immer so zu drehen >ab
z" wenden, daß sie am Schluß ihrer Auseinandersetzungen dem betreffenden
Allah bescheinigen kann, er sei ..groß." Z. B. wenn sie einmal nicht und.n
kann, dein deutscheu Kanzler wohlwollend auf die Schulter zu klopfen , kommt
stets der Nachsatz, eines fehle ihm doch zum großen Staatsmanne, er begreife
seine Zeit nicht, deren Ideal der Parlamentarismus sei oder, je nachdem, der
Freihandel. Die denkwürdige Verhandlung im Herrenhause über den Sprachen¬
erlaß "" die böhmische" Gerichte, eine Verhandlung, in welcher die Präsidenten
des obersten Gerichtshofes und des Reichsgerichtes, eine lange Reihe ehemaliger
Minister aus der absolutistischen, der .. scheinkonstitutionellen" und der par a-
mentarischen Zeit und mit wenigen Ausnahmen (zu denen die Kirchenfürsten
aus dem Benediktinerorden, deren Vorgänger jederzeit für den österreichischen
Staatsgedanken eingetreten waren, und der unselige Professor Maaßen, gehörte.,
der abermals den Deutschen einen Schlag ins Gesicht versetzen zu müssen glaubte)
alles, was nicht bloß einen ererbten Namen hat. den Erlaß für verwerflich ans
juristischen und politischen Gründen erklärte, nötigt dieselbe Presse anzuerkennen
daß eine Mehrheit nichts beweist, daß die Stimmen gewogen, nicht gezahlt
werden sollten; aber das verschlüge nichts, der Parlamentarismus bleibt doch
groß. Und dem dritten Gott der Zeitungen zu Liebe wird die Wahrhaftigkeit
fast Tag für Tag aufs schnödeste verletzt. Jedes politische Prwatgesprach
wendet sich sehr bald der Judenfrage zu, öffentlich aber donnert jeder gegen
diejenigen, welche überhaupt diese Frage zulassen. Es ist ja so einfach. Die
Zeitungen treiben heute mit dem Worte Antisemitismus denselben Mißbrauch,
der zu verschiednen Zeiten mit den Wörtern liberal, servil, demokratisch, reaktionär
n. s. w. getrieben worden ist und mit gouvernemental, offiziös und dergleichen
täglich getrieben wird; und das seichteste Gerede wird von ihnen als staats¬
männische Weisheit gepriesen wenn der Redner es mit einigen Anspielungen
oder direkten Schmähungen auf die Gegner der jüdischen Allmacht verbrämte.
Und da wundert man sich noch, daß die Zahl solcher Gegner mit reißender
Schnelligkeit zunimmt! Die Zeitungen jagen ja förmlich die Leute und msbe-


parlamentarisches aus «Österreich.

frischung eines alten, aber durch sein Alter nicht ehrwürdig gewordnen Kunst¬
griffes mißvergnügter Politiker waren, sagten wir uns: Dort unten sitzen doch
Männer von politischem Verstände und politischer Bildung und v°n Takt¬
gefühl - wird denn keiner sich aufraffen, um den Vorlanden abzusclMte n?
Doch nein, man ließ dem Ministerpräsidenten Zeit, den Stoß mit einem ÄusM
zu pariren. die Fraktionsdisziplin triumphirte. und an der Fraktion bleib der
Makel haften, die zur Genüge erfahren hat. daß dergleichen Fehler acht leicht
in Vergessenheit geraten. .

^<Ebenso wird alles Thun der Parteipresse der Parder selbst aufs Kerbholz
geschrieben, in der wahrscheinlich nicht jedes Mitglied und allem einverstanden
ist- Diese Presse hat drei Götter: Parlamentarismus. Freihandel ^udentu.^und so schwer es ihr anch mitunter wird, sie weiß sich immer so zu drehen >ab
z» wenden, daß sie am Schluß ihrer Auseinandersetzungen dem betreffenden
Allah bescheinigen kann, er sei ..groß." Z. B. wenn sie einmal nicht und.n
kann, dein deutscheu Kanzler wohlwollend auf die Schulter zu klopfen , kommt
stets der Nachsatz, eines fehle ihm doch zum großen Staatsmanne, er begreife
seine Zeit nicht, deren Ideal der Parlamentarismus sei oder, je nachdem, der
Freihandel. Die denkwürdige Verhandlung im Herrenhause über den Sprachen¬
erlaß „„ die böhmische» Gerichte, eine Verhandlung, in welcher die Präsidenten
des obersten Gerichtshofes und des Reichsgerichtes, eine lange Reihe ehemaliger
Minister aus der absolutistischen, der .. scheinkonstitutionellen" und der par a-
mentarischen Zeit und mit wenigen Ausnahmen (zu denen die Kirchenfürsten
aus dem Benediktinerorden, deren Vorgänger jederzeit für den österreichischen
Staatsgedanken eingetreten waren, und der unselige Professor Maaßen, gehörte.,
der abermals den Deutschen einen Schlag ins Gesicht versetzen zu müssen glaubte)
alles, was nicht bloß einen ererbten Namen hat. den Erlaß für verwerflich ans
juristischen und politischen Gründen erklärte, nötigt dieselbe Presse anzuerkennen
daß eine Mehrheit nichts beweist, daß die Stimmen gewogen, nicht gezahlt
werden sollten; aber das verschlüge nichts, der Parlamentarismus bleibt doch
groß. Und dem dritten Gott der Zeitungen zu Liebe wird die Wahrhaftigkeit
fast Tag für Tag aufs schnödeste verletzt. Jedes politische Prwatgesprach
wendet sich sehr bald der Judenfrage zu, öffentlich aber donnert jeder gegen
diejenigen, welche überhaupt diese Frage zulassen. Es ist ja so einfach. Die
Zeitungen treiben heute mit dem Worte Antisemitismus denselben Mißbrauch,
der zu verschiednen Zeiten mit den Wörtern liberal, servil, demokratisch, reaktionär
n. s. w. getrieben worden ist und mit gouvernemental, offiziös und dergleichen
täglich getrieben wird; und das seichteste Gerede wird von ihnen als staats¬
männische Weisheit gepriesen wenn der Redner es mit einigen Anspielungen
oder direkten Schmähungen auf die Gegner der jüdischen Allmacht verbrämte.
Und da wundert man sich noch, daß die Zahl solcher Gegner mit reißender
Schnelligkeit zunimmt! Die Zeitungen jagen ja förmlich die Leute und msbe-


