Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Friede mit Rom.

zu verlangen. Solchen Forderungen gegenüber darf billig ge ragt werden,
warum diese Notwendigkeit fiir die evangelische Kirche erst jetzt hervorgetreten
sein soll. War nicht vor dem Jahre 1871 und bis dahin in der ganzen Zeit
der Regierung des verstorbenen Königs die Lage der katholischen K.rede eben¬
falls so. daß sie die evangelische zu gleicher Evolution verengte? ^war sie es nicht in viel höherem Grade, da durch den jetzigen Frieden mit
Rom sogar erhebliche Übergriffe der katholischen Kirche auf das richtige poli¬
tische Maß zurückgeführt sind? Das vorerwähnte Argument ist außerordentlich
unglücklich, da es außerdem noch den Verdacht erregt, als ob es denjenigen,
welche diese Freiheiten für die evangelische Kirche fordern, lieber wäre, wenn
die katholische Kirche unter dem Druck der Kampfesgesetze weiter leben mußte.
Das Verlangen, welches sich auf dieses Argument stützt, ist ungerecht e-
widerspricht dem paritätischen Staate; es ist unpolitisch, denn es macht den
Ernst der friedlichen Gesinnung zweifelhaft und ist geeignet, einen Kulturkamp
auf protestantischer Seite hervorzurufen, nachdem sich eben erst die Muse
zwischen Staat und katholischer Kirche geschlossen hat. Schon daß die Ger¬
mania" und ihre Genossen die Forderungen protestantischen Übereifers begün¬
stigen und unter Gegenleistung ihre Unterstützung zusagen, sollte die Herren
vou Kleist-Retzow und von Hammerstein mit ihrem Anhange zur Besinnung
bringen. Ganz anders stellt sich die Sache dar. wenn, ganz abgesehen
von der neuen Rechtslage der katholischen Kirche, gewisse Notstände vor¬
liegen, welche eine staatliche Abhilfe erheischen. Erst von diesem Gesichtspunkte
aus ist es gestattet, ans die einzelnen Vorschäge zur Abhilfe einzugehen. Zeigt
sich hierbei, daß in einzelnen Bezirken ein Mangel an Gotteshäusern ist, daß
die Dotation der geistlichen Diener den Bedürfnissen des Lebens nicht genügt,
daß den Witwen und Hinterbliebenen derselben größere Sicherstellung gegen
Not und Verarmung gebührt, daß Seminare und andre Bildungsstätten er¬
richtet werden müssen, dann erscheint die Bewegung verständlich. Aber die
Sorge für diese Abhilfe gebührt nicht allein den Laien; auch der oberste
Bischof der evangelischen Kirche, der Landesherr, hat hier ein Wort mitzu¬
reden, und es bedarf nicht erst der Ausführung und der Anregung, daß der
Summus öMooxus für die wirklichen Bedürfnisse ein Ohr haben wird und daß.
sobald die Finanzlage des Staates es gestattet, auch die Mittel bereit ge¬
stellt werden, um den Mängeln abzuhelfen und das geistliche evangelische Amt
so zu stellen, daß es in voller Unabhängigkeit seine Aufgabe erfüllen kann.
Soweit die Kleist-Hammersteinschen Anträge eine finanzielle Seite haben. in
es überflüssig, darauf einzugehen. Aber sie wollen nicht allein eine solche
Unterstützung; sie sind der Meinung, daß die evangelische Kirche in ihrer
Entfaltung durch die Abhängigkeit vom Staate behindert werde; ste glaser,
daß. weil die katholische Kirche aus ihrer absoluten hierarchischen Verfassung
den Hauptquell ihrer Macht schöpfe, auch die protestantische Kirche aus einer


Der Friede mit Rom.

zu verlangen. Solchen Forderungen gegenüber darf billig ge ragt werden,
warum diese Notwendigkeit fiir die evangelische Kirche erst jetzt hervorgetreten
sein soll. War nicht vor dem Jahre 1871 und bis dahin in der ganzen Zeit
der Regierung des verstorbenen Königs die Lage der katholischen K.rede eben¬
falls so. daß sie die evangelische zu gleicher Evolution verengte? ^war sie es nicht in viel höherem Grade, da durch den jetzigen Frieden mit
Rom sogar erhebliche Übergriffe der katholischen Kirche auf das richtige poli¬
tische Maß zurückgeführt sind? Das vorerwähnte Argument ist außerordentlich
unglücklich, da es außerdem noch den Verdacht erregt, als ob es denjenigen,
welche diese Freiheiten für die evangelische Kirche fordern, lieber wäre, wenn
die katholische Kirche unter dem Druck der Kampfesgesetze weiter leben mußte.