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[0421] parlamentarisches aus «Österreich. frischung eines alten, aber durch sein Alter nicht ehrwürdig gewordnen Kunst¬ griffes mißvergnügter Politiker waren, sagten wir uns: Dort unten sitzen doch Männer von politischem Verstände und politischer Bildung und v°n Takt¬ gefühl - wird denn keiner sich aufraffen, um den Vorlanden abzusclMte n? Doch nein, man ließ dem Ministerpräsidenten Zeit, den Stoß mit einem ÄusM zu pariren. die Fraktionsdisziplin triumphirte. und an der Fraktion bleib der Makel haften, die zur Genüge erfahren hat. daß dergleichen Fehler acht leicht in Vergessenheit geraten. . ^<Ebenso wird alles Thun der Parteipresse der Parder selbst aufs Kerbholz geschrieben, in der wahrscheinlich nicht jedes Mitglied und allem einverstanden ist- Diese Presse hat drei Götter: Parlamentarismus. Freihandel ^udentu.^und so schwer es ihr anch mitunter wird, sie weiß sich immer so zu drehen >ab z» wenden, daß sie am Schluß ihrer Auseinandersetzungen dem betreffenden Allah bescheinigen kann, er sei ..groß." Z. B. wenn sie einmal nicht und.n kann, dein deutscheu Kanzler wohlwollend auf die Schulter zu klopfen , kommt stets der Nachsatz, eines fehle ihm doch zum großen Staatsmanne, er begreife seine Zeit nicht, deren Ideal der Parlamentarismus sei oder, je nachdem, der Freihandel. Die denkwürdige Verhandlung im Herrenhause über den Sprachen¬ erlaß „„ die böhmische» Gerichte, eine Verhandlung, in welcher die Präsidenten des obersten Gerichtshofes und des Reichsgerichtes, eine lange Reihe ehemaliger Minister aus der absolutistischen, der .. scheinkonstitutionellen" und der par a- mentarischen Zeit und mit wenigen Ausnahmen (zu denen die Kirchenfürsten aus dem Benediktinerorden, deren Vorgänger jederzeit für den österreichischen Staatsgedanken eingetreten waren, und der unselige Professor Maaßen, gehörte., der abermals den Deutschen einen Schlag ins Gesicht versetzen zu müssen glaubte) alles, was nicht bloß einen ererbten Namen hat. den Erlaß für verwerflich ans juristischen und politischen Gründen erklärte, nötigt dieselbe Presse anzuerkennen daß eine Mehrheit nichts beweist, daß die Stimmen gewogen, nicht gezahlt werden sollten; aber das verschlüge nichts, der Parlamentarismus bleibt doch groß. Und dem dritten Gott der Zeitungen zu Liebe wird die Wahrhaftigkeit fast Tag für Tag aufs schnödeste verletzt. Jedes politische Prwatgesprach wendet sich sehr bald der Judenfrage zu, öffentlich aber donnert jeder gegen diejenigen, welche überhaupt diese Frage zulassen. Es ist ja so einfach. Die Zeitungen treiben heute mit dem Worte Antisemitismus denselben Mißbrauch, der zu verschiednen Zeiten mit den Wörtern liberal, servil, demokratisch, reaktionär n. s. w. getrieben worden ist und mit gouvernemental, offiziös und dergleichen täglich getrieben wird; und das seichteste Gerede wird von ihnen als staats¬ männische Weisheit gepriesen wenn der Redner es mit einigen Anspielungen oder direkten Schmähungen auf die Gegner der jüdischen Allmacht verbrämte. Und da wundert man sich noch, daß die Zahl solcher Gegner mit reißender Schnelligkeit zunimmt! Die Zeitungen jagen ja förmlich die Leute und msbe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/421>, abgerufen am 17.09.2024.