Das Verlangen, welches sich auf dieses Argument stützt, ist ungerecht e-
widerspricht dem paritätischen Staate; es ist unpolitisch, denn es macht den
Ernst der friedlichen Gesinnung zweifelhaft und ist geeignet, einen Kulturkamp
auf protestantischer Seite hervorzurufen, nachdem sich eben erst die Muse
zwischen Staat und katholischer Kirche geschlossen hat. Schon daß die Ger¬
mania" und ihre Genossen die Forderungen protestantischen Übereifers begün¬
stigen und unter Gegenleistung ihre Unterstützung zusagen, sollte die Herren
vou Kleist-Retzow und von Hammerstein mit ihrem Anhange zur Besinnung
bringen. Ganz anders stellt sich die Sache dar. wenn, ganz abgesehen
von der neuen Rechtslage der katholischen Kirche, gewisse Notstände vor¬
liegen, welche eine staatliche Abhilfe erheischen. Erst von diesem Gesichtspunkte
aus ist es gestattet, ans die einzelnen Vorschäge zur Abhilfe einzugehen. Zeigt
sich hierbei, daß in einzelnen Bezirken ein Mangel an Gotteshäusern ist, daß
die Dotation der geistlichen Diener den Bedürfnissen des Lebens nicht genügt,
daß den Witwen und Hinterbliebenen derselben größere Sicherstellung gegen
Not und Verarmung gebührt, daß Seminare und andre Bildungsstätten er¬
richtet werden müssen, dann erscheint die Bewegung verständlich. Aber die
Sorge für diese Abhilfe gebührt nicht allein den Laien; auch der oberste
Bischof der evangelischen Kirche, der Landesherr, hat hier ein Wort mitzu¬
reden, und es bedarf nicht erst der Ausführung und der Anregung, daß der
Summus öMooxus für die wirklichen Bedürfnisse ein Ohr haben wird und daß.
sobald die Finanzlage des Staates es gestattet, auch die Mittel bereit ge¬
stellt werden, um den Mängeln abzuhelfen und das geistliche evangelische Amt
so zu stellen, daß es in voller Unabhängigkeit seine Aufgabe erfüllen kann.
Soweit die Kleist-Hammersteinschen Anträge eine finanzielle Seite haben. in
es überflüssig, darauf einzugehen. Aber sie wollen nicht allein eine solche
Unterstützung; sie sind der Meinung, daß die evangelische Kirche in ihrer
Entfaltung durch die Abhängigkeit vom Staate behindert werde; ste glaser,
daß. weil die katholische Kirche aus ihrer absoluten hierarchischen Verfassung
den Hauptquell ihrer Macht schöpfe, auch die protestantische Kirche aus einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288868"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Friede mit Rom.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1176" prev="#ID_1175" next="#ID_1177"> zu verlangen.  Solchen Forderungen gegenüber darf billig ge ragt werden,<lb/>
warum diese Notwendigkeit fiir die evangelische Kirche erst jetzt hervorgetreten<lb/>
sein soll. War nicht vor dem Jahre 1871 und bis dahin in der ganzen Zeit<lb/>
der Regierung des verstorbenen Königs die Lage der katholischen K.rede eben¬<lb/>
falls so. daß sie die evangelische zu gleicher Evolution verengte? ^war sie es nicht in viel höherem Grade, da durch den jetzigen Frieden mit<lb/>
Rom sogar erhebliche Übergriffe der katholischen Kirche auf das richtige poli¬<lb/>
tische Maß zurückgeführt sind? Das vorerwähnte Argument ist außerordentlich<lb/>
unglücklich, da es außerdem noch den Verdacht erregt, als ob es denjenigen,<lb/>
welche diese Freiheiten für die evangelische Kirche fordern, lieber wäre, wenn<lb/>
die katholische Kirche unter dem Druck der Kampfesgesetze weiter leben mußte.<lb/>
Das Verlangen, welches sich auf dieses Argument stützt, ist ungerecht e-<lb/>
widerspricht dem paritätischen Staate; es ist unpolitisch, denn es macht den<lb/>
Ernst der friedlichen Gesinnung zweifelhaft und ist geeignet, einen Kulturkamp<lb/>
auf protestantischer Seite hervorzurufen, nachdem sich eben erst die Muse<lb/>
zwischen Staat und katholischer Kirche geschlossen hat. Schon daß die Ger¬<lb/>
mania" und ihre Genossen die Forderungen protestantischen Übereifers begün¬<lb/>
stigen und unter Gegenleistung ihre Unterstützung zusagen, sollte die Herren<lb/>
vou Kleist-Retzow und von Hammerstein mit ihrem Anhange zur Besinnung<lb/>
bringen.  Ganz anders stellt sich die Sache dar. wenn, ganz abgesehen<lb/>
von der neuen Rechtslage der katholischen Kirche, gewisse Notstände vor¬<lb/>
liegen, welche eine staatliche Abhilfe erheischen. Erst von diesem Gesichtspunkte<lb/>
aus ist es gestattet, ans die einzelnen Vorschäge zur Abhilfe einzugehen. Zeigt<lb/>
sich hierbei, daß in einzelnen Bezirken ein Mangel an Gotteshäusern ist, daß<lb/>
die Dotation der geistlichen Diener den Bedürfnissen des Lebens nicht genügt,<lb/>
daß den Witwen und Hinterbliebenen derselben größere Sicherstellung gegen<lb/>
Not und Verarmung gebührt, daß Seminare und andre Bildungsstätten er¬<lb/>
richtet werden müssen, dann erscheint die Bewegung verständlich. Aber die<lb/>
Sorge für diese Abhilfe gebührt nicht allein den Laien; auch der oberste<lb/>
Bischof der evangelischen Kirche, der Landesherr, hat hier ein Wort mitzu¬<lb/>
reden, und es bedarf nicht erst der Ausführung und der Anregung, daß der<lb/>
Summus öMooxus für die wirklichen Bedürfnisse ein Ohr haben wird und daß.<lb/>
sobald die Finanzlage des Staates es gestattet, auch die Mittel bereit ge¬<lb/>
stellt werden, um den Mängeln abzuhelfen und das geistliche evangelische Amt<lb/>
so zu stellen, daß es in voller Unabhängigkeit seine Aufgabe erfüllen kann.<lb/>
Soweit die Kleist-Hammersteinschen Anträge eine finanzielle Seite haben. in<lb/>
es überflüssig, darauf einzugehen. Aber sie wollen nicht allein eine solche<lb/>
Unterstützung; sie sind der Meinung, daß die evangelische Kirche in ihrer<lb/>
Entfaltung durch die Abhängigkeit vom Staate behindert werde; ste glaser,<lb/>
daß. weil die katholische Kirche aus ihrer absoluten hierarchischen Verfassung<lb/>
den Hauptquell ihrer Macht schöpfe, auch die protestantische Kirche aus einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Der Friede mit Rom. zu verlangen. Solchen Forderungen gegenüber darf billig ge ragt werden, warum diese Notwendigkeit fiir die evangelische Kirche erst jetzt hervorgetreten sein soll. War nicht vor dem Jahre 1871 und bis dahin in der ganzen Zeit der Regierung des verstorbenen Königs die Lage der katholischen K.rede eben¬ falls so. daß sie die evangelische zu gleicher Evolution verengte? ^war sie es nicht in viel höherem Grade, da durch den jetzigen Frieden mit Rom sogar erhebliche Übergriffe der katholischen Kirche auf das richtige poli¬ tische Maß zurückgeführt sind? Das vorerwähnte Argument ist außerordentlich unglücklich, da es außerdem noch den Verdacht erregt, als ob es denjenigen, welche diese Freiheiten für die evangelische Kirche fordern, lieber wäre, wenn die katholische Kirche unter dem Druck der Kampfesgesetze weiter leben mußte. Das Verlangen, welches sich auf dieses Argument stützt, ist ungerecht e- widerspricht dem paritätischen Staate; es ist unpolitisch, denn es macht den Ernst der friedlichen Gesinnung zweifelhaft und ist geeignet, einen Kulturkamp auf protestantischer Seite hervorzurufen, nachdem sich eben erst die Muse zwischen Staat und katholischer Kirche geschlossen hat. Schon daß die Ger¬ mania" und ihre Genossen die Forderungen protestantischen Übereifers begün¬ stigen und unter Gegenleistung ihre Unterstützung zusagen, sollte die Herren vou Kleist-Retzow und von Hammerstein mit ihrem Anhange zur Besinnung bringen. Ganz anders stellt sich die Sache dar. wenn, ganz abgesehen von der neuen Rechtslage der katholischen Kirche, gewisse Notstände vor¬ liegen, welche eine staatliche Abhilfe erheischen. Erst von diesem Gesichtspunkte aus ist es gestattet, ans die einzelnen Vorschäge zur Abhilfe einzugehen. Zeigt sich hierbei, daß in einzelnen Bezirken ein Mangel an Gotteshäusern ist, daß die Dotation der geistlichen Diener den Bedürfnissen des Lebens nicht genügt, daß den Witwen und Hinterbliebenen derselben größere Sicherstellung gegen Not und Verarmung gebührt, daß Seminare und andre Bildungsstätten er¬ richtet werden müssen, dann erscheint die Bewegung verständlich. Aber die Sorge für diese Abhilfe gebührt nicht allein den Laien; auch der oberste Bischof der evangelischen Kirche, der Landesherr, hat hier ein Wort mitzu¬ reden, und es bedarf nicht erst der Ausführung und der Anregung, daß der Summus öMooxus für die wirklichen Bedürfnisse ein Ohr haben wird und daß. sobald die Finanzlage des Staates es gestattet, auch die Mittel bereit ge¬ stellt werden, um den Mängeln abzuhelfen und das geistliche evangelische Amt so zu stellen, daß es in voller Unabhängigkeit seine Aufgabe erfüllen kann. Soweit die Kleist-Hammersteinschen Anträge eine finanzielle Seite haben. in es überflüssig, darauf einzugehen. Aber sie wollen nicht allein eine solche Unterstützung; sie sind der Meinung, daß die evangelische Kirche in ihrer Entfaltung durch die Abhängigkeit vom Staate behindert werde; ste glaser, daß. weil die katholische Kirche aus ihrer absoluten hierarchischen Verfassung den Hauptquell ihrer Macht schöpfe, auch die protestantische Kirche aus einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/415>, abgerufen am 17.09.2024.